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Image aus dem Zerstäuber#


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 14. April 2011).

Von

Henning Klingen


Image aus dem Zerstäuber

Von allen Sinnesorganen will die Nase am edelsten betrogen werden. Dabei entscheidet sie mehr als alle anderen Sinne über Image, Gedeih und Verderb einer anderen Person. Ein kulturhistorischer Streifzug durch die komplexe Soziologie des Geruchsinns mit dem Philosophen Georg Simmel und dem Parfummarkt-Experten Bodo Kubartz.

Es muss nicht immer der Geruch von Schießpulver in der Luft liegen, wenn Geschichte geschrieben wird. Manchmal ist es auch der Duft von Farn und Lavendel. So etwa 1793, als Marie Antoinette dem Tod unter dem Schafott entgegensah, umduftet von „Quelques Fleurs“, einem Duft ihres Lieblings-Parfümeurs, der ihr Mut machen sollte – und der in der heurigen Saison wieder angesagt ist, so Bodo Kubartz, Parfummarkt- Experte und Co-Autor des „Großen Buches vom Parfum“. Gemeinsam mit Frank Schnitzler, einem der bekanntesten Parfum-Kenner Deutschlands, hat Kubartz Geschichte und Geschichten von über tausend Parfums weltweit zusammengetragen. Wer immer schon einmal wissen wollte, wie sich der Herrenduft von Ermenegildo Zegna in Worte fassen lässt – „Sizilianische Bergamotte tanzt mit Rosmarin und mystischer Kasowarifrucht in den Tag“ – der findet dort Antwort und Anregung.

„Slow perfume“ – Entschleunigte Düfte#

Aber das Buch bietet nicht nur einen Einblick in die feine Lebensart und das Big Business mit den edlen Wässern – es zeigt zugleich: Jede Generation und jede Geschichte kennt auch ihre je eigenen Düfte. Parfum- Moden sind wie „Spiegelbilder der Gesellschaft“ und zeigen „soziale Veränderungen“ an, ist Kubartz überzeugt: Die späten achtziger und neunziger Jahre seien etwa durch „schnörkellose und klare, kaum verspielte Düfte gekennzeichnet“. Die Globalisierung kam nach 1989 erst in Fahrt, die Gesellschaften des Westens sortierten sich neu, Aufregung in der Nase konnte man da nicht brauchen. Einen auch geruchlichen Einschnitt stellt laut Kubartz der 11. September 2001 dar: In den Nasen der Welt habe sich der Verlust der Gewissheiten, die völlige Entgrenzung und das Gefühl des Ausgesetztseins nicht zuletzt in komplexeren und experimentellen Düften niedergeschlagen.

Nicht umsonst hat der Kulturphilosoph Georg Simmel bereits vor rund 100 Jahren festgestellt, dass die „soziale Frage nicht nur eine ethische, sondern auch eine Nasenfrage“ darstellt. Kein anderes Sinnesorgan befindet so rasch und unbestechlich über Zu- und Abneigung, über Gewogenheit, gar erotische Anziehung wie die Nase. Über wen sie gerümpft wird, der hat bereits das Nachsehen; wen man „gut riechen“ kann, hat gute Karten. Entsprechend viel Energie investieren die Menschen heute in die edle Sinnestäuschung. So gaben die Österreicher laut einer Studie des Instituts Evolaris etwa im Jahr 2004 rund 150 Millionen Euro für Parfums und Deos aus, insgesamt investiert man rund 1,2 Milliarden Euro in die Körperpflege – Tendenz steigend.

Selbst die Therapiebranche hat sich des verkanntesten aller Sinne angenommen: So werden Düfte mittlerweile in der Aromatherapie zur gezielten Stimulierung des Hirns, zur Steigerung des Wohlbefindens und zur Behandlung von psychosomatischen Erkrankungen eingesetzt. Die „parfümistische Eroberung der Psyche“, vom Spiegel bereits vor rund 25 Jahren gefordert, sie ist längst Realität geworden.

Image aus dem Zerstäuber
Foto: © Istockphoto (2)

Dabei reicht die Geschichte des Aufstiegs der feinen Duftwässerchen viel weiter zurück – genau genommen bis in die zwanziger Jahre. Mit steigender Verfügbarkeit der Duftstoffe und mit ihrer synthetischen Reproduzierbarkeit konnten Düfte in einer bis dahin nicht da gewesenen Qualität produziert werden. „Chanel No. 5“ aus dem Jahr 1921 steht für den Erfolg und den Aufstieg zum Weltgeschäft.

