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Der lange Weg zum grünen Wasserstoff #

Es braucht noch enorme Investitionen, nicht nur in die Produktion, sondern auch in die Verteilernetze.#


Von der Wiener Zeitung (6. Juli 2022) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Alfred Schuch


Gestehungskosten von grünem Wasserstoff bis 2030 in US-Dollar je Kilogramm
Gestehungskosten von grünem Wasserstoff bis 2030 in US-Dollar je Kilogramm
Grafik/Quelle: International Renewable Energy Agency; WZ-Bearbeitung

Österreich hat sich zum Ziel gesetzt, bis spätestens 2040 klimaneutral zu werden. Klimaneutraler Wasserstoff (H2) spielt in diesem komplexen Unterfangen eine wichtige Rolle - somit ist der kürzlich veröffentlichten "Wasserstoffstrategie für Österreich" entsprechendes Augenmerk zu schenken. Einleitend kann man fragen, ob es aufgrund des langen Erstellungsprozesses angebracht ist, von "Gut Ding braucht Weile" zu sprechen oder eher Horaz zu zitieren: "Der Berg kreißte und gebar eine Maus."

Positiv ist herauszustreichen, dass man von den Forderungen, Wasserstoff ausschließlich mit erneuerbarer Elektrizität und ausschließlich in Österreich zu erzeugen, abgewichen ist und nunmehr vom klimaneutralen Wasserstoff spricht - obwohl aus der Strategie herauszulesen ist, dass Wasserstoff noch immer vorwiegend in Österreich und mittels erneuerbarer Elektrizität erzeugt werden soll. Dies ist insofern von großer Bedeutung, als die International Renewable Energy Agency (Irena) eine Weltkarte erstellt hat, auf der die Gestehungskosten von einem Kilogramm Wasserstoff mit einer Auflösung von 1x1 Kilometer ausgewiesen werden. Berücksichtigt sind die Kapital- und Betriebskosten, die jährlichen Volllaststunden sowie mögliche Beschränkungen wie Wasser- und Flächenverfügbarkeit, Flächenneigung und Besiedlungsdichte.

Darauf basierend, ergeben sich für große Teile von Österreich, dass die Erzeugung von Wasserstoff weder in den Szenarien 2030 noch 2050 sinnvoll, weil sehr teuer ist. (Anmerkung: Die Gestehungskosten liegen derzeit weltweit zwischen 3 und 5 US-Dollar je Kilogramm Wasserstoff, was etwa 75 bis 125 Euro je Megawattstunde Energie entspricht). Da Österreichs Wirtschaft stark vom Export abhängig ist (gut 55 Prozent des BIP) und im weltweiten Wettbewerb steht, senken hohe Energiekosten die Wettbewerbsfähigkeit. Somit ist ein Weg zu finden, um einerseits angemessene Energiekosten sicherzustellen und andererseits die Abhängigkeit von einzelnen Exportländern auf ein annehmbares Risikoniveau zu senken (Diversifizierung), wobei eine festgelegte Jahresproduktion von Wasserstoff - im Hinblick auf die Versorgungssicherheit - in Österreich zu garantieren wäre.

Frage der Transportkapazitäten in den Stromnetzen#

Selbst wenn es gelänge, die höheren Kosten durch höhere Produktivität in Österreich zu kompensieren, stellt sich die Frage der Verfügbarkeit von ausreichender Transportkapazitäten in den Stromnetzen. Es wird zwar die Energienachfrage in absehbarer Zeit wahrscheinlich sinken, aber der Bedarf an Elektrizität wird stark und die Anforderung an die elektrische Spitzenlast aufgrund des Gleichzeitigkeitsfaktors sehr stark steigen - Stichworte: Wärmepumpen, E-Mobilität, Elektrolyseure, Datenvolumina (5G oder zukünftig sogar 6G) etc. Die in der "Wasserstoffstrategie für Österreich" genannte Menge von erneuerbarem Gas - Biomethan und Wasserstoff auf erneuerbarer Basis - von rund 90 Terawattstunden (Szenario "Exergieeffizienz") scheint zu gering zu sein, da überall vom (allerbesten) Idealfall ausgegangen wird.

Beispielsweise werden technische Potenziale ohne wirtschaftliche Restriktionen angesetzt (Anmerkung: Technisch wäre es möglich, auf dem Großglockner eine Windkraft- oder Photovoltaik-Anlage zu installieren - ob es auch sinnvoll ist, sei dahingestellt). Ebenso wird in der Studie explizit festgehalten, dass die Potenziale der Erzeugung von Wasserstoff mittels heimischem erneuerbaren Strom, die Nachfrage nach Gas im Gebäude- beziehungsweise im Energiesektor etc. oder die Verfügbarkeit von ausreichender Transportkapazität der Stromnetze nicht behandelt werden. In anderen Worten: Man geht davon aus, dass rechtzeitig sowohl ausreichend Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen als auch die erforderlichen elektrischen Transportkapazitäten (Einspeisung und Entnahme) installiert sein werden.

