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Poldi-Huberisch und tiefernst#

Der Wiener Bühnenautor, Kabarettist und Librettist Robert Weil genoss im deutschen Sprachraum große Popularität. Vor fünfzig Jahren starb er, völlig verarmt, im New Yorker Exil.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 4./5. Dezember 2010) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Christian Hütterer


"Bei uns zuhauß in Eltarnhauß tuen die frehlichen Weihnachten immar recht frehlich varlauffen. Dar liebe Vatta sagt zu mir und mein Brudarn Ferl schon meisten fier Wochen bevur die feuerlichen Werter: ,Rotzbuam, ös elendige, verdammte! Auf die heurigen Weihnachten heuer könnz enk gefreuen!’"

Mit diesen Worten wird Poldi Huber, "Schieler der IV.b Glasse in Ottakring", von seinem Vater bedacht. Poldi Huber war die populärste Figur des Schriftstellers und Humoristen Robert Weil, der am Beginn des 20. Jahrhunderts zu den beliebtesten Autoren seiner Zeit zählte und heute in Vergessenheit geraten ist.

Robert Weil wurde am 4. August 1881 in Wien-Rudolfsheim als Sohn des k.u.k. Hoflieferanten Morris Weil und dessen Gattin Martha geboren. Er besuchte ein humanistisches Gymnasium, wo er sich besonders für die Gegenstände Deutsch, Latein und Griechisch interessierte. Nach der Matura inskribierte er Jus an der Universität Wien. In jene Zeit fallen auch seine ersten schriftstellerischen Versuche.

Noch während des Jus-Studiums gelang Weil der erste Erfolg: 1905 wurde sein Stück "Irdischer Richter" am Wiener Raimundtheater aufgeführt. Während die Kritiker der Wiener Zeitungen das Stück eher zurückhaltend beurteilten, wurde es vom Publikum mit großer Begeisterung aufgenommen.

Ein Jahr später promovierte Robert Weil zum Doktor der Rechte und absolvierte ein Rechtspraktikum an drei Wiener Gerichten; dies sollte allerdings seine letzte juristische Tätigkeit sein. 1907 folgte der nächste Schritt hin zu einer Karriere als Schriftsteller: Weil bewarb sich um eine Stelle an der Urania und hielt dort Vorträge. Gleichzeitig setzte er seine schriftstellerische Arbeit fort und verfasste – zum Teil unter dem Pseudonym Homunkulus – Dramen, Gedichte und Artikel für Zeitungen.

Kabarettist wider Willen#

Bald darauf wurde ihm vorgeschlagen, am neu gegründeten Kabarett "Der Himmel" mitzuwirken. Weil verstand sich als Literat und meinte, dass die Kleinkunst unter seiner Würde sei, entschied sich schließlich aber doch für eine Mitarbeit. Nach dem Ende der ersten Vorstellung forderte das Publikum Weil zu einer Zugabe auf. Der trug zufällig das Manuskript eines noch unveröffentlichten Textes bei sich und beschloss spontan, diesen vorzutragen. Was nun folgte, beschreibt Weil in seiner Autobiographie folgendermaßen: "Ich las den ersten Schulaufsatz Poldi Hubers – er behandelte ein Weihnachtsfest im Elternhaus – aus dem Manuskript vor und mein Sieg war besiegelt! Wohl eine Viertelstunde lang rief, tobte, schrie die begeisterte Menge nach mir."

Mit diesem Abend begann der Aufstieg Robert Weils zu einem der bekanntesten und beliebtesten Humoristen seiner Zeit: "Es öffneten sich mir plötzlich alle Wiener Salons, auch diejenigen, die sich mir, als ich noch literarische Dramen schrieb und in zerrissenen Schuhen herumlief, vorsichtig verschlossen hatten."

Weils Ruhm beschränkte sich aber keineswegs auf Wien. In den folgenden Jahren bot er seine humoristischen Programme im gesamten deutschen Sprachraum dar. Der breite Erfolg hatte allerdings auch eine bittere Seite: Weil wusste seinen Aufstieg als Kabarettist zwar durchaus zu schätzen, zugleich aber fühlte er sich als Dramatiker zu wenig geschätzt und litt unter dem Umstand, dass kein einziges seiner Stücke den Weg auf eine der großen Bühnen schaffte.

