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Wie die Wiener ans Meer kamen#

Auch wenn die alte Reichsstraße von Wien nach Triest durch Autobahnen und Umfahrungen substituiert wurde, so ist es doch möglich, die alte Trasse zu rekonstruieren. Eine Suche nach mehreren verlorenen Zeiten.#


Von der Wiener Zeitung (Sa./So., 31. August/1. September 2013 ) freundlicherweise zur Verfügung gestellt

Von

Beppo Beyerl


Triesterstraße-Schild
In Wien wird die Straße nach Triest benannt...
Foto: © Beppo Beyerl

Im Jahre 1734 wurde die Reichsstraße zwischen Wien und Triest als die bedeutendste überregionale Schnellverbindung der Monarchie fertiggestellt. Sie begann am Wiener Linienwall, dem heutigen Matzleinsdorfer Platz, und führte über Wiener Neudorf, Traiskirchen, Wiener Neustadt, Neunkirchen auf den Semmering, weiter über Bruck, Graz, Maribor, Ljubljana, Postojna auf den Karst und von dort nach Triest.

Für mich gab es eine Zeit, da stand die Triester Straße für die Ziellosigkeit eines vehementen Aufbruchs, und damit ist nicht nur der reale Aufbruch von der elterlichen Wohnung in den sogenannten Süden gemeint. Auf der Einser, der Bundesstraße 1, die wir in Hadersdorf vor der Haustüre hatten, da kam ich nach Sieghartskirchen, nach St. Pölten, am Ende gar nach Linz - alles Ziele, deren Erregungspotenzial höchstens von der vierstündigen Wagneroper am Karfreitag in der Staatsoper übertroffen wurde, in die mich mein Vater einmal mitgeschleppt hatte. Aber die 17-er! Die Triester Straße!

Die kleine Freiheit#

So richtig setzte die Sehnsucht ein, als wir die schnurgerade fade Strecke durch das Steinfeld absolviert hatten und durch die Ortskerne von Ternitz und Gloggnitz kurvten. Die Sehnsucht stieg, als auch wir anstiegen, nämlich über die sieben Serpentinen hinter Schottwien, rechts die wilden Felslandschaften vor Augen und links die Wallfahrtskirche zu Maria Schutz, und wenn die Straße drehte, dann sah ich hinter mir die Ausläufer der bizarren Felsen und vor mir die Wallfahrtskirche. Und Vater fluchte wild am Fahrersitz, weil entweder ein dämlicher "Sonntagsfahrer" oder gar ein vermaledeiter "Fernlaster" es wagten, den 1500-er an der vollen Entfaltung seiner Motorleistung auf heimtückische Weise zu behindern.

Die Sehnsucht erreichte den ersten Kulminationspunkt auf der Passhöhe am Semmering, die zudem noch als Landesgrenze fungierte. Dann, im mir völlig unbekannten Mürztal, begann die terra incognita, die Ketten fielen, der Ausbruch gelang, es hub an die kleine Freiheit. Die große ist es nicht geworden, weil ich ja an Vaters weißen Käfer gebunden war, auf der Hinterbank zwischen Koffern und Taschen hockend, und weil es sich nicht schickte, einen Zwischenstopp, eine Besichtigung oder gar Erkundung der Gegend vom autokratisch kurvenden Lenker des Fahrzeugs einzufordern.

An jenem Nachmittag, als mir mein Vater im Hafen von Triest auf der berühmten Mole das Geheimnis des Meeres zeigte, erinnerte er sich an den Streifschuss in seine rechte Hand, den er viele Jahre früher in einem Gefecht an der Ostfront erhielt, und nach der Versorgung mit Morphium wurde er aus der Gefechtszone in Sicherheit gebracht und verweilte in einem Lazarett an der Ostsee. Und an dieser Ostsee hatte er zum ersten Mal das Meer gesehen.

Und dort auf der Mole dachte ich mir ein wenig bekümmert: Das also ist das Meer? Mh. Einen Berg, sagen wir die Rax, den kann man erblicken, über steile und bizarre Felsen kann man die Blicke schweifen lassen, bei forschen Türmen am Kamm können die Blicke halten und zu ersten Berechnungen über Bekraxelungen einladen. Und das also ist das Meer? Nichts ist banaler als die Betrachtung der Endlosigkeit. Und nichts ist banaler als das Gefühl der Endlosigkeit in mir selbst.

