Krems - Wien - Bratislava - Hinterbrühl#
Dienstag 21. August 2012#
Ich sitze am Deck der „Stadt Wien“. Das Schiff liegt hier in Tulln am Anlegesteg. Ich bestellte ein großes Soda Zitron und bekam ein großes Bier und ein kleines Soda. Eine nicht Deutsch sprechende Kellnerin. Sie war auch etwas überfordert, obwohl nur wenige Gäste im Lokal waren.
Ich bin schnell unterwegs. Nach 8 Uhr habe ich, so wie all diese Tage, meine Fahrt begonnen. Das Frühstück war gut. Der Frühstücksraum war – wie das gesamte Haus - wie ein Museum. Der Besitzer - er muss ungefähr so alt sein wie Opa - unterhielt sich mit mir über die Veränderungen in der Stadt. Dazwischen ließ er mir den Melde-zettel ausfüllen. Ich kam mir komisch vor hier in einer Pension zu wohnen, wo mein Elternhaus steht, das aber an Fremde vermietet ist und inzwischen meiner Schwester gehört. Auch habe ich eine eigene Wohnung ist, die aber auch vermietet ist. So lerne ich die Stadt aus einer neuen Sicht kennen.
Zwei Ehepaare waren noch beim Frühstück. Eines aus Deutschland, das nach 23 Jahren dieselbe Strecke von Passau nach Wien wieder fuhr und das zweite Paar aus Linz, die die Strecke testen um sie später mit den Enkelkindern zu fahren. Sie sagten Kinder, was bei Großeltern oft passiert. Die Frau war eine Vielrednerin und ich musste schauen, dass ich weg kam.
Die Tochter des Besitzers kassierte.
Ich fuhr durch die Steiner Altstadt und dann hinaus zur Donau. Beim Autobahndreieck querte ich die Donau. Am anderen Ufer musste ich zwei Kilometer zurück fahren um auf den südlichen Radweg nach Wien zu kommen.
Es waren nicht viele Radfahrer unterwegs. Meist kamen sie in Pulks. Wenn ich überholt hatte, war ich wieder alleine.
In Traismauer machte ich einen Stopp und kaufte mir ein Obi gespritzt. Dann fuhr ich weiter bis Tulln durch. Das Atomkraftwerk Zwentendorf gibt es nicht mehr. Es wird jetzt mit anderer Energie verwendet. Dadurch sind auch die Sicherheitseinrichtungen geringer geworden. Mit diesem Kraftwerk hatte Bundeskanzler Bruno Kreisky seine Wahl verloren und ist zurückgetreten, ja er hat sich aus der Politik zurück gezogen und ist nach einigen Jahren in Mallorca gestorben.
Es war mein letzter Radtag. Es war bewölkt und nicht mehr so heiß. Ich schonte mich heute weniger. Ich brauche ja morgen nicht mehr zu fahren. Ich fuhr flott, wenngleich ich versuchte auf den letzten Kilometern nicht hängen zu bleiben.
Ich hatte bisher Nichts verloren. Nach einer Rast auf einer Bank nach Tulln habe ich meine Schirmkappe liegen gelassen. Zurückfahren lohnte sich nicht. Ich denke, es war gar nicht meine Kappe, sondern die von Markus.
In Greifenstein wieder ein Wasserkraftwerk. Oben am Berg – als sei sie für die Bewachung zuständig – eine mittelalterliche Burg.
Für Alexandra Flicker sammle ich Bilder von Scrafittis. Hier kam ich an einem Tanz- und Konzertlokal vorbei, das außen mit alten Sängern bemalt ist. Viele Fotos schoss ich. Für mich und Alex.
Ich kam Wien immer näher und der Traum, diese Reise zu meistern wurde immer realistischer. In Klosterneuburg kam ich durch Siedlungen mit kleinen Wochenendhäusern. Später wollte ich Theos Haus fotografieren, wusste aber nicht genau welches seines ist.
Sentimental wurde es für mich, als ich das Ortschild „Wien“ sah. Schon die letzten Kilometer merkte ich, wie mein Inneres sich auflud. Wie am Ende eines Marathonlaufs. So auch jetzt. Als ich in Wien einfuhr weinte ich. Meine Nerven gingen durch. Ich hatte es geschafft. Ja. Bregenz – Wien ist auch gut. Wenn ich jetzt Bratislava nicht mehr schaffe, dann war es immer noch eine tolle Leistung. Langsam fing ich mich wieder. Das Nasse kam nun nicht mehr von meinen Augen, sondern von oben, von den schwarzen Wolken. Ich kehrte in einem griechischen Restaurant ein. Ich musste mein Fahrrad unterstellen. Geschützt durch ein großes Sonnensegel konnte ich im Freien sitzen. Gestalten, wie aus einem Kriminalroman verkehrten hier. Ein Mann – anscheinend der Besitzer – unterhielt sich immer mit anderen Leuten an immer anderen Tischen. Die Kellnerin brachte mir drei Apfelsaft gespritzt.
Also 1 ½ Liter. Beim dritten Glas lachte sie schon. Ich aß eine kalte Suppe und dann gebackenes Gemüse. Mein Telefon wurde wieder aufgeladen. In der Küche füllte ich meine Wasserflasche nochmals auf. Ich wollte nicht in die Stadt hinein fahren, nur um ein Mineralwasser zu kaufen. Normales Wasser, das ich mit einer Brausetablette versetzte sollte es auch tun.
Wenn man täglich 3000 Kalorien verbrennt, dann muss man auch viel Nahrung zuführen. Das bedeutet für den Körper und seinen Verdauungsapparat ebensoviel Arbeit wie für die Muskeln, die die Kalorien verbrauchen.
