Zwischen Butter und Olivenöl#
Der Prototyp einer europäischen Stadt mit lange zurückreichenden Wurzeln#
Von der Wiener Zeitung (Mittwoch, 24. April 2013) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Sigrid Mölck-Del Giudice
Triest ist der multikulturelle Tatort der Krimis von Veit Heinichen.#
Wir sind für fünf Uhr nachmittags im Malabar, einem Straßencafé in der Altstadt, verabredet. Doch von unserem Gesprächspartner keine Spur. Dann plötzlich sehen wir jemanden achselzuckend winken - umkreist von ein paar jungen Leuten, die ihn im Vorübergehen in ein Gespräch verwickelt haben. Jemand hält ihm ein Buch für ein Autogramm entgegen. "Tut mir leid," begrüßt er uns, "das passiert schon manchmal!"
Veit Heinichen ist kein Unbekannter in Triest. Seit 1999 wohnt der 1957 geborene, süddeutsche Schriftsteller hier - in einem Haus an einer der schönsten Panoramastraßen in Europa, unweit des legendenumwobenen Castello Miramare. Unten glitzert das Meer. Oben, an den Hängen des Karst, wachsen Zypressen und Weinreben. In diesem Ambiente kreierte der studierte Betriebswirt und Mitbegründer des Berlin Verlages den Commissario Proteo Laurenti, der in seinen Büchern knifflige Kriminalfälle von organisierten Verbrechen, von Grundstückspekulationen und Waffenschmuggel, von Menschen- und Organhandel aufzuspüren hat. Seine in fast alle europäischen Sprachen übersetzten und fürs Fernsehen verfilmten Romane wurden etwa bei der Vergabe des Premio Franco Fedeli in Bologna 2003 und 2004, wegen seiner detaillierten Recherchen hinsichtlich der Verflechtungen, zu den besten italienischen Kriminalromanen erklärt.
"Was fasziniert Sie an Triest, eine an sich solide Stadt mit hoher Lebensqualität, als Schauplatz für Ihre Geschichten?," möchten wir wissen. "Ich schreibe keine spezifischen Triester Kriminalromane", erklärt Heinichen, an seinem Glas Weißwein nippend, "auch wenn sie hier angesiedelt sind. Triest ist der Prototyp einer europäischen Stadt. Es ist ein Ort, wo der mediterrane Raum dem Norden begegnet und der Osten dem Westen. Keine andere Stadt hat so viele Grenzen und so viele Ethnien. Hier finden oder könnten deshalb Dinge stattfinden, die auch exemplarisch für andere Orte in Europa sind."
Heinichen legt Wert darauf, dass sein Kommissar nicht irgendein Fantasieprodukt ist. Er hat seine Biografie sorgfältig recherchiert. "John Wayne und Schimanski interessieren mich nicht", sagt er, "sie entsprechen nicht der Realität. Ich sehe mir die Schauplätze meiner Romane genau an. Und rede häufig mit Ermittlern und Sicherheitskräften. Sie bewegen sich generell im ganzen Land. Auch Laurenti ist eine Figur, die überall agieren könnte."
Krimi als Gesellschaftsbild#
"Dennoch wurden Sie hier Opfer einer Rufmordkampagne!" (Heinichen wurde in anonymen Briefen der Pädophilie bezichtigt, die Vorwürfe konnten entkräftet werden, Anm. der Red.) - "Ich bin ja auch eine Person des öffentlichen Lebens in Triest, die sich zu politischen Problemen äußert. Dazu muss man stehen, ohne sich zu verstecken. Der Kriminalroman ist ein ideales Mittel, um die moderne Gesellschaft und ihre negativen Seiten abzubilden. Die Kampagne war eine Folge meines Romans ,Der Tod wirft lange Schatten‘, in dem es zwei ungelöste Mordfälle gibt - dafür habe ich sieben Jahre lang recherchiert." "Also doch eine Triester Geschichte?" "Nein", erklärt Heinichen, "bestimmte Verbrechen sind längst keine nationalen Phänomene mehr. Wenn wir heute die Finanzkrise und die milliardenschweren Skandale der multinationalen Konzerne betrachten, dann haben wir es fast immer mit organisierter, Grenzen überschreitender Kriminalität zu tun. Die Kampagne gegen mich war eindeutig international gesteuert, da war kein Einzeltäter am Werk."
