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Der Fremdenverkehr als Stadtplage #

Alle wollen nach Amsterdam. Doch die Stadt hat genug von einem unendlichen Touristenstrom. Im neuen Jahr werden Besucher das merken. #


Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: DIE FURCHE (Donnerstag, 14. Dezember 2017).

Von

Tobias Müller


Ein wenig Disneyland. In der Amsterdamer Innenstadt profitieren dieses Jahr die Touristen von den Schneefällen und den kühlen Temperaturen. Die Amsterdamer selbst stöhnen unter dem Massenandrang., Foto: pxhere.com
Ein wenig Disneyland. In der Amsterdamer Innenstadt profitieren dieses Jahr die Touristen von den Schneefällen und den kühlen Temperaturen. Die Amsterdamer selbst stöhnen unter dem Massenandrang.
Foto: pxhere.com, unter PD

Planen Sie 2018 einen City Trip nach Amsterdam? Dabei könnte Ihnen das Folgende widerfahren: mitten in der überlaufenen Einkaufsgegend zwischen Hauptbahnhof und Rotlichtviertel beginnt auf einmal der Gepäck-Sticker, den Sie am KLMSchalter bekamen, zu Ihnen zu sprechen: „Dies ist die touristischste Straße, die es gibt. Wir empfehlen Ihnen anderswo hinzugehen und das echte Amsterdam zu entdecken.“ Das intelligente Care Tag ist ein gemeinsames Projekt der niederländischen Fluggesellschaft, eines Reklame-Büros sowie der Stadtverwaltung Amsterdams. Es enthält 300 Tipps für Besucher der Grachtenmetropole, die per GPS aktiviert werden. Ein innovativer Gimmick, von dem vermutlich so einige Touristen Gebrauch machen werden. Doch es ist mehr als das: Es handelt sich um den neuesten Versuch, das Besucher-Aufkommen in Amsterdam zu steuern.

Man kennt diese Idee inzwischen aus den touristischen Hotspots Europas. Aus Venedig und Barcelona, wo man sich wie in Amsterdam seit Jahren über immer mehr Besucher beschwert. Aber auch aus Wien, wo grundsätzlich noch ein Anstieg der Zahlen angepeilt wird, redet man von „Entzerrung“ der touristischen Ströme. In Amsterdam indes belässt man es längst nicht mehr bei diesem Schritt, sondern greift immer mehr zu drastischen Mitteln. Die seit Generationen beschwärmte Grachtenstadt mit weltbekannten Coffeeshops und Museen will weniger Besucher anlocken.

Seltsame Anmutung #

Der Konflikt mutet vor Ort bisweilen seltsam an. Was daran liegt, dass er sich teilweise auf groteskem Terrain abspielt. Ein Beispiel, das zuletzt in In- und Ausland einiges an Aufmerksamkeit bekam, war das berüchtigte beerbike, hierzulande als bierfiets bekannt. Breit und behäbig bewegte es sich bis zu diesem Herbst die Brücken hoch und schlich über Fahrradwege, angetrieben durch etwa zehn längst nicht mehr nüchterne Fußpaare, während die dazugehörigen Münder grölten und sangen.

Seit dem 1. November ist das umstrittene Vehikel nun aus dem Zentrum Amsterdams verbannt. Ein Gericht bestätigte den Entschluss der Kommune, wonach die fahrbaren Theken wegen Lärmbelästigung, öffentlicher Trunkenheit und Wildurinierens die Ordnung stören und den Verkehr behindern. Es waren jene schrulligen Begleitumstände, die das beerbike-Verbot zum gefundenen Fressen für Panorama-Seiten internationaler Zeitungen machten. Dabei hat es einen durchaus ernsten Hintergrund. Die lange diskutierte Maßnahme steht nämlich bei weitem nicht allein, sondern im Kontext einer breit angelegten städtischen Politik. Dass Amsterdam „ächzt unter dem Tourismus“, liest man seit Jahren in niederländischen Medien. Wer sich an einem sommerlichen Wochenende entlang der Prinsengracht bewegt oder zwischen Museumsplatz und Vondelpark, bekommt eine Ahnung, was damit gemeint ist. Gerät man auf einer Brücke zwischen auf Leih-Fahrrädern dilettierende Touristen und einen Betriebsausflug auf Segways, ist man geneigt, der Beschwerde zuzustimmen.

Im rotgepflasterten Stadthaus an der Amstel beschloss der gemeenteraad im Herbst, dass mit sofortiger Wirkung in einem Teil des Zentrums keine neuen Geschäfte mehr eröffnen dürften, die „nicht an Amsterdamer, sondern nur an Touristen gerichtet sind“. Gemeint sind etwa Waffeloder Eis-Läden, Tour-Büros und Fahrradverleihe. Insgesamt gibt es 280 solcher Gewerbe im betreffenden Gebiet. „Nirgendwo anders auf der Welt wurde ein solcher Beschluss gefasst“, sagte Wirtschaftsdezentin Kajsa Ollongren, die wenig später Innenministerin der neuen Regierung wurde.

