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„Heute sind die Ärzte offener“ #

Hält das alte Kräuterwissen der aktuellen Prüfung stand? Angelika Prentner über das schwierige Verhältnis von Naturheilkunde und Schulmedizin. #


Freundlicherweise zur Verfügung gestellt von: DIE FURCHE Donnerstag, 7. April 2016

Das Gespräch führte

Martin Tauss


Angelika Prentner
Angelika Prentner. Die Südsteirerin hat an der Universität Graz studiert. Neben ihrer Arbeit als Apothekerin forschte die Pharmazeutin in Südamerika über traditionelle Heilpflanzen. 2007 übernahm sie die Apotheke „Zur Gnadenmutter“ in Mariazell, deren 300-jähriges Jubiläum 2018 gefeiert wird. Prentner engagiert sich für die Vermittlung der lokalen Heilpflanzenkunde
Foto: © Apotheke

Pflanzenwirkstoffe Die Dosis macht das Gift – der alte Leitsatz des Paracelsus gilt auch in der Welt der Naturheilkunde. Wer dauerhaft Medikamente einnimmt, sollte auch beachten, dass Wechselwirkungen mit den Pflanzenwirkstoffen auftreten können.

Viele Menschen suchen heute natürliche Wege, um angesichts hoher Anforderungen fit und gesund zu bleiben, ist Angelika Prentner überzeugt. Vor fünf Jahren gründete sie die 1. Heilpflanzenakademie der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM). Die FURCHE traf die Mariazeller Apothekerin in Wien zum Gespräch.


DIE FURCHE: Wie hat sich bei Ihnen das Interesse für Heilpflanzen entwickelt?

Angelika Prentner: Von früh auf kannte ich Menschen, die sich mit Naturheilmitteln ausgekannt haben. Nach dem Pharmazie- Studium habe ich in einer klassischen Apotheke gearbeitet. Aber nur mit modernen Arzneimitteln zu arbeiten, war mir zu wenig. Überall wo ich war, habe ich nach Heilpflanzen Ausschau gehalten. Als ich früher viel in Südamerika gereist bin, habe ich oft die Pflanzenmärkte aufgesucht. Bei den Indios im Gran-Chaco-Gebiet erlebte ich, wie die Pflanzen noch viel stärker in die Medizin eingebunden sind. Dort waren damals erst rund 80 Prozent der Heilpflanzen erforscht. Durch das Reisen stellte ich fest, dass die gleichen Pflanzen in unterschiedlichen Regionen immer ein bisschen anders wirken. Das merkt man bereits, wenn man in Südamerika einen Pfefferminztee trinkt.

DIE FURCHE: Insofern war es wohl ein glücklicher Zufall, die Apotheke in Mariazell zu übernehmen, die eine ungebrochene Tradition in der Naturheilkunde hat?

Prentner: Absolut! Damals habe ich mich entschlossen, mit den traditionellen heimischen Heilpflanzen zu arbeiten, weil sie optimal zu unserem Organismus passen. Bevor moderne Arzneimittel zum Standard geworden sind, waren Heilpflanzen die Grundlage jeder Apotheke. In Mariazell hat sich diese Tradition erhalten, weil es als entlegenes Gebiet im Winter oft eingeschneit war. Man hat versucht, alles Nötige in der Gegend herzustellen. Es hat Frauen gegeben, die Kräuter für die Apotheke gesammelt haben. Dieses Wissen ist von Generation zu Generation weitergegeben worden. Am Dachboden haben wir Kräuterbücher aus dem Jahr 1835 gefunden, voll mit alten Rezepturen. Manche davon haben wir wieder eingeführt, zum Beispiel das „Mariazeller Lebenselixier“. Wir haben aber auch neue Rezepturen entwickelt, um die Heilmittel an heutige Bedürfnisse anzupassen, etwa für Schlafstörungen, Erschöpfungssymptome und das Burn-out-Syndrom.

DIE FURCHE: Welche Pflanzen würden Sie gegen Erschöpfung und Burnout empfehlen?

Prentner: Zum Beispiel die Taiga-Wurzel: Die hilft bei der Anpassung an Stress, indem sie Sauerstoff in den Körper bringt und die Regeneration der Zellen unterstützt. Auch die Angelikawurzel kann hilfreich sein, da sie die „Erdenergie“ stärkt. Es ist eine Pflanze, die stark verwurzelt ist und sich für Menschen eignet, die gewissermaßen ihre „Wurzeln“ verloren haben. Sie schützt unser Energiesystem; das ist vor allem für energieintensive Berufe wie Lehrer oder die helfenden Professionen wichtig.

DIE FURCHE: Sie beziehen sich auf ein „Energiesystem“, das in Studien nicht untersucht wird, also einen Bereich jenseits der akademischen Medizin. Wie sehen sie das Verhältnis von Naturheilkunde und Schulmedizin?

