Absonderliches Österreich#
Vorzeitliche Ufos, Vampirgräfinnen und Gespenster künden von seltsamen, dunklen und unheimlichen Seiten der Heimat.#
Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 12. November 2014) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Edwin Baumgartner
Sie waren da. Sie, also die vorzeitlichen Raumfahrer, haben Österreich als Qkzrirrl entdeckt - oder wie das neudeutsche Wort Must See halt in ihrer Sprache heißt. Der österreichische Schriftsteller und Cartoonist Reinhard Habeck hat also herausgefunden, dass die Felsritzungen in der Kienbachklamm bei Strobl (Salzburg) irgendwas mit interstellarem Besuch zu tun haben. Da passt ja das Brauchtum mit Strohmännern und Schabmännern, das in dieser Gegend gepflogen wird, bestens dazu. Wer wird, wenn er die mit Stroh verhüllten Männer sieht, nicht sofort an Raumanzüge mit Antennen denken? Wozu also noch in die Ferne schweifen, vor allem nach Südamerika, wenn die präastronautischen Beweise grad vor des Österreichers Nase liegen?
Nur schad’, dass seither unser schönes Land beträchtlich an Reiz für den Tourismus aus Übergalaxien eingebüßt hat. Dass der durchschnittliche Alpha Centaurier seit der 50er Jahren des 20. Jahrhunderts dem Himmel über Phoenix, der Wüste New Mexicos und sogar Teheran den Vorzug gibt, sollte uns zu denken geben, und die Ausrede, dass Weltraumtouristen halt am liebsten steinzeitliche Kulturen besuchen, ist absolut zurückzuweisen. Schließlich hat man ja auch Brüssel überflogen...
Präastronautische Reime#
Natürlich legt sich Habeck nicht fest. Die große Kunst der Präastronautiker besteht ja darin, ihrer These vom außerirdischen Besuch in zumeist vorgeschichtlicher Zeit Nahrung zu geben, indem sie Artefakte und Bilder ganz in ihrem Sinn deuten, die Beweisführung im richtigen Augenblick aber durch eine Suggestivfrage ersetzen. Der Präastronautik-Ur- und Allvater Erich von Däniken, der für Habecks Buch ein einseitiges Vorwort beisteuert und dafür auf dem Umschlag goldfarbeunterlegt genannt ist, hat in seiner Frühzeit eben doch zu viele schlechte Erfahrungen mit den Festlegungen gemacht, die von den seriösen Wissenschaftern dann Punkt für Punkt demontiert wurden.
Also bringt man jetzt als gestandener Präastronautiker möglichst viel Material ins Spiel, von dem ein guter Teil sogar wissenschaftlich fundiert, der aber, auf den es ankommt, reine Spekulation fern aller Beweiskraft ist, und überlässt es letzten Endes dem Leser, sich einen Reim zu machen. Der kann nun einmal nicht anders lauten als: "Ist der Fels behaut, / war’s, ganz klar, der Ufonaut". Oder halt einer, der einen solchen gesehen und ihn mit den eigenen Fähigkeiten verewigt hat.
Wobei Habeck von allen Präastronautikern nach anno Däniken nicht nur der ist, der am besten schreibt, sondern auch der findigste: Er entdeckt auch auf Bildern bedeutender Maler und anonymer Kirchenausstatter immer neues Material, das zwar, bei einigem Nachdenken, ganz zwangsläufig ebenso wenig überzeugt wie die ganze Präastronautik, aber immerhin frischen Wind in das Gedankenspiel bringt. Anders gesagt: Seine Bücher machen wesentlich mehr Spaß als der Großteil der zunehmend ausgeleierten Science-Fiction-Literatur.
