Maßnahmen zur Wiederbelebung#
Purgstall ist ein Beispiel dafür, wie Kommunen versuchen, leere Ortszentren mit Leben zu erfüllen.#
Von der Wiener Zeitung (2. Mai 2018) freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Von
Simon Rosner
Purgstall. Das neue Purgstall findet sich dort, wo der Ort aufhört. Und die niederösterreichische Gemeinde im Mostviertel ist hier nur ein Beispiel von vielen - von vielen in ganz Österreich. Der gestiegene Wohlstand und die Motorisierung haben die Ränder befüllt und belebt, und so war es auch in Purgstall. Es entstanden neue Siedlungen, meist waren es Einfamilienhäuser mit Garten. Wobei sowohl Häuser als auch Gärten im Laufe der Jahrzehnte an Größe gewonnen haben.
Für das Jahr 1910 wird Purgstall eine Wohnbevölkerung von 3499 Personen ausgewiesen. Und ungefähr so viele Menschen lebten hier auch, als 1939 der Zweite Weltkrieg begann. In den Jahrzehnten danach aber, bis in die 1980er hinein, wuchs die Gemeinde kontinuierlich, die Einwohnerzahl erhöhte sich um beinahe 50 Prozent auf rund 5300 Personen. Dann ging es bergab.
In Purgstall, das auf recht spektakuläre Weise von der Erlauf sowie einem ihrer Nebenflüsse, der Feichsen, durchschnitten wird, zeigt sich der ganze Fluch und Segen der Motorisierung. Denn an den Rändern des Ortes liegen nicht nur die neueren Siedlungen, sondern auch Werkshallen und andere Betriebsimmobilien. Und seit gut 15 Jahren auch Gewerbeflächen, auf denen sich insgesamt vier verschiedene Supermärkte angesiedelt haben.
"Hätten wir das nicht gewidmet, wäre Purgstall heute mausetot", sagt Amtsleiter Franz Haugensteiner. Mehr und mehr Bewohner hätten ihre Einkäufe woanders erledigt, der Anteil des Versandhandels - und das noch vor dem Internet-Boom - betrug in der Gemeinde 14 Prozent.
Abgangsgemeinde wächst wieder#
"Wir waren damals eine Abgangsgemeinde, heute haben wir Zuzug", sagt Haugensteiner. Ökonomisch war die Entscheidung jedenfalls richtig, zumal der erst kürzlich wieder renovierte Eurospar im "Einkaufspark Ötscherland" zu den ertragsreichsten Filialen des Bundeslandes zählt.
Das schaffte neue Arbeitsplätze, erhielt und erhöhte sogar die Einnahmen der Gemeinde durch die Kommunalsteuer, und auch die Lebensqualität der Bevölkerung verbesserte sich, die in den 1990er Jahren noch weit ausgependelt ist, um größere Einkäufe zu tätigen. So viel zum Segen.
Der Fluch ist in der Pöchlarner Straße im Zentrum zu sehen und zu durchschreiten. Hier gibt es eine Trafik und ein Möbelgeschäft, aber das war es dann auch. Ansonsten reiht sich ein Leerstand an den anderen. Beim Fleischer steht noch die Kühlvitrine im Geschäft, befüllt wurde sie aber seit vielen Jahren nicht mehr. Und das Kaufhaus Bruckmüller sucht immer noch einen Nachmieter. Er wird wohl nie kommen.
Kreativität bei der Nachnutzung#
"Man muss sich vom Gedanken lösen, dass im Fall der Nachnutzung immer die gleiche Verwendungsmöglichkeit bestehen muss, also zum Beispiel ein Geschäft. Da gibt es tolle, kreative Lösungen", sagt die Raumforscherin Gerlind Weber, die sich mit dem Thema Leerstand seit Jahrzehnten beschäftigt.
Purgstall ist aber nicht nur ein Beispiel für Leerstand, sondern eben auch eines für die geforderte Kreativität. Denn die Gemeinde wurde zum "Bücherdorf", in verlassene Geschäfte zogen Buchläden für gebrauchte Bücher, dazu gab es immer wieder Lesefeste. Freilich: Auch Bücher beleben ein Ortszentrum nur sehr bedingt. Beim Lokalaugenschein waren einige sonst leere Auslagen mit Büchern dekoriert, das Buchgeschäft selbst war gerade geschlossen.
"Man muss aktiv auf die Eigentümer dieser leer stehenden Gebäude und Geschäftslokale zugehen. Das muss organisiert werden, da braucht es einen Kümmerer. Da könnte vieles aufgebrochen werden", sagt Weber. Man werde zwar nicht überall kommerzielle Lösungen finden, sagt die Wissenschafterin, "aber vielleicht gibt es Vereine oder Menschen mit gleichen Hobbys, die ein Lokal brauchen."
Hauseigentümer erhalten interessantes Angebot#
In Purgstall hat man im Zuge der Dorferneuerung genau das getan. In der einstigen Geschäftsstraße sowie in der angrenzenden Kirchenstraße wurden insgesamt zehn sogenannte Schlüsselobjekte definiert und den Eigentümern eine professionelle Bestandsanalyse angeboten. Immerhin sechs haben es angenommen.
Im vergangenen Dezember erhielten sie die Ergebnisse samt Vorschlägen zur eventuellen Sanierung, einer weiteren Nutzung und deren Finanzierung. Die Amortisationsdauer der vorgeschlagenen Projekte bei den sechs Häusern reichte zwischen 3 und 15 Jahren. Die Idee dahinter ist, dass die Eigentümer oft weder Zeit, Muße noch genügend Expertise darin haben, zu überlegen, was aus einer Immobilie noch herauszuholen ist, deren ursprünglicher Zweck teilweise oder gänzlich obsolet geworden ist. Auch Amtsleiter Haugensteiner sagt: "In der Pöchlaner Straße wird es nicht mehr Richtung Gewerbe gehen."
