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"Wirkung verblüffend!" #

Vor 100 Jahren, am 17. November 1909, starb in Wien ein junger Hauptmann an einer tödlichen Dosis Zyankali. Unter Mordverdacht geriet der Offizierskamerad Adolf Hofrichter. Der Fall ist bis heute nicht eindeutig geklärt.#


Mit freundlicher Genehmigung aus der Wiener Zeitung (Samstag, 14. November 2009)

Von

Ulrich Zander


Hofrichter vor Garnisnonsgericht
Hofrichter vor dem Wiener Garnisnonsgericht, 1910
© Wiener Zeitung / Zeitungsillustration, ÖNB

Hauptmann Richard Mader, frischgebackenes Mitglied im österreichischen Generalstab, ist guter Dinge. Er schreibt gerade einen Brief an seine Verlobte, eine Varietékünstlerin. Sie gastiert derzeit in Frankfurt am Main. Am frühen Abend bekommt Mader Appetit und schickt seinen Burschen los, etwas Wurst und Käse zu besorgen. Als der kurz darauf zurückkommt, findet er seinen Herrn auf dem Boden liegend, laut stöhnend und ohne Bewusstsein. Der eilends herbeigeholte Arzt kann nur noch den Tod des knapp Dreißigjährigen feststellen. „Gehirnschlag“ wird als vorläufige Todesursache konstatiert. Der Verblichene wird ins Garnisonsspital verbracht, dort ergibt aber eine Obduktion den wahren Grund des plötzlichen Ablebens: Zyankali.

Nun ermitteln sowohl Polizei als auch Militär, und stoßen auf einen an Mader adressierten Brief mit dem Wortlaut: „Euer Hochwohlgeboren! Die vorzeitige Abnahme der Mannbarkeit ist eine Krankheit des neuen Jahrhunderts. Diese zu ergründen, Gegenmittel zu schaffen, war eine notwendige Arbeit erster ärztlicher Kapacitäten Auf Grund eingehender Versuche gelang es endlich, ein Mittel zu finden; welches, ohne der Gesundheit zu schaden, die männliche Potenz bedeutend erhöht. Wir erlauben uns anbei eine Probe gratis beizulegen. Urteilen Sie selbst; dies wird unsere beste Reklame sein.“

Es folgt eine Gebrauchsanweisung mit der im Rückblick zynischen Verheißung „Wirkung verblüffend!“. Unterzeichnet ist das hektographierte Schreiben mit „Hochachtungsvollst, ergebenst, gez. Charles Francis“. Der kann allerdings im gesamten Habsburger Reich nicht ausfindig gemacht werden. Die Ermittler vermuten, dass Mader, gemäß dem Offizierskodex jener Zeit ein arger Schürzenjäger, noch am Abend zu einem Stelldichein verabredet war, und in froher Erwartung die Pille nahm. Die entsprechende Dame kann allerdings ebenfalls nicht ausfindig gemacht werden. Die Schachtel, in der die mit dem Gift gefüllten Oblatenkapseln verpackt waren, wird sichergestellt.

Politischer Komplott?#

Ein mysteriöser Todesfall mit erotischem Hintergrund, noch dazu in Offizierskreisen, ist eine Sensation – und ein gefundenes Fressen für die internationale Presse. Wilde Spekulationen schießen ins Kraut, besonders als herauskommt, dass neben Mader noch elf weitere junge Generalstabsanwärter so einen Giftbrief erhalten, aber glücklicherweise beiseite gelegt haben. Zuvor war an alle Garnisonen eine Warnung der Militärbehörden vor dem Konsum ungefragt zugesandter Stärkungsmittel ergangen. Der Hauptmann blieb das einzige Opfer.

Nun machten sich die Ermittler auf die Suche nach dem Mordmotiv – Suizid konnte aufgrund der Umstände und des lebensbejahenden Charakters des Opfers ausgeschlossen werden. Lag ein politisches Komplott vor, hatte eine ausländische Macht die Hand im Spiel? Angesichts Maders unbedeutender Position innerhalb des Stabes war das sehr unwahrscheinlich. Vielleicht waren Staatsfeinde am Werk, galt doch das Militär als Institution, welche die krisengeschüttelte Donaumonarchie noch zusammenhielt. Steckte ein eiferssüchtiger Ehemann dahinter? Oder doch eher eine der Geliebten, welche die sexuellen Eskapaden des Hauptmanns missbilligte?