Ende 2016 erst hatte Ollongren verkündet, dass im größten Teil des Zentrums sowie anderen beliebten Quartieren keine neuen Hotels mehr entstehen sollten – eine Reaktion auf den enormen Anstieg an Übernachtungen und Unterkünften. 2016 gab es 459 Hotels in der Stadt, die 67.000 Betten zählten – fünf Prozent mehr als 2015. Die 14 Millionen Übernachtungen lagen selbst acht Prozent über dem Vorjahres-Wert. Nicht eingerechnet sind dabei Privat-Unterkünfte. Auch hier greift die Kommune zu drastischen Maßnahmen: Seit Oktober ist jegliche Vermietung an Touristen meldepflichtig – bei Strafen bis zu 20.500 Euro. Schon in den letzten Jahren hatte man versucht, den Airbnb-Boom entlang der Grachten einzudämmen.

Amsterdam kennt nach London und Paris die meisten Airbnb-Betten Europas – und die teuersten Preise. Die Stadt ging mit Auflagen wie einer Vermietungs-Höchstzahl dagegen vor. 2016 wurde auch eine anonyme Hotline eingerichtet, bei der man vermeint- lich illegale Privat-Vermietungen melden kann. Letzterer Schritt stößt bei vielen Bewohnern auf Kritik und wird nicht selten gar mit der Denunziation zu Zeiten der deutschen Besatzung verglichen. Abgesehen davon sind sich, zumal im Zentrum, die meisten Amsterdamer einig, dass die Stadt „zu voll“ sei und weniger Betuchte durch Airbnb verdrängt würden. Ein kausaler Zusammenhang, der nicht von der Hand zu weisen ist.

Amsterdam, Damstraat
14 Millionen Buchungen. Die niederländische Hauptstadt ist eine der gefragtesten Reiseziele in Europa. Nun versuchen die Amsterdamer, die Touristen in andere Gefilde, außerhalb der Stadt, „abzuleiten“. (Amsterdam, Damstraat)
Foto: Name. Aus: Wikicommons, unter CC BY 2.0

Freilich liegt die Tatsache, dass das Zentrum für Arme unerschwinglich wird, nicht allein an Airbnb, sondern auch an kommunaler Wohnungspolitik. Kritiker des städtischen Vorgehens weisen zudem auf die 65.000 Jobs im Tourismus-Sektor hin – auch diese Zahl steigt schnell an. Der damalige Vorsitzende der Amsterdamer Unternehmer- Vereinigung, Dolf Klosterziel, regte 2016 an, „lieber in neue Gebiete zu investieren, sodass sie attraktiver für Touristen werden“, statt die Besucherzahlen zu beschränken.

Versuche der Umleitung #

Genau das probiert man im Stadthaus jedoch schon seit Jahren. Man promotet Bootstouren ins pittoreske Dorf Ouderkerk aan de Amsel wenige Kilometer vor der Stadtgrenze. Oder, in Zusammenarbeit mit dem Anne-Frank-Haus, das frühere Wohngebiet der Franks im Süden Amsterdams, das sich seit einiger Zeit per App erkunden lässt. Eine spannende Entdeckungstour, die Interessierten durchaus viele Erkenntnisse liefert. Doch die Warteschlange vor dem Hinterhaus in der Prinsengracht hat sie um keinen Meter verkürzt.

Einer, der in den letzten Jahren immer wieder die Alarmglocken läutet, war früher selbst Marketing-Manager des Niederländischen Tourismus-Büros. Heute betreibt Stephen Hodes eine Freizeit- und Kunst- Consultancy-Firma und warnt vor „Disneyfizierung“. Gerade Amsterdam als relativ kleine Stadt drohe die Balance zwischen Bewohnern, Besuchern und Betrieben zu verlieren, warnt er.

Eigentlich sieht Hodes ein globales Problem: die Mittelklasse, die 2010 noch aus knapp zwei Milliarden Menschen bestand, 2030 aber rund fünf Milliarden haben soll. „Und zur Mittelschicht gehört nun mal, dass man reist. Das betrifft nicht nur die Anderen, sondern uns alle.“ In der Region Amsterdam bereitet man sich darauf bereits vor: Der Flughafen Schiphol soll ausgeweitet werden. Im nahe gelegenen Polder wird derweil Lelystad Airport als Destination für Billigflieger in Position gebracht. Was den Effekt der jüngsten Amsterdamer Maßnahmen durchaus beschränken dürfte.

DIE FURCHE, Donnerstag, 14. Dezember 2017


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