Vom Glauben und vom Wissen #
Wir wissen, dass Homöopathie nur als Placebo wirkt, Astrologie Unsinn ist. Das auch zu vermitteln, ist schon schwieriger. Ein Gastkommentar. #
Mit freundlicher Genehmigung aus der Wochenzeitschrift DIE FURCHE (19. Juli 2018)
Von
Florian Freistetter
„Astronomie? Das ist das mit den Horoskopen, oder?” Ich bin Astronom. Und wie die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen bin ich solche Sätze gewohnt. Aus meiner Sicht ist die Sache absolut eindeutig. Astronomie ist eine seriöse und faszinierende Naturwissenschaft, die Planeten, Sterne, Galaxien und das Universum erforscht. Astrologie dagegen ist uralter Aberglaube und esoterischer Unsinn. Und es ärgert mich, wenn andere Menschen diesen Unterschied nicht erkennen. Aber eigentlich könnte es mir egal sein. Ich muss mich nicht mit Astrologie beschäftigen, um astronomische Forschung zu betreiben. Ich könnte den ganzen Unsinn einfach ignorieren.
Das würde mir jede Menge Ärger und anstrengende Gespräche ersparen. Ich würde allerdings auch einen zentralen Aspekt der wissenschaftlichen Arbeit ignorieren. Denn die besteht nicht nur aus der reinen Forschung. Mindestens ebenso wichtig wie die Forschung selbst ist die Vermittlung der Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit. Die Wissenschaft ist Teil der Gesellschaft und sie darf sich nicht von der Gesellschaft abgrenzen. Wissenschaftskommunikation ist wichtig und wer Wissenschaft vermitteln will, sollte sich auch mit dem beschäftigen, was so tut als wäre es Wissenschaft, es aber nicht ist. Und mit dem, was der Wissenschaft aktiv entgegen steht.
Rationales Denken fällt uns schwer #
Esoterik und Pseudowissenschaft sind also nichts, was man einfach ignorieren sollte. Aber wie geht man vernünftig damit um? Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Sache eigentlich recht einfach. Im Laufe der Jahrhunderte haben wir jede Menge Methoden entwickelt, um zwischen objektiven Erkenntnissen über die Welt und Unsinn zu unterscheiden. Wir Menschen sind zwangsläufig subjektiv; unsere Gedanken sind voller kognitiver Verzerrungen und rationales Denken fällt uns schwer. Wenn zwei Dinge hintereinander passieren, dann können wir fast nicht anders, als das eine als die Ursache des anderen zu betrachten. Kopfschmerzen verschwinden, nachdem man ein paar Globuli geschluckt hat? Dann müssen die Glo- herausfanden. buli dafür verantwortlich gewesen sein: Homöopathie wirkt also! Man bekommt eine Impfung und wird danach krank? Dann muss die Impfung die Krankheit verursacht haben: Impfungen sind gefährlich!
Argumente häufig unbrauchbar #
Aber so einfach ist die Realität nicht. Es passieren ständig Dinge; auch wenn man Kopfschmerzen hat. Dann schluckt man ja nicht nur Globuli, sondern trinkt vielleicht auch ein Glas Wasser oder isst irgendwann mal einen Apfel. Man könnte also ebenso behaupten, es wäre das Glas Wasser gewesen, das die Kopfschmerzen geheilt hat. Und unmittelbar bevor man zur Impfung beim Arzt erschienen ist, hat man vielleicht zum Frühstück eine Tasse Kaffee getrunken und eine Schüssel Müsli gegessen. Beides könnte man nun ebenso für die Krankheit verantwortlich machen wie die Impfung.