Nach und nach dämmert den Ermittlern aber, dass sie auch das Undenkbare in Erwägung ziehen müssen: Der Täter könnte unter den abgewiesenen Generalsstabsaspiranten zu finden sein. Vielleicht hatte er sein Scheitern nicht verwunden, vielleicht war er der irrwitzigen Idee verfallen, nachrücken zu können, wenn einer oder mehrere der erfolgreichen Kameraden „ausfielen“. Denn ein Platz im militärischen Elitekreis garantierte höchstes gesellschaftliches Ansehen. Von jährlich rund 1000 Bewerbern schafften nur 30 den Aufstieg. Die anderen scheiterten in diversen Auswahlverfahren an anspruchsvollen Prüfungen, an mangelnden Beziehungen oder, wie böse Zungen meinten, „an fehlenden blauen Blutkörperchen“. Die Abgewiesenen mussten dann weiterhin in teils weit von der Hauptstadt entfernten Standorten des Vielvölkerstaates bei mäßiger Bezahlung langweiligen Dienst versehen.

Nachforschungen ergaben, dass alle Empfänger der Zyankali-Briefe dem Kriegsschulabschlussjahrgang 1905 angehörten. Man sah sich nun die entsprechenden Unterlagen an, und stieß auf Adolf Hofrichter, geboren am 20. Jänner 1880 in Reichenau bei Gablonz. Er stammte aus einer wohlhabenden Industriellenfamilie, schlug die Offizierslaufbahn ein, wurde 1904 zum Oberleutnant ernannt und einem Infanterieregiment in Linz zugeteilt. Dorthin wurde er nach dem gescheiterten „Avancement“ wieder zurückversetzt. Er galt als krankhaft ehrgeizig und befand sich laut Einschätzung der Vorgesetzten "ständig am Rande der Insubordination".

Hofrichter, Schaufoto
Oberleutnant Adolf Hofrichter auf einem Schaufoto im Wiener Kriminalmuseum
© Wiener Zeitung

Sachverständige verglichen Hofrichters Handschrift mit dem „"Francis-Brief" und fanden „übereinstimmende Merkmale“. Außerdem war der Verdächtige nachweislich in der Nacht zum 14. November nach Wien gefahren und frühmorgens am Westbahnhof eingetroffen. Die Briefe wurden kurz darauf in einem nahegelegenen Postamt aufgegeben.

Ende November finden bei Hofrichter – dessen Frau Anna hochschwanger ist – Hausdurchsuchungen statt. Eine Kommission von hohen Polizeibeamten und Mitgliedern des Generalstabes lässt dem Verdächtigen Zeit, um sich nach alter Sitte eine Kugel in den Kopf zu jagen. Er tut es nicht, beteuert seine Unschuld. Dann entdecken die Ermittler Kuverts und Schachteln der gleichen Art wie in der tödlichen Post. Hofrichter habe daraus ein Nähkästchen basteln wollen. Man findet auch Oblatenkapseln. Darin will er ein Anti-Wurm-Mittel für den Hund aufbewahrt haben. Später wird festgestellt, dass „Troll“ tatsächlich unter Wurmbefall litt. Es gibt weitere Indizien, wie die Aussage des Hausmädchens, wonach sich Hofrichter stundenlang eingeschlossen hat. Etwa, um Zyankali herzustellen? Ausgezeichnete chemische Kenntnisse werden ihm attestiert. Darüber hinaus ist ein Cousin von ihm Drogist...

Ein handfester Beweis wird allerdings nicht gefunden. Als ein Motiv für Hofrichters hemmungslosen Aufstiegswillen gilt ein erschütterndes Erlebnis seiner Gemahlin: Anna musste einmal gemäß den herrschenden Konventionen auf dem Gehsteig einer Generalstäblersgattin Platz machen. Das soll sie nie verwunden – und damit den Ehemann ständig unter Erfolgsdruck gesetzt haben.