Partizipation der Bevölkerung#
Bei diesem wie auch bei anderen revitalisierenden Vorhaben ist die Teilhabe der Bevölkerung explizit gewünscht. Hinter partizipativen Ansätze steckt generell nicht nur die Hoffnung, dass die Menschen durch Einbindung in die Entscheidungsprozesse diesen positiver gegenüberstehen, das ist eher angenehmer Nebeneffekt für Politik und Verwaltung. Der Partizipation wird vor allem eine wichtige Rolle darin beigemessen, ob die Umsetzungen auch funktionieren.
Darauf wurde in Purgstall jedenfalls geachtet. Am 17. März fand die bisher letzte Informationsveranstaltung statt, in der die Neugestaltung des nahen Kirchenplatzes vorgestellt wurde. Der Umbau soll insgesamt 5,4 Millionen Euro kosten, wobei das Land Niederösterreich mit Förderungen hilft. Der heute schlecht genutzte Platz vor der Kirche soll zu einer Begegnungszone werden, mehr Verweilmöglichkeiten bieten sowie ein Wasserbecken und eine mobile Bühne erhalten. Heute gibt es praktisch keinen Grund, sich länger auf dem Platz aufzuhalten, die Straße führt mittendurch. Und eben das soll sich ändern. Schon im Sommer soll mit den Bauarbeiten begonnen werden.
Die Gemeinde als Immobilienhändler#
"Man sollte sich von der Idee lösen, dass jedes Objekt zu retten sein wird. Wir müssen auch überlegen: Unter welchen Umständen bauen wir zurück? Was kostet das? Wer zahlt das?", sagt Gerlind Weber. Am Beispiel Purgstall berühren diese Fragen ein drittes Projekt im Rahmen der Dorferneuerung. Bei diesem geht es um die angrenzenden, mittlerweile beziehungsweise bald leer stehenden Gebäude des Kirchenplatzes, der ja neu gestaltet werden wird.
Die Gemeinde hat eines dieser Häuser erworben, ein lokaler Baumeister und ein Architekt jeweils ein weiteres. Geplant ist, dass in diesen drei Gebäuden wieder Leben einzieht, konkret soll es das eine oder andere Geschäft geben, vielleicht sogar einen Nahversorger, eine Kinder- sowie eine Seniorenbetreuung, und auch Wohnmöglichkeiten sollen wieder geschaffen werden.
In den vergangenen Jahren war die Bevölkerungsentwicklung zwar mehr oder weniger stagnierend, eine Belebung des Zentrums könnte aber wieder einen gewissen Schub bedeuten. Bei der letzten Erhebung im Jänner 2018 waren 5348 Personen in Purgstall gemeldet. Langfristig will die Gemeinde die Grundstücke im Ortszentrum jedenfalls nicht halten. Sie betreibt vielmehr ein aktives Flächenmanagement, wie das von Experten - unter anderem in dieser Zeitung - auch seit geraumer Zeit empfohlen wird. Der Markt alleine greift hier nicht mehr. Die Geschäftsinhaber finden keine Nachfolger mehr, auch der letzte Fleischhauer im Ort hat bisher niemanden gefunden, der seinen Betrieb weiterführen wird.
Für die weitere Entwicklung der Gemeinde wird auch interessant sein, was in der Nachbarschaft passiert. Denn nur wenige Kilometer weiter nördlich liegt Wieselburg. Die zwei Orte sind in ihrer Größe und Infrastruktur durchaus vergleichbar, auch wenn Wieselburg mit seinem Leitbetrieb ZKW Lichtsysteme, einem Autozulieferer, noch einmal in einer anderen Liga spielt als Purgstall mit seinem größten Arbeitgeber Busatis, der Messer unter anderem für Mähgeräte herstellt.
Nachbargemeinde erhält Ortsumfahrung#
Ein wesentlicher Unterschied ist jedoch, dass die verkehrsintensive Bundesstraße mitten durch Wieselburg hindurchführt, während sie Purgstall eher nur tangential berührt. Das ist ein Vorteil. Bei der Ortskernbelebung kann die Bundesstraße dadurch mehr oder weniger ausgespart und eben eine Begegnungszone geschaffen werden, in Wieselburg wäre das nicht möglich.
Seit Jahrzehnten ist dort eine Ortsumfahrung ein großes Thema. Auch das: eine Folge der Motorisierung, die das Verkehrsaufkommen jedes Jahr wachsen lässt. Während die lokale Wirtschaft noch eine solche Umfahrung in den 1990er Jahren verhindert hat, ist der Druck mittlerweile zu groß geworden. Im Vorjahr war dann Baubeginn, im Herbst 2020 soll die Umfahrung fertiggestellt sein. Das muss nicht, kann aber auch Auswirkungen auf Purgstall und vor allem seine Handelsbetriebe haben. Einen großen Eurospar gibt es beispielsweise auch im "CityCenter" in Wieselburg. Wird dieser Kunden zugunsten der Filiale in Purgstall verlieren?
Zurückdrehen lässt sich eine jahrzehntelange Entwicklung, die dazu geführt hat, dass sich das einstige Zentrum Purgstalls geleert hat, nicht. Aber weiterdrehen lässt es sich vielleicht in die richtige Richtung. Auch wenn es viel Arbeit und viel Geld kostet.