Gestärkt fuhr ich weiter und aus Wien hinaus. Über einen Fahrradweg, der unterhalb der Autobahnbrücke angehängt war kam ich auf die Donauinsel, einer Freizeitinsel, die auch zum Hochwasserschutz für die Stadt Wien dient. Eine Radfahrerin – nach ihrem Akzent war sie Tschechin – fragte ich nach dem Weg nach Bratislava. Sie empfahl mir auf der Insel weiter zu fahren und bei einer späteren Brücke an das Nordufer zu fahren. Dort musste ich neben einem FKK Strand entlang fahren. Es war nicht so interessant die Nackten anzuschauen, weil es meist Alte und Dicke waren. Zwei Radfahrer zeigten mir den Weg durch die Raffinerieanlage. Ich sah sie dann noch lange vor mir radeln. Der Weg führte jetzt auf einem Schotterweg, auf der Krone eines Hochwasserdamms. Rechter Hand die Donauauen, ein Naturschutzgebiet, linker Hand Felder des Marchfeldes. Der Damm war oft schnurgerade oder hatte nur eine sehr flache Krümmung. So fuhr ich lange einem Ziel am Horizont entgegen. Der Wind blies jetzt stark von vorne. Also auch hier hatte ich kein Glück mit Rückenwind, wie er normal von Westen kommt. Es begann zu regnen. Das war mir egal. Es waren meine letzten Stunden. Wenn ich nass werde macht das Nichts mehr. Ich hatte nur Angst vor einem Gewitter. In der Ferne donnerte es. Bei Blitzen wäre ich hier im freien Gelände gefährdet. Ich fuhr also schneller, um es hinter mich zu bringen. Die Angst, hier auf den letzten Kilometern noch einen Plattfuß zu bekommen saß im Nacken. Dem hielt ich Worte nach oben, an Gott entgegen, dass er mich auch die letzte Strecke beschützen möge.
Ich telefonierte mit Hannelore und vereinbarte, dass wir uns um ½ 5 vor der Oper in Bratislava treffen werden. Ich wusste, dass sie nicht kommen wollte. Innerlich reimte ich mir Dinge zusammen, wie, dass ich bei ihrem Nichterscheinen in Bratislava bleiben würde.
Für diesen Streckenabschnitt hatte ich keine Landkarte. Ich schätzte immer nur. Irgendwann tauchte aber doch die Donaubrücke in Hainburg auf. Ich kreuzte die Donau. Vor einigen Monaten hatten wir hier in der Au noch Schneeglöckchen gepflückt. Jetzt war es brütend heiß. Die Donau hatte wenig Wasser. Die Sandbänke ragten bis zur Mitte des Stroms.
Am Südufer ging der Weg durch die Au in die Stadt hinein. Ich fuhr in die Altstadt hinauf und kaufte mir eine Fruchtmilch, die ich rasch ausgetrunken hatte.
Hinaus aus der Stadt sah man bald in der Ferne die Burg von Bratislava. Der Weg ging durch Felder. Ich überholte ein Ehepaar. Sie waren aus Mallorca und machten die Strecke von Passau nach Budapest. Bald kam die Anzeige der Staatsgrenze. Keine Kontrollen mehr. Die Slowakei ist Teil der Europäischen Union. Ich ließ mich hier mit der Burg im Hintergrund fotografieren.
Bedingt durch den Milchkauf in Hainburg war ich verspätet. Aber auch Hannelore war später dran, womit ich gerechnet hatte. Sie rief mich an und schimpfte nur, dass sie sich verfahren hätte und nicht wisse wo sie sei. Dann legte sie auf. Das schaute ja gut aus. So ein Finale hatte ich mir nicht erträumt. Hier gab es also keine Emotionen mehr wie in Wien.
„I did it“. Mein Pariser Chef Derek Edwards sagte immer, wenn wir ein Ziel erreicht hatten „We did it“. Einmal ließ er sogar für alle Mitarbeiter T-Shirts drucken, auf denen stand „We did it“.
Ja. Ich habe es geschafft. Ich bin an meinem Ziel in Bratislava angekommen. Ich war schneller als ich mir gedacht hatte. Theoretisch hatte ich mir ausgerechnet acht bis zehn Tage zu brauchen. Die acht war aber eine Idealvorstellung und die erreichte ich. Dabei hatte ich einen sehr treuen Begleiter: den Gegenwind. Ich wählte die Strecke von West nach Ost, weil wir in Österreich meist Westwind haben. Dem war nicht so bei meiner Reise. Der Wind kam immer von vorne: im Rheintal, im Montafonertal, im Inntal und dann im Donautal. Selbst am Schluss, als die ich die gerade Strecke am Damm von Wien nach Bratislava fuhr, blies er mir ins Gesicht. Gerade hier, wo ich fast am Ziel war und oben am Damm mein Gegner Gegenwind die beste Angriffsfläche hatte tat das weh. Ich musste zurückschalten, als würde ich auf einen Berg hinauf fahren.
Ich radelte über die Donaubrücke und hinein in die Altstadt. Vor der Oper fotografierte ich und manchmal passieren Wunder. Ich sah, wie mich eine Frau fotografierte und bei genauerem Hinschauen war es Hannelore. Sie war auch gerade angekommen. Ich war glücklich. Nun war es also wirklich geschafft. Wir küssten uns und gingen in eines der schönen Lokale. Wir setzten uns in bequeme Sitze und bestellten Sekt, mit dem wir auf den guten Abschluss und die Fahrt anstießen. Dann wanderten wir noch durch die Fussgeherzone und beschlossen nächste Woche nochmals herzufahren.
Wir verluden das Rad und fuhren heim in die Hinterbrühl. Auch wenn ich physisch zu Hause war, war ich im Kopf noch unterwegs. Ein warmes Bad erfrischte.