Mahner vor dem Krieg#

Sogar in höchsten Kreisen stießen Weils Darbietungen auf Gefallen, und so wurde er im März 1914 von Thronfolger Franz Ferdinand eingeladen, eine Festrede zu einer Feier des österreichischen Flottenvereines zu halten. Die Veranstaltung endete allerdings mit einem Skandal: Anstelle eines heiteren Abends bekamen die Teilnehmer Unerwartetes zu hören. Weils Vortrag trug den Titel "Österreichs Zukunft und seine Flotte", doch sein Inhalt war anders als erwartet. Nach Weils Vorstellung sollte die Flotte nämlich nur friedlichen Zwecken dienen, um "so rasch als möglich den Weg zu allen Völkern des Erdballs zu finden". Weil warnte vor der Anlehnung an das überstarke Deutschland und vor einem Krieg, denn dieser würde furchtbare Konsequenzen haben: "Die Niederlage Österreichs bedeutet unweigerlich seinen früheren oder späteren Zerfall, die Auflösung in seine auseinander strebenden nationalen Elemente. Darum äußerste Vorsicht! Vermeidung aller Spannungen! Keine herausfordernde Kraftmeierei!"

Weil sollte Recht behalten und der von ihm erwartete Krieg bald ausbrechen. Der Autor verrichtete seinen Dienst im Ersten Weltkrieg als Offizier der Deutschmeister und gehörte zu den Gründern eines Fronttheaters. Zugleich setzte er seine schriftstellerische Tätigkeit fort, veröffentlichte mehrere Bücher, aber auch weitere Aufsätze des Poldi Huber. Sie wurden zu einem Bestseller und erreichten eine Auflage von sieben Millionen Exemplaren. Auch privat gab es eine große Veränderung in Weils Leben: Im Jänner 1918 heiratete er Henriette Ortner, mit der er zwei Töchter haben sollte. Bald nach dem Ende des Krieges schrieb Weil gemeinsam mit Ernst Decsey das Theaterstück "Sissys Brautfahrt", das von der Liebesgeschichte zwischen Kaiser Franz Josef und Elisabeth von Bayern, genannt Sissy, handelte. 1932 wurde das Stück zu einem Singspiel mit dem Titel "Sissy" umgearbeitet und mit der Musik von Fritz Kreisler am Theater an der Wien aufgeführt.

Das Stück war dermaßen erfolgreich, dass die drohende Schließung des Theaters abgewendet werden konnte. Damit war auch der Grundstein für einen der größten Erfolge des Regisseurs und Drehbuchautors Ernst Marischka gelegt: Dieser sollte den Stoff nach dem Zweiten Weltkrieg mit Romy Schneider in der Hauptrolle verfilmen.

Robert Weil schaffte neben diesen populären Stücken endlich auch den lange ersehnten Durchbruch an den großen Bühnen: Er schrieb unter dem Pseudonym Gustav Holm gemeinsam mit Ernst Decsey den Text der Oper "Dame im Traum", die am 26. Dezember 1935 an der Wiener Staatsoper erstmals aufgeführt wurde.

Schon nach dem Ende des Ersten Weltkrieges hatte Weil begonnen, sich für das damals neue Medium Film zu interessieren. 1927 schreib er den Text zu "Walpurgiszauber", bei dem der noch unbekannte Ernst Marischka Regie führte. Dieser Film wurde zum Beginn einer langen und intensiven Zusammenarbeit. Weil und Marischka schufen zwischen 1933 und 1938 an die 30 Filme. Der erfolgreichste davon war "Frühjahrsparade", für den Robert Stolz die Musik komponierte und in dem Paul Hörbiger, Fritz Imhoff, Theo Lingen und Hans Moser als Darsteller mitwirkten.

Wegen der Nürnberger Rassengesetze konnte Robert Weils Autorschaft in vielen Fällen nicht genannt werden, und die Stücke erschienen als Werke von Ernst Marischka.

