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Schauen Sie nach vorn, Frau Lot!#

Eine optimistische Grundeinstellung stärkt den Organismus#


Mit freundlicher Genehmigung der Wiener Zeitung, Dienstag/Mittwoch, 30. April/1. Mai 2013

Von

Edwin Baumgartner


Schon das Wort "Ja" verleiht dem Körper zusätzliche Kraft.#

Baum in Blüte
Aufbruchstimmung in der Natur: Ein Baum hebt die Stimmung mehr als ein Bauwerk.
Foto: © corbis/Waldhäusl

Der Komet ist nicht gekommen. Der Weltuntergang nach fehlgedeuteter Maya-Prophezeihung hat nicht stattgefunden. Eigentlich erfreulich. Wenn nur die Welt nicht gar so übel wäre: Die Menschen alles Verbrecher, die Wirtschaft kaputt, der Euro eine einzige Gaunerei, sowieso, Griechenland - nur nicht davon reden, und Spanien wird uns auch auf den Kopf fallen, wenn das nicht vorher ein Dachziegel macht, sogar Frau Holle war durchgedreht in diesem Winter, kein Wunder, weil ja das ganze Klima kaputt ist, und überhaupt ist alles ganz und gar eine einzige Katastrophe.

Der moderne Mensch, speziell der moderne Europäer, neigt zum Pessimismus. Davon bringen ihn weder die gebetsmühlenartig wiederholten Plädoyers der Wirtschaft ab, mehr Optimismus sei notwendig, um die Krise in den Griff zu kriegen, noch die längst medizinisch gesicherte Tatsache, dass Optimisten gesünder sind als Pessimisten. Laura Kubzansky etwa, Professorin für Gesundheit und Sozialverhalten am Harvard-Institut für Volksgesundheit, stellte bereits 2004 in einem Kommentar zu einer Studie über Erkrankungen der Herzkranzgefäße bei Männern fest: "Die meisten Beweise für die Vorstellung, dass ‚positiv denken‘ gut für die Gesundheit ist, beruhten bisher nur auf wissenschaftlich nicht nachprüfbaren Aussagen. Diese Studie liefert die ersten handfesten medizinischen Beweise dafür, dass dies im Bereich der Herzerkrankungen zutrifft."

Lust auf ein Experiment?#

Was die amerikanische Ärztin und Verhaltensforscherin medizinisch belegen konnte, hat freilich schon Salomo gewusst - und der war ja von sprichwörtlicher Klugheit: Im 17. Kapitel der Sprüche schreibt er: "Ein Herz, das freudig ist, tut Gutes als Heiler, aber ein Geist, der niedergeschlagen ist, vertrocknet das Gebein".

Die Kraft der positiven Grundeinstellung kann übrigens jeder durch ein kleines Experiment, das keine fünf Minuten in Anspruch nimmt, selbst nachvollziehen, es bedarf dazu nur der Mitwirkung eines Partners. Ihn bittet man, im Stehen beide Arme auszustrecken, man wird versuchen, sie nach unten zu drücken, er möge dagegen halten. Und nun bittet man ihn, zuerst an etwas Schönes zu denken und hintereinander das Wort "ja" zu sagen. Man wird Mühe haben, die Arme nach unten zu drücken, zumindest wird man einen erheblichen Widerstand spüren. Nun wiederholt man das Experiment, man bittet den Partner lediglich, zuerst an etwas weniger Schönes zu denken und, so, wie er zuerst das Wort "ja" wiederholte, nun das Wort "nein" zu repetieren. Das Hinunterdrücken der Arme wird jetzt wesentlich leichter fallen.

Pessimisten erdulden Lärm#

Martin Seligman, Professor für Psychologie an der University of Pennsylvania und Autor von Büchern wie "Pessimisten küsst man nicht" und "Der Glücksfaktor: Warum Optimisten länger leben", untersuchte die Denkweisen von Menschen, die sich selbst schnell hilflos fühlten. Pessimistisches Denken, so Seligmans Einschätzung, stellt in vielen Lebenssituationen ein echtes Hindernis dar; es lähmt sogar und macht handlungsunfähig. Seligman resümiert: "Nach 25-jähriger Forschungsarbeit auf diesem Gebiet bin ich überzeugt: Wenn wir, wie die Pessimisten, prinzipiell glauben, dass Unglück unsere eigene Schuld ist, dass es sich ständig wiederholen wird und all unsere Bemühungen zunichte macht, dann stößt uns auch wirklich mehr Unglück zu als bei einer positiveren Einstellung."