Aber zurück zur Straße nach Triest. Auch wenn die alte Reichsstraße, auch Kaiserstraße genannt, durch Autobahnen und Umfahrungen substituiert wurde, so ist es doch möglich, die alte Trasse zu rekonstruieren. Ich habe dies zwei Jahre lang versucht - und stieß auf eine Unzahl von devastierten Fabriken, aufgelassenen Bahnhöfen und geschlossenen Wirtshäusern.

Aber starten wir am Beginn, am Matzleinsdorfer Platz. Interessanterweise folgt ein Park, tatsächlich ein Park, der herpasst wie die sprichwörtliche Faust ins Aug, der Martin-Luther-King-Park. Und vom Martin-Luther-King-Park kann ich ins Triesterspital ausweichen. Welch tröstender und beruhigender Bau, gleich am Beginn der Straße nach Triest steht ein nach der Stadt benanntes Spital, in dem man die Strapazen und Blessuren zurücklassen kann. Aber ätsch, das Spital heißt nunmehr "Sozialmedizinisches Zentrum Süd", und ich weiche schnell aus auf die andere Seite der Triester Straße, und auf der anderen Seite der Triester Straße befindet sich der Belgrad-Platz.

Auf dem Belgrad-Platz#

Dort, also auf dem Belgrad-Platz, pflegten die über die Triester Straße gen Wien ziehenden "Zigeuner" mit ihren Gespannen Halt zu machen, dort war ihr Treff- und Sammelpunkt, und zwar bis ins Jahr 1941. Damals schnappten sich die Beamten der Nazis alle dort lagernden "Zigeuner" und schickten sie auf den Transport. Es ist anzunehmen, dass alle Roma, Sinti und Lowara vom Belgrad-Platz in den Lagern der Nazis vergast wurden.

Im Jahr 2003 wurde dem Park offiziell die Bezeichnung Saranka-Park verliehen. Saranka war eine bekannte Kräuterspezialistin und Salbenkennerin, auch sie wurde in den Gaskammern der Nazis umgebracht. Ihr Enkel heißt Mongo Stojka, er hatte Auschwitz, Buchenwald und Dachau überlebte (Tätowierung auf dem Oberarm: Z-5740) und einen Gedenkstein an seine Großmutter initiiert, der gelegentlich mit rassistischen Sprüchen beschmiert wird. Ihr Urenkel ist der Jazz-Gitarrist Harri Stojka.

Strada per Vienna, Straßenschild
...in Triest führt sie naturgemäß Wien in ihrem Namen.
Foto: © Beppo Beyerl.

Das mit dem Gedenkstein ist ein Problem. Laut offiziellem Text kam die alte Saranka aus dem Clan der Lewara. Den hat es aber nie gegeben, denn Saranka - und mit ihr die Stojkas - gehören zu den Lowaras. Und noch ein Detail am Rande: die alte Bezeichnung für den Saranka-Park lautete Heller-Wiese. Südlich des ehemaligen Sammelplatzes auf dem Belgrad-Platz, dessen Name übrigens nichts mit der Herkunft der Roma und Sinti zu tun hat, steht bis heute die 1890 von Gustav und Wilhelm gegründete Heller-Fabrik, die mit den Schokoladen und Zuckerwaren. Und da ich so gerne von Enkeln erzähle - der Enkel von Wilhelm Heller nennt sich vornämlich André und wurde ausgerechnet mit dem Lied "A Zigeina mecht i sein" berühmt.

Weil ich der Zahlenmagie nicht ausweichen kann: Die Zahl sieben begegnete mir mehrmals auf der Reise. Insgesamt hat die Straße sieben Namen: Triester Straße, Wiener Straße, Partizanska cesta, Dunajska cesta, Ljubljanska cesta, Tržaka cesta, strada per Vienna. Auch der Fluss neben mir in Slowenien, der hat sieben Namen, reka sedmerih imen: Ljubljanica, Unica, Pivka, Rak, Stržen, Obrh, Trebanovica. Der Fluss verschwindet im karstigen Gestein, bis er irgendwo wieder auftaucht, jeder Abschnitt, den der Fluss oberirdisch schafft, trägt einen anderen Namen, es ist aber der nämliche Fluss. Und in Maribor gibt es einen Platz, der trug in den letzten Jahren sieben verschiedene Namen. Aber jetzt wird die Geschichte zu numeral und ich berichte über die Obelisken. Der Obeliske gibt es zwei auf der Strecke. Einer steht auf dem Semmering und blickt auf eine durch Schipisten zerstörte Landschaft.