Diese sehr schöpferische Phase in Weils Leben endete 1938 abrupt. Unmittelbar nach dem Anschluss musste der Autor mit seiner Frau Henriette nach Prag fliehen. Knapp vor dem deutschen Einmarsch in der Tschechoslowakei reiste Weil nach Zürich weiter, wo er als mittelloser Flüchtling bei Verwandten unterkommen konnte. Die Duldsamkeit der Schweizer Behörden war allerdings nicht sonderlich groß, man drohte dem Exilanten mehrmals mit der Abschiebung in das Deutsche Reich.

Rettung brachte ein von Upton Sinclair unterzeichnetes amerikanisches Affidavit, das Weil und seiner Frau die Ausreise nach New York ermöglichte. Robert Weil hatte nun sein Leben zwar gerettet, musste es aber von Grund auf neu gestalten. Viele seiner Freunde konnten nicht fliehen, und für ihn, der als Schriftsteller hauptsächlich über typisch wienerische Themen gearbeitet hatte, gab es kaum Möglichkeiten für ein Fortkommen in seinem Metier. Zum einen hatte er Probleme mit der englischen Sprache, zum anderen konnte er sich nur schwer auf den Humor seiner neuen Heimat einstellen.

Nahezu alle Versuche Weils, erneut als Autor tätig zu werden, scheiterten. Auch die literarische Aufarbeitung eines Kriegsverbrechens findet kaum ein Echo: 1943 zerstörten NS-Truppen das tschechische Dorf Lidice, vertrieben Frauen und Kinder und töteten alle Männer des Ortes. Robert Weil schrieb kurz darauf das Buch "This was Lidice", in dem diese Gräueltaten geschildert werden. Der Verlag verzögerte den Druck des Buches allerdings mehrmals, und als es dann endlich doch erschien, war das große öffentliche Interesse an diesem Drama geschwunden.

Poldi Hubers Idiom#

In der Emigration vertiefte Weil den Kontakt zu seinem alten Freund Robert Stolz und begann die Arbeit an einer Biographie des Komponisten, die 1948 unter dem Titel "Im Dreivierteltakt durch die Welt" erschien. Dieses Buch war zwar vergleichsweise erfolgreich, an die alten Erfolge konnte es aber bei weitem nicht anschließen. Robert Weil geriet auch in wirtschaftliche Nöte, denn er war trotz seiner unzähligen Publikationen kein geschäftstüchtiger Schriftsteller. Schon zu Zeiten, als seine Werke hohe Auflagen erreichten, hatte er für ihn nachteilige Verträge unterschrieben und es nie zu Wohlstand gebracht. In New York verschlechterte sich seine finanzielle Lage weiter, und Weil musste sich sogar als Depeschenbote durchschlagen.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg Ernst Marischka mit den Sissi-Filmen einen großen Erfolg landete, wollte Weil das Urheberrecht an diesem Stoff rechtlich überprüfen lassen. Allerdings konnte er sich diesen Schritt, der seine finanzielle Misere wohl beendet hätte, schlicht nicht leisten. Robert Weil starb schließlich verarmt am 5. Dezember 1960 in New York.

Was bleibt von Weil? Als Autor und Kabarettist geriet er in Vergessenheit, seine Bücher sind nur noch antiquarisch erhältlich, und auch bei den Sissi-Filmen denkt heute wohl kaum jemand an Robert Weil. In der Sprache hat er allerdings seine Spur hinterlassen, denn noch heute wird gesagt, dass jemand Poldi-Huberisch spricht. Der Dialektforscher Wolfgang Teuschl definiert dieses Poldi-Huberisch als "eine Art ,Kunst-Hochdeutsch’, entstehend beim krampfhaften Bemühen von normalerweise nur Dialekt Sprechenden, sich auf hochdeutsch zu artikulieren. Vor allem unter Fußballern und Politikern verbreitet."

So lebt der Schüler aus Ottakring bis heute fort.


Christian Hütterer, geboren 1974, Studium der Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, Diplom in Europäischen Studien der Universität Louvain-la-Neuve (Belgien); im EU- und Internationalen Dienst der Parlamentsdirektion tätig.

Wiener Zeitung, 4./5. Dezember 2010


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