Doch da ist noch eine andere Schicht. Dass die Präastronautik nun auch in Österreich angekommen ist, scheint keineswegs zufällig. Immer stärker setzt sich die Genreliteratur in die lokale Nische. Der Krimi ist der beste Beweis. Das Lokalkolorit, lange als schäbiger Nationalismus schief angesehen, zieht auf einmal. Weshalb der spekulativen Literatur versagen, was im Mordgenre die Verkaufszahlen hochjagt? Es braucht dabei ja nicht einmal Papa, Mama und Klonkind aus dem Rigelsystem zu sein, es reicht doch bisweilen das ganz normale Hausgespenst. Gabriele Lukacs, ihres Zeichens Fremdenführerin und Autorin, macht sich demnach auf die Spur von Wiener Gruselhäusern. Geheimnisse und Flüche geben eine glänzende Mischung ab samt einer zerstückelten Leiche im Brunnen am Karl Borromäusplatz. Das gemütliche Wien - ein Mythos. Eher fiedelt der Strauß-Schani einen Totentanz voller Absonderlichkeiten.
Blutbad oder Intrige?#
Sogar die Elisabeth Báthory nahm ihr Bad im Jungfrauenblut offenbar nicht nur auf Burg Čachtice, wo sie dann 1611 eingemauert wurde und 1614 starb, sondern auch in ihrem Palais in der Augustinerstraße 12. Ob die "Blutgräfin" ihrer speziellen Auffassung von Wellness tatsächlich frönte oder, wie einige moderne Historiker annehmen, alles eine abgefeimte Intrige Georgs III. Thurzo von Beth- lendorf in Komplizenschaft mit dem Haus Habsburg war, um sich die Ländereien der Frau unter den Nagel zu reißen, bleibe dahingestellt. Das Wiener Palais jedenfalls wirkt - zumindest auf mich - wesentlich weniger schauererregend als ein Gang über den zunehmend verwahrlosenden Morzinplatz, wo im sogenannten Dritten Reich das Hauptquartier der Gestapo und damit der Vorhof zur Hölle stand.
Neben den leider sehr realen Folterungen der NS-Zeit hat Wien aber auch eine Vampirfürstin zu bieten, nämlich Eleonore von Schwarzenberg (1682-1741). An der Stelle ihres Palais’ am Neuen Markt 8 steht heute ein Mietshaus, und im Erdgeschoß wird auch nicht mehr Blut gesüffelt, sondern ein "Daiquiri by Hemingway", ehe es an "hausgemachten Ziegenkäse-Mozzarella mit Erdbeer-Tartar und Basilikumöl" wohlfeil zu 13,80 Euro geht.
Im Umfeld der Sage#
Was das mit Habecks Ufonauten zu tun hat? - Gar nichts. Und doch so viel. Es ist das alles, also nicht der Daiquiri und die Ziegenkäsespezialität, sondern der fremdplanetarische Besuch, der Spuk, die Flüche, auf gewisse Weise ein Fortschreiben von Sagen und Mythen. Fallweise wird nur die Abfolge umgekehrt: War ehemals zuerst das Ereignis, das dann zum sagenhaften Bericht samt Teufel und Wiedergänger wurde, so verorten die heutigen Sagenschreiber die vorhandenen Geschichten in der gegenwärtigen Realität. Wie die Blutgräfin, so der Außerirdische - denn in unserer technisierten Welt steht uns ein Raumfahrer tatsächlich näher als der Gralsritter Lohengrin im Schwanennachen.
Die geheimnisvolle Symbolik des Mithras-Kults steckt dann für den technoid voreingenommenen Beobachter, der für solchen Fall gar kein eingefleischter Präastronautiker zu sein braucht, völlig naturgemäß auch voller technischer Anspielungen. Und die dunklen Seiten Wiens, die der Ethnologe Hans Veigl so spannend referiert, diese dunklen Seiten der Stadt Wien also, die als sehr alte Stadt sehr viele davon hat, verwandeln sich von historischen Tatsachen zu Mythen und Legenden. Da hört man dann schon einmal das Stöhnen im Haus der Vampirprinzessin - und darf mit Fug und Recht davon ausgehen, dass es mit der insgesamt vorzüglichen Küche des Restaurants nichts zu tun hat, sondern eben mit dem Fluch, der auf dem Platz liegt.
Und während Untote, Leichenfledderer, Geister und Magier ganz konkret an Orten und Stellen nachgewiesen werden und der Wahrheitsgehalt hinter den Sagen bestätigt wird, entstehen die neuen Sagen, jene von den außer-irdischen Besuchern, auf der Basis ganz konkreter Artefakte, Steinritzungen und Bilder. Das freilich nicht nur, aber eben auch in Österreich.