Tatsächlicher Bedarf dürfte viel höher sein als angenommen#

Ebenfalls setzt man voraus, dass rechtzeitig Technologien, die sich derzeit noch in einem frühen Entwicklungsstadium befinden, vorhanden sein werden - somit ist nicht sichergestellt, ob die Technologien, wenn überhaupt rechtzeitig verfügbar sein werden, und das auch noch samt breitem Roll-out. Es ist somit anzunehmen, dass der tatsächliche Bedarf an erneuerbaren Gasen viel höher als 90 Terawattstunden pro Jahr sein wird. Ein beträchtlicher Ausbau der elektrischen Verteiler- als auch der Hochleistungsnetze ist aber so oder so unvermeidlich. Es ist nicht nur die Frage zu beantworten, wer diese Investitionen zu schultern haben wird, sondern auch und viel wichtiger, ob die Stromnetze und auch die Stromerzeugungsanlagen rechtzeitig zur Verfügung stehen werden - Stichwort: 380-kV-Leitung in Salzburg. Nach jahrelangen Verfahren wird von einer Inbetriebnahme im Jahr 2025 oder Anfang 2026 ausgegangen.

Im Vergleich zu den anstehenden erforderlichen Kapazitätserweiterungen der Stromnetze ist die Salzburg-Leitung als "kleines" Projekt zu sehen. Eurelectric (die "Stimme" der europäischen Elektrizitätsindustrie) geht alleine auf der Ebene der Verteilernetze von notwendigen Investitionen in der Höhe von 375 bis 425 Milliarden Euro bis 2030 in Europa und Großbritannien aus. Die Internationale Energieagentur (IEA) weist sogar noch höhere Anstrengungen aus. Um die erforderlichen Fortschritte im vorgesehenen Zeitrahmen zu erreichen, ist ein koordinierter Netzinfrastrukturplan unumgänglich.

Zu späte Fertigstellung des Netzinfrastrukturplans#

In Österreich ist die Fertigstellung des ersten koordinierten Netzinfrastrukturplanes, der betreffend Inhalte im Gesetz eher vage beschrieben ist, mit Ende 2023 vorgesehen - das ist spät, wahrscheinlich zu spät, um die österreichischen Klimaschutzziele zu erreichen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die wechselseitigen Auswirkungen der europäischen Hochleistungsnetze zu berücksichtigen sind. Die unterschiedlichen Zeitpunkte, zu denen die EU-Mitgliedstaaten klimaneutral sein wollen (beispielsweise Österreich im Jahr 2040, Deutschland erst 2045), erhöhen die Komplexität beträchtlich. Dies gilt in Analogie auch für die Infrastruktur - umso mehr, weil in diesem Bereich die europaweiten Normierungen und Abstimmungen noch auszuarbeiten sind. Bei den Standards sei auf Sicherheitsvorkehrungen, Materialnormierungen, Expertenausbildungen, Zulassungsverfahren, Anforderungen an die H2- Reinheit etc. verwiesen. Laut der International Renewable Energy Agency sind sowohl die Ukraine als auch Russland für die Erzeugung großer Mengen erneuerbaren Wasserstoffs nicht gut geeignet, folglich sind große Mengen statt mit Pipelines mittels Schiffen in die EU zu importieren.

LNG-Vergasungsanlagen und Transportschiffe fehlen#

Wie lange es dauern wird, bis ausgereifte Terminals für die Wiederverdampfung von Wasserstoff - also eine neue Technologie - vorhanden sein werden, ist schwer abschätzbar. Wahrscheinlich wird es mehr als zehn Jahre brauchen (die Errichtung herkömmlicher LNG-Vergasungsanlagen dauert etwa sieben bis zehn Jahre). Abgesehen davon sind Transportschiffe für Wasserstoff erst in einer Größe von nur etwa 100 Tonnen je Cargo und in sehr geringer Anzahl vorhanden. Bis große Schiffe (LNG-Tankergröße: 55.000 bis 100.000 Tonnen Ladegewicht) entwickelt und in ausreichender Stückzahl gebaut sein werden, wird es vermutlich noch lange dauern. Aus dieser Perspektive wäre es sinnvoll, sich ehestmöglich mit Deutschland und anderen Staaten beim Bau von LNG-Vergasungsterminals, die in absehbarer Zeit für Wasserstoff adaptiert werden, zusammenzutun. Ebenso wäre klimaneutraler Wasserstoff viel stärker in den Fokus zu rücken. Also doch Horaz?

Alfred Schuch hat bis vor kurzem ein Pipeline-Projekt durchs Kaspische Meer in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission beraten. Davor war er unter anderem für die Österreichische Energieagentur sowie die E-Control tätig, auch auf EU-Ebene, und hat als Abteilungsleiter der Hydrocarbons Unit mitgeholfen, das Sekretariat der Energiegemeinschaft in einem multikulturellen Umfeld zum Laufen zu bringen.

Wiener Zeitung, 6. Juli 2022


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