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Speerwurf durchs Jahrhundert#

Zum 100. Geburtstag von Herma Bauma, Österreichs einziger Leichtathletik-Olympiasiegerin (1948): Ihr Leben glich einer turbulenten Reise durch die Gefilde von Sport, Politik und Zeitgeschichte.#


Von der Wiener Zeitung (Samstag/Sonntag, 24./25. Jänner 2015) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.

Von

Andreas Maier


Historische Aufnahmen der Speerwerferin Herma Bauma
Historische Aufnahmen der Speerwerferin Herma Bauma (1915-2003) und die Goldmedaille von den Olympischen Spielen in London 1948, die sich nun im Besitz ihrer Nichte befindet.
© Foto: Andreas Maier

Am Samstag, 31. Juli 1948 schleuderte Herma Bauma ihren Speer durchs Londoner Wembley Stadion. Er beschrieb in der Luft eine Parabel, an deren Ende die olympische Rekordweite von 149 feet, 6 inches oder 45,57 Meter gemessen wurde. Das war der Olympiasieg. Es sind keine Triumphgesten überliefert, kein nach außen gekehrtes Sieger-Ich, kein hochgestreckter Arm. Das hat sie unterm Hitler sicher oft genug gemacht, den Arm hochstrecken. Nach dem Erfolg freute sie sich am meisten über die Geschenke ihrer Sportkolleginnen - ein Stückerl Schokolade, ein paar Zuckerln, ein paar Blumen: "Das hat mich derartig gerührt, dass das für mich mehr beeindruckend war als alles andere." Sechs Wochen später warf sie im vollbesetzten Praterstadion, das heute nach Ernst Happel benannt ist, den Speer auf die Weltrekordweite von 48,63 Meter. Sportlich war sie am Höhepunkt.

Zwei Europarekorde#

Hermine Leopoldine "Herma" Bauma wäre am 23. Jänner hundert Jahre alt geworden. Die Wienerin hat den bis heute einzigen österreichischen Leichtathletik-Olympiasieg errungen. Zu ihrer Laufbahn gehören zwei weitere Olympiateilnahmen (4. und 9. Platz), zwei Europarekorde, Silber bei den Frauenweltspielen 1934 und den Europameisterschaften 1950, Silber bei Weltmeisterschaften im Feldhandball, 15 österreichische Meistertitel im Speerwurf, drei im Fünfkampf und ein Deutscher Meistertitel im Speerwurf 1942.

Obwohl die Präsenz von Herma Bauma im öffentlichen Gedächtnis verblasst ist, kann die Wirkung der im Jahr 2003 Verstorbenen nicht hoch genug geschätzt werden: als Jahrhundertsportlerin, als Frau, die sich über Konventionen hinwegsetzte und Karriere gemacht hat, und als Impulsgeberin für den mentalen Wiederaufbau nach 1945. Hinterlassen hat sie auch eine wechselhafte, bisher weitgehend unbekannte politische Biografie.

Herma Bauma war ein Idol der Nachkriegszeit. Eine, die als Tochter eines Ottakringer Straßenbahners aus einfachen Umständen heraus Erfolg hatte. "Sie war ein rechtes Buamermadel, und kein Spiel war ihr wild genug", heißt es in einem 1948 geschriebenen Büchlein über ihre Kindheit. Unter Sportlerinnen galt sie als "ein bissl eine Autoritätsperson", wie Elfriede Reichert (Steurer), Olympiateilnehmerin 1948 und 1952, erzählt. Bauma kümmerte sich als Kapitänin um Probleme und Pro-blemchen ihrer Kolleginnen.

"Chefin" oder "Mama" haben einige sie genannt. Ihre Haare trug sie schulterlang, sie hatte ein freundliches Gesicht. Manch goldenem Wienerherz war ihre Erscheinung nicht weiblich genug. Und sie lebte mit einer Freundin zusammen, Alice Kaufmann, eine Handballspielerin, Widerstandskämpferin und Journalistin: "Da ist getuschelt worden", erzählt Olympiasportlerin Reichert.