Seligman war es auch, der bereits in den 1960er Jahren ein erstaunliches Experiment entwickelte: Versuchspersonen wurden genau auf ihr Persönlichkeitsprofil getestet und als eher optimistisch bzw. eher pessimistisch eingestuft. In der Folge sollten sie unangenehmen Lärm, der über Lautsprecher zugespielt wurde, mittels einer Tastenkombination abschalten. Bei der ersten Gruppe von Versuchspersonen funktionierte die Tastenkombination, bei der zweiten Gruppe hingegen war sie deaktiviert.

Bei weiteren Tests, bei denen Unangenehmes mittels einer Tastenkombination beendet werden konnte, zeigte es sich, dass die als "eher pessimistisch" eingestuften Angehörigen der zweiten Gruppe keine Anstrengungen machten, den Lärm auszuschalten, während die als "eher optimistisch" eingestuften es neuerlich probierten. Die Pessimisten nahmen also die Unbill hin, da sie von einer permanenten Wirkungslosigkeit der Tastenkombination ausgingen, die Optimisten hingegen begriffen jeden Durchgang des Experiments als neuen Ansatz mit neuen Möglichkeiten. (Dass Seligmans Erkenntnisse für Methoden der psychischen Folter, etwa in Guantánamo, missbraucht werden, soll angemerkt, ihm aber nicht angelastet sein.)

Aufbruchstimmung ist also angesagt, nach vorne schauen. Als Lots Frau sich umsah, erstarrte sie zur Salzsäule - der Gott, der sich Moses als Jahwe offenbarte, hätte sie auch als Strafe für die Missachtung seiner Weisung, sich nicht nach der zum Untergang bestimmten Stadt Sodom umzuschauen, zu Staub zerfallen lassen können. Doch die Salzsäule ist ein Symbol auch für unsere profane Gegenwart: Das trübe Trauern um Verlorenes bringt tödliche Erstarrung statt lebensbejahender Aktivität. Wer den Unterschied zwischen Erkenntnis förderndem Nachsinnen und dumpf kreisendem Grübeln erfasst, ist einer optimistischen Grundeinstellung bereits nähergekommen.

Dieser Optimismus der Puritaner und ihrer Erben, die ihre Bibelkenntnisse nicht nur auf sonntägliche Gottesdienste beschränkten, sondern im täglichen Leben zur Anwendung brachten, war es auch, der die nordamerikanischen Staaten in erstaunlich kurzer Zeit zur Weltmacht entwickelte.

Die Kraft des "Ja"#

Man mag als Europäer - zurecht - ein eher mangelhaftes Sozialsystem jenseits des Atlantiks diagnostizieren, die Todesstrafe - zurecht - für unmenschlichen Irrsinn halten, und die Selbstgerechtigkeit der US-Politik, mit der sich Nordamerika bisweilen als der von Gott höchstpersönlich eingesetzte Weltpolizist geriert - zurecht - ablehnen, doch wäre ein wenig vom Optimismus der Nordamerikaner bisweilen heilsam für den europäischen Hang zur selbstdestruktiven Nabelschau.

So mochte man auf unserer Seite des Ozeans auch über die Sinnlosigkeit von Barack Obamas Slogan "Yes We Can" in seinem ersten Wahlkampf um die Präsidentschaft schmunzeln (was ist es denn, was er kann?), doch dieses "Ja, wir schaffen es" entspricht genau jenem wiederholten "Ja", das die Kraft gibt, die ausgestreckten Arme oben zu halten.

Vielleicht trübt auch (aber das müsste für die Amerikaner umso mehr gelten) die zunehmende Verstädterung unseren Optimismus. Das Grau in Grau, wenngleich mit Schattierungen, von Beton und verputzten Ziegeln mag als Architektur den Verstand erfreuen, hebt aber die Stimmung weniger als etwa der Anblick eines Waldes im Frühling (Aufbruchstimmung in der Natur). Wer das nicht glauben will, bummle eine Stunde lang über die architektonisch wahrlich geglückte Ringstraße und dann die gleiche Zeit lang (um nicht Gegenden wie die Hardangervidda, den Tegernsee oder den Traunsee zu bemühen), durch die Prater Hauptallee. Der Mensch mag schlecht, sehr schlecht sein und überhaupt alles eine Katastrophe - aber erfreut ein blühender Baum das Herz nicht mehr, als es der Ärger über den Euro belastet?

Wiener Zeitung, Dienstag/Mittwoch, 30. April/1. Mai 2013


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