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Wo Suryas steinernes Gespann über die Erde donnert #

Der Sonnentempel im indischen Konarak#


Von

Günther Jontes

Sämtliche Fotos sind Aufnahmen des Verfassers aus den Jahren 1978 bis 2004 aus seinem Archiv "Bilderflut".


An der Küste des nordostindischen Bundesstaates Orissa erhebt sich die gewaltige Ruine eines dem hinduistischen Sonnengott Surya geweihten Tempels. Er war von Alters her eine Landmarke für die Seefahrt und wurde im Gegensatz zu dem Jagannatha-Tempel von Puri mit seinen weißgekalkten Mauern wegen seiner altersdunkeln Formationen als „schwarze Pagode“ bezeichnet. Heute liegt er ein kurzes Stück im Landesinneren und sein einst wohl an die 70 Meter hoher Turm über dem Allerheiligsten ist schon vor langer Zeit eingestürzt. Aber die Fundamente, die den Sonnenwagen tragen, mit ihren kilometerlangen Reliefreihen, die Nischen mit den Figuren des Gottes, der Eingang zur ehemaligen Tanzhalle sind erhalten geblieben. Und das Kennzeichnende dieses Tempels, der längst zum Weltkulturerbe zählt, ist die Tatsache, dass die gesamte Anlage als ein Wagen auf steinernen Rädern konzipiert wurde, der wie das mythische Gefährt von steinernen Pferde gezogen wird.

Es gibt kaum eine Stelle in dieser Architektur, die nicht reich mit bildlichem und ornamentalen Schmuck überzogen wäre. Alle Bereiche des Göttlichen und Menschlichen, des Mythischen und des Kosmischen sind miteinbezogen. Miniaturhafte Darstellungen in Rondeaus, Nischen wachsen nur selten über das Monumentale hinaus wie etwa die Bilder des Sonnengottes, die Zugpferde des Wagens oder die Feinde abwehrenden Elefanten. Des Schauens im Detail ist also kein Ende.

Sonnentempel im indischen Konarak
Lizenziert unter CC BY 4.0
Sonnentempel im indischen Konarak
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Sonnentempel im indischen Konarak
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Der Tempel wurde im 13. Jahrhundert nach Chr. von einem König der über Orissa herrschenden Dynastie an Stelle eines Vorgängerbaues errichtet. Er wollte damit wahrscheinlich einen militärischen Sieg feiern. Einbrechende muslimische Raubscharen in den folgenden Zeiten haben ihn zwar mit der Beschädigung der Kultstatuen und mancher figuraler Darstellungen zugesetzt. Aber das, was übriggeblieben ist, kündet noch immer von einer architektonischen Großtat. Dass der Tempel zur Ruine wurde, mag damit zusammenhängen, dass die Natur ihre Rechte zurückforderte, Sande vom nahen Meeresstrand manche Details abschliffen und der Kult um den Sonnengott nicht mehr diese Intensität erreichte wie sie den Hauptgöttern Shiva, Kali und Vishnu zuteil wurde.

Was hat es nun mit dem Sonnengott auf sich? Sein Name Surya ist der altindische Ausdruck für „Sonne“. Er entspricht damit sprachgeschichtlich dem Griechischen helios, dem Lateinischen sol, dem Althochdeutschen sunna. Das Sanskrit gehört ja zur indoarischen Gruppe der indogermanischen Sprachen. Den Indern gilt der Gott als Personifikation des Himmelskörpers Sonne, von Licht und Wärme. In den Veden, den ältesten indischen religiösen mündlich und dann auch schriftlich niedergelegten Überlieferungen kommt er bereits vor, konnte sich aber nie zur Stufe der Hauptgottheiten Vishnu und Shiva aufschwingen. Deshalb ist auch die Zahl seiner ihm geweihten Tempel eher gering.

Surya zählt zu den Adityas, den zwölf vedischen Gottheiten, an deren Spitze als König der Donnergott Indra steht. Er gilt auch als Manifestation des Feuergottes Agni auf Erden. Sein Symbol ist das Sonnenrad Swastika, das Hakenkreuz als Heilszeichen. Er wird auch als Bruder von Indra und Agni angesehen. Seine Eltern sind der Himmelsgott Dyaus, der dem antiken Zeus und Iupiter entspricht, und die personifizierte Erde Prithivi. Seine Schwester ist Ushas, die Göttin der Morgenröte, die man mit der griechischen Eos vergleichen kann. Man sieht also dass die indogermanischen sprachlichen und mythologischen Verflechtungen ziemlich deutlich sind.