Die besondere Atmosphäre der Stadt an der Schnittstelle zwischen Italien, Österreich und Slowenien hat schon vor hundert Jahren Dichter und Literaten inspiriert. Es ist Geschichte, dass James Joyce hier während seines freiwilligen Triester Exils von seiner katholischen Heimat an seinem Werk "Ulysses" schrieb. Damals waren die Kaffeehäuser, wie das monumentale Antico Caffé San Marco oder das Antico Caffé Tommaseo direkt am Meer ein beliebter Treffpunkt für literarische Größen - wie Grillparzer, Stifter oder den Lyriker Umberto Saba, an den in der Einkaufsstraße Via Dante Alighieri ein kurioses Denkmal erinnert. Auch James Joyce wurde am Canal Grande mit einer Bronzefigur geehrt.
Triest zog auch die Österreicher an - wenngleich aus anderen Gründen. Für die Habsburger Monarchie, die fast fünf Jahrhunderte lang ununterbrochen die Stadt regierte, war der Golf der einzige Zugang zum Mittelmeer. Kaiserin Maria Theresia baute die Stadt zu einem der bedeutendsten Handelsplätze Europas aus. Aus jener Zeit stammen die Prachtbauten, die das Stadtbild prägen, und die ersten Kaffeehäuser, die noch heute eine Art Markenzeichen der City sind. Obgleich die Bedeutung des Hafens seither beachtlich geschrumpft ist, wird in der Kapitale der Region Friaul-Julisch Venetien noch immer die Hälfte des italienischen Rohkaffees umgeschlagen.
Nur drei Kilometer von der slowenischen Grenze entfernt hat die weltweit bekannte Rösterei Illy ihren Sitz. So versteht sich, dass die schwarze Bohne nirgends sonst so beliebt ist wie hier in Triest. Und man nimmt seinen Espresso, der hier "Nero", der Schwarze, heißt, nicht etwa auf die Schnelle am Tresen ein. Man setzt sich nach nordeuropäischer Art gemütlich an einen Tisch, plaudert, liest stundenlang die Zeitung und erledigt sogar - wie einst - seine Schreibarbeiten.
Semmelknödel und Cornetto#
"Triest ist eben anders als jede andere europäische Stadt", umreißt Veit Heinichen, der nicht nur Autor, sondern auch Gourmet und Weinkenner ist, seine Wahlheimatstadt. Und fügt amüsiert hinzu: "Hier teilt sich die Welt in Butter und Olivenöl - oder besser: sie vereint sie!"
In der Bar frühstückt man ebenso mit einem Cornetto, einem italienischen Frühstückshörnchen, wie mit Krapfen oder Apfelstrudel. Und niemand wundert sich, wenn man in den zahlreichen kleinen Gaststätten Semmelknödel und Bier anstatt Cjarsòns, mit Ricotta gefüllte Teigtaschen, und ein Glas Verduzzo bestellt.
Triest hat seine Altstadt bewusst nicht mit modernen Fußgängerschleusen und Schnellimbissketten auf Hochglanz poliert. In den engen Straßen stößt man unverhofft auf stilvolle Hotels, auf Handwerkerläden und gemütliche Kneipen. Fischfans zieht es in die Tavernen in Hafennähe, die einander an einheimischen Meeresspezialitäten überbieten.
Die Visitenkarte der Stadt aber ist und bleibt die Piazza dell’Unità d’Italia, die sich, wie es sein muss, zum Meer hin öffnet - mit ihren mondänen Hotels und Cafés. Hier münden die quirligen Einkaufsstraßen mit ihren Nobelboutiquen. Wer ‚in‘ sein will, schaut am Spätnachmittag auf einen Aperitif im piekfeinen Harry‘s Grill oder im Caffé degli Specchi vorbei. Vielleicht, um sich zum Abendessen in einem der alten Dörfer im Karst zu verabreden, wo sich auch gern der Commissario Laurenti von seinem Stress erholt. Vorausgesetzt natürlich, sein Autor hält es für angebracht.