1948 wurde Herma Baumas Schlüsseljahr. Auch für das junge Österreich waren die Ereignisse mehr als markant. "Der Beitrag des Sports zur Entstehung eines österreichischen Nationsbewusstseins kann gar nicht überschätzt werden", sagt der Historiker Matthias Marschik. Ein Gedanke, der auch für die bevorstehenden Jubiläen zu 70 Jahre Kriegsende und 60 Jahre Staatsvertrag ergiebig ist. Allein die Einladung zur Olympia-Teilnahme hatte Symbolkraft. Anders als Deutschland war Österreich bei den Olympischen Spielen 1948 in St. Moritz und London bereits teilnahmeberechtigt. Nur Josef "Bubi" Bradl, dem ersten 100-Meter-Skispringer, wurde nach einem Protest Norwegens wegen seiner SA-Mitgliedschaft ein Start bei den Winterspielen verweigert. Die ehemalige "Ostmark" entkam auf der sportlichen Bühne der Quarantäne. Kurz nach 1945 brauchte Österreich Symbole, emotionale Gemeinsamkeiten und Erfolge. All das bot der Sport.

Während der NS-Zeit#

In Herma Baumas langer Karriere, die 1931 begonnen hatte und zwei Jahrzehnte später schrittweise in die Sportadministration überging, flog ihr Speer niemals durch einen politikfreien Raum. In der NS-Zeit hatte der Sport eine große Aufwertung erfahren. Es ging um die Demonstration deutscher Überlegenheit, Ideologievermittlung, Ablenkung, Kriegsvorbereitung und die scheinbare Aufrechterhaltung von Normalität auch während der Kriegsjahre.

Politik spielte mehrfach eine Rolle in Herma Baumas Leben. Vieles davon war bis zu einer Veröffentlichung des Historikers Manfred Mugrauer im Dezember 2014 unbekannt ("Steht vollkommen auf unserer Seite...", Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft, Nr. 4/14). Es erzählt viel über eine Person, die versucht, sich selbst zu schützen und eine Lebensgrundlage zu schaffen, wie über die Verquickung von Sport und Politik in unterschiedlichsten ideologischen Systemen.

Bereits im März 1938, kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich, wurde Herma Bauma Mitglied im BDM (Bund Deutscher Mädel). Ab Ende 1942 war sie als "hauptamtliche Sportreferentin" in der Wiener Gebietsführung der Hitler-Jugend tätig, wo sie die leistungsmäßig besten Mädchen Wiens trainierte. Im Oktober 1943 wurde sie für eine Sportlehrerausbildung am Hochschulinstitut für Leibesübungen in der Sensengasse freigestellt. Sie absolvierte die zwei Semester gemeinsam mit Fritzi Schwingl, der Bronzemedaillengewinnerin von London 1948 im Kanu.

Im August 1944 schloss Bauma ihr Sportlehrerexamen erfolgreich ab. Danach wurde sie "dienstverpflichtet", mit einer Kinderlandverschickung nach Bayreuth zu gehen. Nach Kriegsende kehrte sie zurück nach Wien. Die "Gauakte" im Österreichischen Staatsarchiv führt Herma Bauma ab 1. November 1943 mit der NSDAP-Mitgliedsnummer 9.640.467. Sie selbst schrieb 1945, dass sie nur "Anwärterin" auf eine Parteimitgliedschaft gewesen sei und niemals einen Ausweis oder eine Nummer erhalten habe. Persönlich brachte ihr die NS-Zeit schwere Einschnitte. Ihr zwei Jahre älterer Bruder wie auch der Mann ihrer jüngeren Schwester sind "im Krieg geblieben". Die Sprache der Archive drückt eine deutliche Nähe zu Institutionen des Nationalsozialismus aus. Wie Baumas innere Haltung aussah, ob sie als erfolgreiche Sportlerin vereinnahmt oder unter Druck gesetzt wurde, sich aus Opportunismus angepasst hat oder unbemerkt Akte des Widerstands setzte, bleibt offen. Tatsächlich engagiert hat sie sich später in einer politisch ganz anderen Richtung.

