Die schönste Eroberung eines 8000ers #
Mit der Erstbesteigung des Cho Oyu vor 60 Jahren revolutioniert Herbert Tichy das Himalaya-Bergsteigen: Rücken sonst Hundertschaften aus, um die höchsten Berge der Welt zu besiegen, gewinnt seine Mini-Expedition das Gipfelglück in voller Harmonie. #
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 23. Oktober 2014)
Von
Wolfgang Machreich
Erich Frieds Gedicht „Was es ist“ lässt sich auch als Resümee der Erstbesteigung des 8188 Meter hohen Cho Oyu lesen. Denn als der Wiener Herbert Tichy und die beiden Tiroler Sepp Jöchler und Helmut Heuberger mit einem Dutzend Sherpas im Spätsommer 1954 zum sechsthöchsten Berg der Welt an der Grenze zwischen Nepal und Tibet aufbrechen, sagt auch die alpine Vernunft, dass das Unsinn ist. Die Einsicht in Bergsteigerkreisen kommentiert dieses Vorhaben als aussichtslos. Die Vorsicht warnt, es ist leichtsinnig, mit einem derartig kleinen Team einen derartig hohen Berg anzugehen – und die Himalaya-Erfahrung ist überzeugt, dass es unmöglich ist.
Ein spirituelles Ereignis #
„Eine Expedition in den Himalaya war damals so, als würde man heute zum Mars fliegen“, wird im Buch „Austria 8000 – Österreichische Alpinisten auf den höchsten Gipfeln der Welt“ (Tyrolia 2013) ein Teilnehmer der erfolglosen argentinischen Dhaulagiri Expedition 1954 zitiert. Vier der 14 Achttausender sind damals erst bestiegen. Viele Großexpeditionen mit hunderten Bergsteigern, Sherpas, Trägern und tonnenschwerer Ausrüstung waren dazu nötig, haben jahrzehntelang diese Berge belagert, sind immer wieder gescheitert, bis sie die Bergriesen besiegen konnten. Dieser Logik folgend sagte Edmund Hillary nach seiner Erstbesteigung des Mount Everest 1953: „Nun haben wir den Bastard umgelegt!“ Im gleichen Jahr gelingt zwar dem Österreicher Hermann Buhl die Besteigung des Nanga Parbat im Alleingang. Bis zum letzten Höhenlager war aber auch er Teil einer großen Expedition, die endlich den Sieg über den „deutschen Schicksalsberg“ nach Hause bringen sollte.
Das ist der Rahmen, aus dem Tichys Plan fällt. Allen Einwänden zum Trotz beharrt er darauf, das es ist, was es ist. Und für ihn ist das eine Entscheidung des Herzens, nicht des Kopfes, denn sein Bergsteigen hat er einmal so erklärt: „Ich habe die Gipfel geliebt, wie ich einzelne Menschen liebte, als gleichwertige Teile eines größeren Ganzen.“ Gleichwertig behandelte Tichy auch die Sherpas, was sich letztlich als das Geheimnis des Erfolgs dieser Expedition herausstellt. So wie er den Berg kennenlernen und sehen wollte, „auf welchen Graten und Flanken wir uns in Harmonie mit ihm treffen können“, so setzte Tichy auch in seinem Team auf Harmonie statt Hierarchie. In einer ORF „Land der Berge“-Dokumentation zum Jahrestag dieser Expedition sagt Bergpapst Reinhold Messner, dass die Erstbesteigung des Cho Oyu am 19. Oktober 1954 für ihn die „schönste Eroberung“ eines Achttausenders gewesen ist, weil es eine „Nicht-Eroberung“ war, kein Krieg, sondern ein spirituelles Ereignis. Tichy am Gipfel: „Die Welt ist von einer nie erlebten, wohlwollenden Güte. Die Wand, die mich sonst von den anderen Dingen trennt, ist niedergebrochen. Die wenigen Erscheinungen, aus denen meine Welt noch besteht – der Himmel, das Eis, die Felsen, der Wind und ich –, sind ein unteilbares, göttliches Ganzes … Es ist der Himmel, der die halbe Stunde des Gipfels beherrscht.“
Eine Wette treibt den Sherpa an #
Die Hölle hatten er und drei Sherpas zwei Wochen vorher auf 7000 Meter erlebt. Ein Sturm reißt das Zelt aus der Verankerung und droht es wegzublasen. Tichy hält es zurück, doch dabei kommen seine bloßen Hände in den Schnee und die Finger erfrieren. Es ist ein Wunder, dass sie es in tiefere Lagen schaffen, aber Tichy verzweifelt: „Die Hände sind tot, und der Gipfel ist verloren.“ Zu allem Überdruss kommt auch noch eine Schweizer Expedition an und will sich ebenfalls am Cho Oyu versuchen. Doch Tichys Sherpa Pasang Dawa Lama beweist sich als Lokomotive der Expedition, steigt in drei Tagen von 4000 Meter Höhe auf den mehr als doppelt so hohen Gipfel – und zieht Tichy und Jöchler in seiner Spur mit. Beim Abstieg wird klar, was Pasang zusätzlich motivierte: Er war eine Wette mit seinem zukünftigen Schwiegervater eingegangen. Kommt er mit dem Gipfel zurück, erhält er seine Auserwählte ohne Brautpreis. Ansonsten muss er 1000 Rupien, eine Riesensumme, bezahlen, ohne die Frau heiraten zu dürfen. Pasang gewinnt die Wette und die Frau. Am Rückweg vom Berg wird mit den drei Österreichern als Ehrengästen geheiratet.
„Nach einem richtig bestandenen Abenteuer ist man angekommen: bei sich selbst“, ist Tichy überzeugt: „Echte Abenteuer lassen sich nicht in Kältegraden, Höhenmetern und Biwaknächten messen. Das sind Nebensächlichkeiten, die man bald vergessen hat. Was bleibt, ist das Wissen von einer großartigen Harmonie, die das eigene Ich mit den übrigen Dingen verbindet; ein Wissen, das wie ein tröstender Freund immer gegenwärtig ist, wenn uns das Leben hart anpackt.“ Oder wie es der Dichter formuliert hat: „Es ist was es ist / sagt die Liebe.“