Prentner: Die traditionellen Heilsysteme sind für mich eine sinnvolle Ergänzung. Wir müssen froh sein, dass wir die Schulmedizin haben. Sie geht heute aber immer mehr ins Detail, bis auf die Zellebene usw. Auch die Strukturen in der Medizin werden immer spezialisierter. Dadurch verliert man oft den Überblick über die Zusammenhänge im Körper. Traditionelle Heilsysteme hingegen sind ganzheitlich ausgerichtet: Sie berücksichtigen nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische, seelische, energetische Ebene.

Heilkräuter
Heilkräuter
Foto: © Shutterstock

DIE FURCHE: Die medikamentöse Therapie orientiert sich heute an der Evidenz-basierten Medizin, die durch große Studien gespeist wird. Demnach wird in der Naturheilkunde oft von einer Wirkung gesprochen, die streng wissenschaftlich nicht belegt ist ...

Prentner: Die traditionelle Heilkunde ist eine jahrtausendealte Erfahrungswissenschaft. Aber sie ist schlecht dokumentiert, weil die Heilkundigen oft nicht schreiben konnten und entsprechende Messmethoden fehlten. Heute legt die Schulmedizin ihre Studien darauf an, Arzneimittel zu entwickeln, die auf der Zellebene wirken. Ich bin überzeugt, dass mit den aktuellen Methoden die Effekte der Pflanzen auf unser Energiesystem nachweisbar wären. Das aber hat keine Priorität in klinischen Studien.

DIE FURCHE: Es gibt in der modernen Medizin verschiedene Evidenz-Levels: Ganz oben stehen die großen Meta-Analysen mit zigtausend Patienten, ganz unten die vereinzelten Erfahrungsberichte. Demnach beruht die Naturheilkunde auf dem Nachweis mit der schwächsten Beweiskraft. Sehen Sie eine Möglichkeit, das Feld aus akademischer Sicht aufzuwerten?

Prentner: Es wäre wünschenswert, die Studienkriterien durch weitere Messmethoden zu ergänzen. Moderne Medikamente bestehen aus einem oder zwei Wirkstoffen, die ihre Effekte über bestimmte Rezeptoren im Körper entfalten. Pflanzen aber enthalten mitunter bis zu 300 aktive Stoffe, woraus eine komplexe Wirkung erwächst. Zudem ist ihre Wirkstoff-Zusammensetzung je nach Wetter, Standort oder Jahreszeit unterschiedlich. Es gibt bestimmte Zeiten, in denen man die Pflanzen sammeln sollte. Wir setzen unsere Heilmittel nach Mondphasen an, das ist der modernen Arzneimittelforschung völlig fremd. In den Magentropfen zum Beispiel ist ein Sandelholz, das die Lösung rotbraun färbt. Ich habe bei jeder Mondphase einen Ansatz gemacht, und tatsächlich war die Intensität der Farbe je nachdem unterschiedlich.

DIE FURCHE: Gibt es da nicht einen „Clash“ der Weltbilder? Einerseits die Schulmedizin mit ihren strengen Kriterien und andererseits mythische und magische Elemente, die damit nicht kompatibel sind?

Prentner: Ich sehe die Naturheilkunde als Ergänzung. Ob eine schulmedizinische oder pflanzliche Therapie gewählt werden soll, kann je nach Zeitpunkt anders sein. Historisch sind die klassische Gelehrtenmedizin und die Volksmedizin parallel praktiziert worden. Volksheilkunde war regionales Wissen, vor allem in der Hand der Frauen, die für die Gesundheit der Familie zu sorgen hatten. Es war früher verpönt, dieses Wissen in der Gelehrtenmedizin anzuwenden. Heute ist eine Rückbesinnung auf ganzheitliche Heilmittel feststellbar, auch um Nebenwirkungen zu vermeiden. Viele Ärzte versuchen eine mildere Therapie, bevor sie ein Antibiotikum allzu schnell verschreiben. Auch die Kombination von Pflanze und Medikament kann sinnvoll sein: Wird der Organismus durch eine Pflanze gestärkt, werden Medikamente besser vertragen. Es wäre wichtig, die beiden Heilsysteme zu verbinden. Im Mittelpunkt steht immer der Mensch – dass er gesund wird, auf welchem Weg auch immer.

DIE FURCHE: Welche Zukunft sehen Sie für das alte Wissen der „Kräuterhexen“?

Prentner: Das Interesse an einer Verwissenschaftlichung ist stark im Steigen. Wenn ich früher einen Heiltee angeboten habe, bin ich oft auf Ablehnung gestoßen. Oder wenn ich bei Ärzten gefragt habe, ob ich Patienten mit Krebs, Rheuma oder Schmerzzuständen ein Naturprodukt dazugeben soll. Früher hat es immer geheißen: Nein, bitte nicht. Heute sind die Ärzte offener. Viele Pflanzen gibt es schon als Medikament: in der Frauenheilkunde etwa den Mönchspfeffer, in der Demenz-Prävention den Gingko. Bezüglich Demenz wird derzeit auch mit griechischem Bergtee geforscht. Und die üppige Pflanzenwelt des Amazonas gilt überhaupt als wahre Schatzkiste für künftige Arzneimittel.

DIE FURCHE Donnerstag, 7. April 2016

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