Mittlerweile werden Düfte längst nicht mehr Tropfen für Tropfen angerührt – sie entstehen am Computer aus einem Formelgewirr, oftmals in netzwerklicher Kooperation von Parfümeuren über die ganze Welt verteilt. Wie bei anderen Gütern der Kulturindustrie, so hat sich auch bei der Bukett- Kunst eine Marketing-Maschinerie vor die Laboratorien geschoben, die Imagetrends ermittelt und in saisonale Flacon-Looks und Nasentauglichkeit ummünzt, weiß Kubartz zu berichten, der in seiner Doktorarbeit die Wissens- und Produktionsflüsse der Parfumindustrie untersucht hat.

Seit den neunziger Jahren hat sich schließlich ein hohes Maß an Marktsättigung eingestellt. In der Folge werden die Absatzstrategien immer ausgefeilter. „Nischendüfte“ heißt laut Kubartz das Zauberwort – auch auf der großen „Global Art of Perfumery“-Messe, die am vergangenen Wochenende mehr als 1100 Besucher und über 100 Aussteller ins deutsche Düsseldorf gelockt hat und die Kubartz mitorganisiert hat. „Slow perfume“ nennt Kubartz diesen Trend – in Anlehnung an den Boom der auf Nachhaltigkeit, Gesundheit und Natürlichkeit setzenden „Slow food“-Bewegung. „Entschleunigung als gesellschaftlicher Sehnsuchtswert hat auch die Parfumbranche erreicht“, ist Kubartz überzeugt.

Das Trennende des Geruchs#

Aber es geht – erneut mit Simmel – noch eine Etage philosophischer: So zeigte er sich in seinem „Exkurs über die Soziologie der Sinne“ überzeugt, dass Sinneseindrücke – im Gegensatz zum philosophischen Mainstream – nichts Äußerliches seien: Sie führen vielmehr „in das Subjekt hinein“, da sie erst ein Erkennen des Anderen in seiner Andersheit ermöglichen. Das Auge „entschleiert dem Andern die Seele“, das Ohr das „Momentane“. Der Geruch hingegen entzieht sich laut Simmel jeder Abstraktion. Denn indem wir riechen, ziehen wir das „ausstrahlende Objekt so tief in uns ein, wie es durch keinen andern Sinn einem Objekt gegenüber möglich ist“.

Dabei scheidet der Geruch mehr, als er verbindet, glaubt Simmel. Während Auge und Ohr „Brücken zwischen den Menschen schlagen“, erscheint ihm der Geruchssinn als „dissoziierender Sinn“. Das Parfum sucht diese Kluft zu überwinden. Es fügt dem Subjekt etwas „völlig Unpersönliches“ hinzu, einen fremden Geruch, der aber im Idealfall so mit dem Subjekt zusammenfällt, als ob er ihm selbst entspringe. „Wie die Kleidung verdeckt es die Persönlichkeit mit etwas, was doch zugleich als deren eigne Ausstrahlung wirken soll.“ Die Kulturkritik kommt zu ihrer Spitze, wo Simmel hinter dem schönen Schein nicht etwa ein selbstbewusstes Ich erkennt, sondern gerade die ins Individuelle gewandete „Auflösung der Persönlichkeit in ein Allgemeines“.

Suche nach Erdung und Verwurzelung#

Fremdheit und Ungewissheit gehören fraglos zu den konstitutiven Bedingungen moderner Gesellschaftsformen. Menschsein ist zur Hochrisikoform geworden – eine Existenzform, die man gerne durch neue Verwurzelungen zu erden versucht. Das starke Ich, konstituiert weniger über Reflexion als vielmehr über Konsum und Image, bildet eine wesentliche Komponente dieses Umgangs mit Ungewissheit. Düfte helfen dabei, ein Ego zu errichten, wo Unsicherheit herrscht; die individuelle Duftnote gehört zur Bastelbiografie wie das iPad zur Mediengesellschaft. „Das Anderssein wird heute in hohem Maße über sensorische Kanäle kommuniziert“, bringt Kubartz das auf den Punkt.

Dabei jedoch – und das lehrt Simmel – strampelt der Mensch sich ab wie ein Hamster im Laufrad, ist sein Streben nach Andersheit doch immer schon gebrochen durch die kulturindustriell verbrämten Güter, mit denen er es zu befriedigen sucht. Es gibt nichts, was die Kulturindustrie nicht entkernt zurückgelassen hat. Wer immer sein Ich durch exklusive Beduftung aufzupolieren versucht, fällt jenem Mechanismus erneut zum Opfer, der das Bedürfnis selbst hervorgebracht hat: der geistlosen Ökonomie, die den Mensch zum Konsument degradiert hat. Ob die Gegenbewegung des „Slow perfume“ das Zeug hat, aus diesem Rad auszubrechen, muss daher offen bleiben. Eine Trendwende bedeutet noch keine Bewusstseinswende. Aber es ist ein Anfang.

DIE FURCHE, 14. April 2011


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