Mein Freund, der Sherpa #
Pasang Dawa Lama war für Österreich, was Tenzing Norgay für Großbritannien war: Der Sherpa mit dem Zug zum Gipfel, Motor erfolgreicher Expeditionen und bester Freund zugleich.#
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (3. Jänner 2013)
Von
Wolfgang Machreich
Sherpa Jungboo zieht Fritz Moravec zur Seite: „Bara Sahib komm, der Mann singt das Lied vom Sherpa Tenzing!“ Die österreichische Himalaya- Dhaulagiri-Expedition 1959 ist auf ihrem Weg zum Basislager; Moravec, drei Jahre vorher Erstbesteiger des Gasherbrum II, ist der Expeditionsleiter. In diesem Moment vergisst er seine organisatorischen Mühen und ist ganz eingenommen von dem mit tiefer Stimme vorgetragenem Lied, lässt es sich ein zweites- und drittes Mal vorsingen: „Die Melodie ging ins Ohr. Sie war so stark, so einprägsam, dass ich sie nun schon mitsummen konnte. Auch die immer wiederkehrenden Worte des Liedes: ‚Hanro Tenzing sherpa lea chareow Himal chuchura …‘ waren mir schon geläufi g. Jungboo musste übersetzen: ‚Auf dem Gipfel des Himalaya war Sherpa Tenzing …‘
Sherpa Tenzing Norgay war 1953 gemeinsam mit dem Neuseeländer Edmund Hillary die Erstbesteigung des Mount Everests für Großbritannien geglückt; Hillary wurde geadelt, Tenzing ein Volksheld. Sein Leben war fixer Bestandteil der Schulbücher und diejenigen, die nicht lesen konnten, hörten im Tenzing-Lied von seinen Heldentaten. „Jeder unserer Sherpas“, überlieferte Moravec, „trug bei sich ein Bild mit einer persönlichen Widmung Tenzings. Er ist ihr Abgott.“
Jungboo zeigte Morawec sein Bild des Nationalhelden. „Wäre Pasang Dawa Lama dabeigestanden“, macht Moravec eine wichtige Einschränkung, „er hätte es nicht gezeigt.“ Denn: „In Pasangs Gegenwart verstummt sofort jedes Gespräch über Tenzing Norgay, den populärsten Sherpa.“
Eifersucht auf den Weltbergen? Eher sportliche Konkurrenz zwischen Spitzenbergsteigern. Pasang Dawa Lama war der Sherpa-Chef der Dhaulagiri-Expedition, empfohlen und vermittelt von Herbert Tichy, mit dem er 1954 den 8201 Meter hohen Cho Oyu erstbestiegen hatte. Neben Tenzing, Ang Tharkey und Gyalzen Norbu gehörte Pasang zu den prominentesten Sherpas des 20. Jahrhunderts. Mit der Erstbesteigung des Everests galt aber Tenzing als der Beste unter den Besten.
Dabei hatte es Pasang Dawa Lama in der Hand gehabt, zur Legende zu werden. 1939 versuchte eine US-Expedition die Erstbesteigung des K2. Gemeinsam mit dem Deutsch-Amerikaner Fritz Wiessner erreichte Pasang am zweithöchsten Berg der Welt eine Höhe von 8382 Meter. Nur wenige Meter fehlten bis zum Gipfelgrat. Wiessner war sich ihres Erfolgs gewiss, da verweigerte ihm Pasang die Gefolgschaft. Es war sechs Uhr abends, Pasang verlangte umzukehren. Für Pasangs Haltung kursieren zwei Erklärungen: Die erste sagt, er fürchete, dass nachts böse Berggeister auf dem Gipfel hausen, die sie umbringen. Laut zweiter Meinung hat Pasang kühlen Kopf bewahrt und gespürt, dass sie die Nacht draußen nicht überstehen oder beim nächtlichen Abklettern der Gipfelwand abstürzen würden. Wie auch immer. Der Gipfel des K2 wurde erst 15 Jahre später von einer italienischen Expedition bestiegen. Ein Erfolg des Duos Wiessner/Pasang bereits 1939 hätte die Besteigungsgeschichte der 8000er völlig umgekrempelt. So aber wurde das Duo Hillary/Tenzing zur Legende und ein Tenzing- und kein Pasang-Lied in den Tälern Nepals gesungen.
Wette mit dem zukünftigen Schwiegervater #
Dafür konnte sich Pasang in die Annalen der österreichischen Achttausender- Besteigungen einschreiben. Der Dhaulagiri- Versuch 1959 scheiterte, Pasang musste mit Karl Prein wegen Sturms auf 7800 Meter umdrehen. Aber die Erstbesteigung des Cho Oyu 1954 durch das Trio Tichy/Sepp Jöchler/Pasang wäre ohne die Leistung des Sherpas unmöglich gewesen. In drei Tagen war er von gut 4000 Meter auf den mehr als doppelt so hohen Gipfel gestiegen. Zuerst den Provianttransport organisierend und schließlich seine zwei Freunde geleitend.
Beim Absteig wurde klar, was Pasang zu seinem alpinen Husarenstück auch motivierte: Er war eine Wette mit seinem zukünftigen Schwiegervater eingegangen. Kommt der Sherpa mit dem Gipfel zurück, erhält er seine Auserwählte ohne Brautpreis. Ansonsten muss er 1000 Rupien, eine Riesensumme, bezahlen. Pasang bestieg den Gipfel, gewann die Wette und die Frau – laut Herbert Tichy wurde es eine glückliche Ehe. So wie die Hoch-Zeit im zweifachen Wortsinn nach der Cho Oyu-Besteigung: „Glückliche Tage“, zitiert Tichy seinen Freund, als sie Hochzeit feiernd „entweder beschwipst oder völlig betrunken“ den Rückmarsch bestritten. „Ha, glückliche Tage!“, jubelte Pasang immer wieder: „Ein sehr hoher Gipfel!“