Wir Menschen sind extrem schlecht darin, über Wahrscheinlichkeiten und den Zufall nachzudenken. Dafür haben wir kein intuitives Verständnis und neigen dazu, Dinge, die ohne Ursache zufällig hintereinander passieren, in einen ursächlichen Zusammenhang zu setzen. Um solche Fehlschlüsse zu vermeiden, hat die Wissenschaft diverse Methoden entwickelt. Will man zum Beispiel wissen, ob es nun wirklich die Globuli waren, die die Kopfschmerzen zum Verschwinden gebracht haben, darf man sich nicht auf einen einzigen Fall verlassen. Man muss möglichst viele Patienten betrachten und sie per Zufall in zwei Gruppen einteilen. Eine wird mit homöopathischen Globuli behandelt, die andere dagegen mit einem Mittel, bei dem definitiv klar ist, dass es keine Wirkung hat (ein „Placebo”). Die Patienten dürfen nicht wissen, in welcher Gruppe sie sich befinden und die behandelnden Ärzte dürfen nicht wissen, ob sie das Placebo verteilen oder nicht. Denn auch das Wunschdenken kann problematisch sein. Wir alle haben gewisse Ansichten darüber, wie die Welt sein sollte und diese Vorurteile fließen in die Beurteilung von Experimenten mit ein. Wer fest davon überzeugt ist, dass Globuli wirken, ignoriert vielleicht unbewusst Hinweise, die das Gegenteil belegen. Auf all das – und noch viel mehr – muss man achten, wenn man etwa in der Medizin die Wirksamkeit eines Medikaments nachweisen will.
Solche „randomisierten Doppelblindstudien” sind aufwendig, aber der beste Weg zu objektiven Erkenntnissen. Und dank solcher immer wieder bestätigten Studien wissen wir schon seit Jahrzehnten, dass Homöopathie nicht besser wirkt als ein Placebo. Wir wissen, dass Impfungen nicht krank machen. Wir wissen, dass die Sterne nichts über unsere persönliche Zukunft aussagen und Astrologie Unsinn ist. Kurz gesagt: Wir kennen den Unterschied zwischen Wissenschaft und Esoterik.
„Wir” sind in diesem Fall aber vorerst nur diejenigen, die gelernt haben, die wissenschaftliche Methode zu benutzen; die gelernt haben zu verstehen, wie Wissenschaft funktioniert (und wie nicht). Und genau das führt zu einem großen Problem in der Wissenschaftskommunikation. Es ist zwar relativ einfach, zweifelsfrei zu zeigen, dass Astrologie nicht funktionieren kann. Ebenso problemlos kann man entsprechende Studien vorlegen, die die Unwirksamkeit der Homöopathie und anderer pseudomedizinischer „Therapien” beweisen. Aber diese Argumente sind für den Diskurs in der Öffentlichkeit so gut wie unbrauchbar.
Scheitern am „kleinen“ Unterschied #
Ich habe das im Laufe meiner Arbeit immer wieder erlebt. Wer an Homöopathie glaubt, an Astrologie oder irgendeiner Verschwörungstheorie anhängt, ist durch rationale Argumente so gut wie nie zu erreichen. Man kann noch so viele wissenschaftliche Studien zitieren oder lange Listen an Fakten und Daten präsentieren: Am Ende scheitert man immer am grundlegenden Unterschied zwischen „Glauben” und „Wissen”. Gerade weil es keine rationale Grundlage für die Esoterik gibt, sind deren Anhänger darauf angewiesen, daran zu glauben. Und Glauben kann man nicht einfach wegargumentieren, ganz im Gegenteil. Je stärker die eigene innere Überzeugung („Astrologie funktioniert”, „Homöopathie wirkt”, ...) angegriffen wird, desto fester wird der Glaube daran (in der Sozialpsychologie wird das „Backfire-Effekt” genannt). Die Esoterik dadurch bekämpfen zu wollen, dass man ihre Anhänger mit Unmengen an Studien und Fakten konfrontiert, ist also nicht nur zwecklos, sondern oft sogar kontraproduktiv.
Meiner Erfahrung nach gibt es nur einen Weg, der nachhaltig funktioniert, wenn man Menschen über Pseudowissenschaft aufklären will. Anstatt ihnen immer wieder zu erklären, wie irrational und falsch ihr Glaube ist, sollte man sich darauf konzentrieren zu vermitteln, wie enorm faszinierend die echte Wissenschaft ist. Je mehr Menschen über Wissenschaft Bescheid wissen und darüber, wie sie funktioniert, desto geringer ist die Chance, dass sie dem Unsinn der Esoterik und esoterischen Geschäftemachern auf den Leim gehen. Der beste Schutz gegen die Unvernunft sind Menschen, die von selbst in der Lage sind zu erkennen, wenn ihnen jemand Unsinn einreden will. Es gilt immer noch, was die Schriftstellerin Marie von Ebner- Eschenbach schon vor mehr als 100 Jahren festgestellt hat: „Wer nichts weiß, muss alles glauben”.
Der Autor ist Astronom, Wissenschaftsautor und -blogger sowie Mitglied der Wissenschaftskabarett-Truppe „Science Busters“