Sonnentempel im indischen Konarak
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Seine Standbilder in offenen Nischen zeigen einerseits die Verstümmelungen durch die muslimischen Barbaren, andererseits aber auch, mit welch unglaublicher Feinheit und überwältigendem Geschmack von den Bildhauern die Details seiner Kleidung ausgeführt wurden.

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Surya wird als Bildnis dreimal gezeigt und damit Sonnenaufgang, Mittag und Sonnenuntergang symbolisiert.

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Sein Wagen (skr. vimana) wurde von dem himmlischen Handwerker Vishvakarma aus Sonnenstrahlen verfertigt. Gezogen wird er von sieben Pferden, die den sieben Wochentagen entsprechen. Sein Wagenlenker ist Aruna, der Gott des heraufkommenden Morgens. Auch eine der Gattinnen Suryas begleitet ihn auf dem Wagen. Es ist Chhaya. Ihr Name bedeutet „Schatten“. Sie wird also als Gegenbild zur strahlenden Sonne gesehen. Alles hat auch sein Gegenbild.

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Der steinerne Wagen wird von sieben voll gezäumten Pferden gezogen.

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Zornerfüllte mächtige Pferde und Elefanten flankieren den Wagen und vernichten anstürmende feindliche Krieger.

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Im ganzen Gefüge verbirgt sich eine Zahlenmystik, die mit der Zeit zusammenhängt. Die Sonne gibt diese durch ihren Lauf über den Himmel vor. Der Wagen rollt auf 24 Rädern, die für die Mondphasen des indischen Jahrlaufes stehen. Diese Räder sind für sich selbst wieder wahre Wunder. Sie haben acht Speichen, die die alte Einteilung in die Zeiteinheiten des Tages markieren.
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Radnabe und Speichen sind in feinster Arbeit reich verziert. In Kreise miniaturhaft eingepasst finden sich Gottheiten, Fabelwesen und Liebespaare.

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An den Radnaben kann man die genaue Konstruktion aus Holz, jedoch in Stein nachgebildet, studieren.

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Neben den Tempeln von Khajuraho ist vor allem Konarak wegen der lustvollen, für europäische Augen auch gewagten erotischen Darstellungen berühmt. Die allumfassende Zeugungskraft der Natur, die von Licht und Wärme der Sonne ausgeht, bilden den geistesgeschichtlichen Hintergrund dieser Bilder, die auf den Inder keineswegs lasziv wirken und Bestandteil einer Ars amatoria sind, wie sie sich auch im altindischen Kamasutram, dem Lehrbuch der Liebeskunst äussert.

Die Vorstellung von einem tönenden Kosmos kennt auch die klassische Antike Griechenlands und Roms. Im Somnium Scipionis, einer Traumerzählung Ciceros, wird das Bild entworfen, dass die Erde im Zentrum von Sphären stünde, die die Planetenbahnenbahnen darstellen und von denen jede einen eigenen Ton von sich gäbe und damit das Universum von überirdischen Klängen erfüllt sei. Im Prolog im Himmel in Goethes Faust I kommt dies auf folgende Weise zum Ausdruck:

Die Sonne tönt nach alter Weise
In Brudersphären Wettgesang,
Und ihre vorgeschriebne Reise
Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke.
Wenn keiner sie ergründen mag;
Die unbegreiflich hohen Werke
Sind herrlich wie am ersten Tag...

Im Sonnentempel von Konarak hört man mit seinem inneren Ohr gleichsam, wie diese Räder des Wagens Suryas über den Steinboden brausen. Und dass diese Idee bei den Denkern und Dichtern über Epochen hinweg gleichermaßen besteht, zeigt sich in Goethes Faust II im Gesang des Ariel:

Horchet! Horcht dem Sturm der Horen!
Tönend wird für Geisterohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsentore knarren rasselnd,
Phöbus’ Räder rollen prasselnd.
Welch Getöse bringt das Licht.

Der Wagen Suryas baut sich von Grund auf und selbst die Basis ist schon reich verziert, wird von kleinen Elefanten getragen.

Sonnentempel im indischen Konarak
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An alles ist gedacht. Wasserspeier mit grotesken Häuptern leiten das Wasser ab, das bei den sintflutartigen Monsumregen vom Himmel schießt.

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Längst nicht so mächtig aufgebaut und dazu noch von muslimischen Raubscharen stark verstümmelt ist der Sonnentempel von Modhera im Bundessaat Gujarat. Er besitzt auch einen Kultteich und die Anlage gewinnt dadurch wieder einen ganz anderen Charakter als das Weltkulturerbe Konarak.

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Der verstümmelte Surya von Modhera auf seinem Wagen. Bilderfeindlichkeit der Muslime wird zur Barbarei. Man erkennt noch die beiden Lotosblüten in den Händen des Gottes als seine Attribute.


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