Der zweite Obelisk steht in Villa Opicina/Opčine. Hier, an dieser Stelle, erblickte jeder von Wien Reisende das erste Mal das Meer und begann einmal zu staunen. Es gibt zahlreiche Erstaunungen, etwa von Stifter, von Grillparzer, aber auch von Kaiser Franz Joseph. Als Beispiel der diesmal gar nicht grantelnde Grillparzer: "Endlich die Dogana von Optschina. - Ein Hügel! - Hinauf! - Ah! Und da lag es vor uns weit und blau und hell, und es war das Meer!"

Die alte Reichsstraße endete in Triest auf einem Platz, der heute Piazza Oberdan heißt. Und ausgerechnet dieser Guglielmo Oberdan wollte den Kaiser ermorden, als dieser am 17. September 1882 in Triest verweilte. In Wirklichkeit hieß er Wilhelm Oberdank und desertierte 1878 aus Habsburgs Armee, weil er die Gemetzel bei der Okkupation von Bosnien und Herzogowina nicht ertragen konnte. Notgedrungen flüchtete er nach Italien, italienisierte seinen Namen und schloss sich den Irredentisten an. Am 16. September 1882 überschritt er illegal die Grenze, wurde jedoch von den habsburgischen Grenzsoldaten gestellt. Im Rucksack fanden diese eine Bombe, nach anderen Berichten sogar zwei. Und besagter Oberdan bekundete, er wolle damit den Kaiser von Österreich begrüßen. Die Behörden steckten ihn in eine Zelle an der heutigen Piazza Oberdan. Trotz vieler Gnadengesuche wurde er am 20. 12. 1882 durch den Strang hingerichtet. Worauf genau das eintrat, was die Monarchisten nicht wollten: Viele Triestiner wandten sich vom Hause Habsburg ab.

Fortuna und Karl VI.#

Jetzt möchte ich noch jenem meinen Tribut erweisen, dem ich die Reichsstraße verdanke: dem Kaiser Karl VI. Von der alten berühmten Mole schlendere ich zur Piazza dell’ Unita d’Italia und sichte erst den Brunnen der Fortuna mit den vier Erdteilen. Die Fortuna wird von den Tauben übel zugerichtet, ich versteh nicht, wie kann sie ihr Füllhorn leeren auf die vier Kontinente, wenn sie dabei ordentlich zugeschissen wird, und nur dem vergessenen Australien bleibt die Schmach der Zugeschissenheit erspart. Übrigens hatte die Fortuna Pech, sie musste von ihrem ursprünglichen Platze auf dem Platz weichen, weil sie Mussolini ein wenig im Wege stand. Das Denkmal - so die Faschisten - hätte die geschlossenen Ovationen der Menschenmassen behindert und musste auf die Seite weichen. Nicht weichen musste eigenartigerweise auf dem politisch besetzten und gegen Österreich gerichteten Platz mit dem Namen "Einheit Italiens" unser Karl VI. Er thront seit 1728 auf dem Podest, ich halte das Diktafon zu ihm hinauf, er spricht mir nicht. Ich entschuldige mich höflich für die Formulierung Sechserkarli, er lächelt mir nicht. "Seine Majestät haben Triest am 18.3. 1719 zum Freihafen erkoren und damit seine wirtschaftliche Prosperität begründet!", rufe ich ihm zu. Er wackelt mir mit keinem Ohrwaschel.

Also gehe ich auf die berühmte Mole und bedenke das Geheimnis des Meeres.

Beppo Beyerl, geboren 1955, lebt als freier Schriftsteller, Reisereporter und Journalist in Wien.

--> www.beppobeyerl.at

Information#

Von Beppo Beyerl ist heuer im Wiener Löcker Verlag "Die Straße mit 7 Namen. Von Wien nach Triest" erschienen. In diesem Reisebuch erwandert der Autor die Triesterstraße. Am 2.9. um 19.00 Uhrliest der Autor aus diesem Buch: Textstand -Literatur am Naschmarkt, 1060 Wien, Naschmarkt, Yumi (vormals Pineapple), Stand 87, Linke Wienzeile 6.


Wiener Zeitung, Sa./So., 31. August/1. September 2013



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