Ihre Wegbegleiterin#

Und dann war da Alice Kaufmann. Ihre vier Jahre jüngere "jahrzehntelange Wegbegleiterin", wie Heinz Fahnler in der "Wiener Zeitung" schrieb. Eine Freundin "für die Seele", wie Eva Janko, Olympiabronzemedaillengewinnerin 1968 im Speerwurf, sagt. Es war in engeren Sportkreisen bekannt, dass Kaufmann und Bauma zusammenlebten. Niemand machte ein großes Thema daraus. "Zum Heiraten habe ich nie Zeit gefunden", hieß es bei Bauma lakonisch. Beide spielten Handball und dürften sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg gekannt haben. Ihre Wege gingen zunächst in völlig konträre Richtungen. Herma Bauma hatte einen Freund, der im Krieg umgekommen war, wie ihre Nichte Elisabeth Wildner erzählt.

Kaufmann gelang 1939 die Flucht aus Wien zu ihrem Bruder nach Frankreich, nachdem ihr Mann von den Nazis ermordet worden war. Sie schloss sich der Résistance an und war unter dem Decknamen Renée Alix in Lyon im Kampf gegen das Nazi-Regime aktiv. Später veranstaltete sie Hallen-Handballturniere und war Sportjournalistin, bis 1953 beim kommunistischen "Abend", danach als Ressortleiterin beim Boulevardblatt "Express", später in der "Wiener Zeitung". Alice Kaufmann ist 2002 verstorben.

Politisch exponiert hat sich Herma Bauma in einer vergleichsweise kurzen Zeit, zwischen 1948 und 1952, und zwar im Umfeld der KPÖ. Über ihren Olympiasieg berichtete sie exklusiv in der kommunistischen Zeitschrift "Woche" und schrieb für weitere kommunistische Medien. Nähe zur KPÖ zeigte auch ihr Engagement in der Friedensbewegung. 1950 wurde sie in den "Österreichischen Friedensrat" gewählt.

Sportpolitisch war Herma Bauma bei der Gründung des ASVÖ (Allgemeiner Sportverband Österreichs) aktiv. Nachdem mit "ASKÖ" und "Union" bereits zwei politisch deklarierte Sport-Dachverbände in Rot und Schwarz geschaffen worden waren, forcierte die KPÖ ab 1948 die Etablierung eines unabhängigen Dachverbands. Mehrere KPÖ-Mitglieder waren bei der Gründung 1949 im Vorstand vertreten. Herma Bauma fungierte als erste Frauenreferentin des ASVÖ. Zunehmend traten auch Vereine mit deutschnationaler Tradition dem Verband bei. 1952 kam es zum Eklat. Bauma wurde wegen ihres Friedensengagements aus dem Wiener Landesverband des ASVÖ ausgeschlossen.

In Sportadministration#

Hauptberuflich war Herma Bauma seit November 1948 im Unterrichtsministerium angestellt. Als Dank für ihren Olympiasieg hatte sie eine Stelle in der Sportabteilung erhalten. Von 1971 bis zu ihrer Pensionierung 1977 leitete sie das neu geschaffene Bundessportzentrum Südstadt - eine für eine Frau damals unübliche Führungsposition. Der Abgang gestaltete sich äußerst unschön. Bei der Rückkehr vom Urlaub sei plötzlich ein anderer Mitarbeiter an ihrem Schreibtisch gesessen.

Bei der Wahl zu "Österreichs Sportlerin des Jahrhunderts" reihten Journalisten sie 1999 auf den zweiten Platz hinter Skirennläuferin Annemarie Moser-Pröll. Im Sommer 2002 erlitt Herma Bauma in ihrer Wohnung in Alterlaa einen Schlaganfall. Ellen Müller-Preis, Fecht-Olympiasiegerin von Los Angeles 1932, besuchte sie danach im Pflegeheim.

Herma Bauma ist am 9. Februar 2003 gestorben. Die Stadt Wien beschied ihr ein Ehrengrab und benannte eine Straße im 3. Bezirk neben dem Österreichischen Staatsarchiv nach ihr. "Olympia-Siegerin in Speerwurf 1948" steht sprachlich nicht ganz treffsicher auf dem erklärenden Schild.

Andreas Maier, geboren 1972, lebt in Wien. Medienverantwortlicher beim Vienna City Marathon und im Österreichischen Leichtathletik-Verband. Autor des Buches "Franz Stampfl - Trainergenie und Weltbürger" (SportImPuls, 2013).

Wiener Zeitung, Samstag/Sonntag, 24./25. Jänner 2015


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