Hofrichter wird in militärische Untersuchungshaft genommen. Die ihm unterstellte Tat droht den bereits im In- und Ausland angeschlagenen Ruf der k.u.k. Armee noch weiter zu beschädigen. Generell gilt: Mitglieder des Generalstabes haben grundsätzlich nicht in Kapitalverbrechen verwickelt zu sein, und impotent, wenn auch nur potenziell, ist man(n) erst recht nicht!

Hofrichter lässt die Verhöre mit stoischer Ruhe über sich ergehen, und beharrt auf seiner Unschuld. Da kommt ihm eine kuriose gesetzliche Regelung aus der Regierungszeit Maria Theresias zupass, die in Militärstrafverfahren immer noch Gültigkeit besitzt. Sie besagt, dass das Strafausmaß zwanzig Jahre nicht überschreiten dürfe, wenn der Angeklagte kein Geständnis ablegt. In solchen Fällen verbietet sich ein Todesurteil. Am 23. Mai 1910 steht Hofrichter vor dem Kriegsgericht. Das Verfahren ist geheim, dem Anwalt wird der Kontakt zu seinem Mandanten verweigert, dessen Vorleben nochmals durchleuchtet. Man stößt auf eine frühere Verlobte, eine Pastorentocher, die unerwartet verstorben ist. Die Leiche wird exhumiert, die Obduktion ergibt nichts Verdächtiges, kein Zyankali. Der Angeklagte soll sich wiederholt mit falschem Doktortitel geschmückt haben, um sich erfolgversprechender an Frauen heranmachen zu können.

Die Psychiater erklären Hofrichter für „weder jetzt noch zur Zeit der Tat geisteskrank“. Er sei „trotz vorhandener psychopathischer Minderwertigkeit strafrechtlich voll zurechnungsfähig“.

Am 25. Juni wird das Urteil „bei offenen Fenstern und Türen“ verkündet: „Zwanzig Jahre verschärfter schwerer Kerker“. „Verschärft“ bedeutet: „Halbjährlich einmal fasten bei hartem Lager, und jährlich drei Tage hintereinander Absperrung in dunkler Zelle“. Nach der Urteilsverkündung wird Anna Hofrichter zu ihrem Gatten geführt. Der wirft sich mit irrem Blick ihr zu Füßen und brüllt: „Nicht reden! Nicht hören! Mich allein!“

Geänderter Name#

Der Verurteilte wird in die Militärstrafanstalt Möllersdorf bei Wien gebracht. Dort gibt er sich manchmal geistesgestört, dann wieder anmaßend und frech. Anna hat sich mittlerweile scheiden lassen und ist mit dem Kind fortgezogen. Hofrichter stellt unzählige Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens. Im Chaos des Zusammenbruchs am Ende des Ersten Weltkriegs geht das Wachpersonal einfach nach Hause. Auch die Häftlinge nutzen die einmalige Fluchtchance, Hofrichter aber weigert sich zu fliehen. Er wird begnadigt, kurzfristig erneut inhaftiert, und im September 1919 endgültig entlassen.

Er ändert seinen Namen in Adolf Richter und schlägt sich mehr schlecht als recht als Handelsvertreter durch. Um seine Unschuld zu beteuern, wendet er sich an prominente Journalisten, die, wie der links gesinnte Egon Erwin Kisch geneigt sind, ihm zu glauben. Doch auch Konservative wie Hans Habe stellten fest, dass der Prozess nicht fair war.

Kisch hat sich später jedoch vom stramm deutschnationalen Hofrichter abgewandt: „Großmannsucht und Herrenmoral atmen aus seiner Sprache, die der Sprache Adolf Hitlers gleicht. Gott verzeih mir, wenn ich ihm unrecht tat, aber ich wollte auch mit diesem Adolf H. nichts zu tun haben.“

Hans Habe hinterließ diese kleine Randepisode: In einem Hinterhofstreit hatte Richter-Hofrichter unter falschem Namen unsittliche Briefe geschrieben, um eine Nachbarin zu diskreditieren. Vom Gericht nach dem Grund befragt, hatte er nur geantwortet: „Ich schreibe so gern Briefe“.

Adolf Hofrichter starb am 29. Dezember 1945 in Wien.

Ulrich Zander

Ulrich Zander, geboren 1955, lebt als freier Journalist in Berlin und ist spezialisiert auf historische-, insbesondere kriminalhistorische Themen.

Wiener Zeitung, Samstag, 14. November 2009


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