Form und Aufbau der Kristalle#
Wenn die Mineralien bei ihrer Bildung genug Platz zur ungestörten räumlichen Ausdehnung gehabt haben, wie etwa dann, wenn sie in freien Hohlräumen im Gestein als sogenannte Kluftmineralien gebildet wurden, umgeben sich die Kristalle mit ebenen Begrenzungsflächen und bilden eine bestimmte begrenzte Anzahl von Polyedern (Vielflächnern), die für die Kristallwelt charakteristisch sind; alle diese möglichen Kristallformen kann man nun rein deskriptiv geometrisch sieben verschiedenen Kristallsystemen, wie sie auf Seite 15 dargestellt sind, zuordnen. Die dabei auftretenden einzelnen Kristallformen, wie etwa Würfel, Rhomboeder usw., sind dabei durch eine bestimmte Anzahl 1 von Symmetrieelementen (Symmetrieebenen und -achsen) gekennzeichnet und für bestimmte Mineralien (Steinsalz zeigt z. B. Würfel) charakteristisch; die einzelnen reinen Formen, wie Würfel, Pyramiden usw., können nun nebeneinander an ein und demselben Mineral als Kombinationen (allerdings immer nur innerhalb eines Systems) vorkommen; in der Natur kommen nun tatsächlich viele derartige Kombinationen vor, aus rein geometrischen Gründen ist die Anzahl dieser Formen und Kombinationen aber keineswegs unbegrenzt groß.
Eine wichtige gemeinsame Eigenschaft aller Kristalle ist dabei das Gesetz der Winkelkonstanz, das besagt, dass die Winkel zwischen gleichwertigen Kristallflächen eines Minerals immer genau gleich sind, ganz gleichgültig, ob das Mineral regelmäßig als Modellkristall oder stark verzerrt auftritt.
Weiters zeigen einzelne Kristallflächen niemals einspringende Winkel, solche können nur dann auftreten, wenn zwei Kristalle einer Mineralart gesetzmäßig miteinander verwachsen und dadurch Zwillinge (z. B. Schwalbenschwanzzwilling bei Gips) bilden.
Die Ursache aller dieser äußeren Erscheinungen liegt im inneren Aufbau der Kristalle, im Raumgitter. Jeder Kristall ist aus einer unvorstellbar großen Zahl von einzelnen Atomen aufgebaut, die in einem Mineral immer genau dieselben Abstände von allen benachbarten Atomen haben. Einige wenige Mineralien, die Elemente, bestehen nur aus einer Art von Atomen, aus einem chemischen Element (etwa Gold), die Mehrzahl besteht aus verschiedenen Elementen, deren Atome untereinander genau defi-nierte Abstände haben.
Abb. 1 zeigt zwei Beispiele von Gittern des Elements Kohlenstoff, das in beiden Fällen aus denselben Einzelbausteinen, aber in verschiedener Anordnung besteht.
Das erste Gitter zeigt deutlich einen schichtartigen Aufbau, in dem innerhalb der einzelnen Lagen ein viel engerer Abstand der Atome herrscht als zwischen den einzelnen Lagen; man kann sich nun leicht vorstellen, dass die Festigkeit des Gitters, eben der Zusammenhang zwischen den einzelnen Atomen, m verschiedenen Richtungen verschieden ist; das Mineral hat eine ausgezeichnete Spaltbarkeit parallel der schraffierten Ebene.
Das zweite Beispiel zeigt ein wesentlich kompakteres Gitter, es ist keine derartig ausgeprägte, dicht besetzte Ebene mehr vorhanden, das heißt, das Mineral hat keine ausgeprägte Spaltbarkeit und insgesamt eine wesentlich höhere Festigkeit als das erste Beispiel. Das erste Gitter ist das Gitter des Graphites, das zweite das des Diamanten, beides Modifikationen von Kohlenstoff, also aus denselben Elementarteilchen aufgebaut, aber, eben auf Grund der verschiedenen Kristallgitter, von ganz unterschiedlichen Eigenschaften. Der Diamant ist bei weitem das härteste aller Mineralien, während der Graphit so weich ist, dass man ihn mit Leichtigkeit zwischen den Fingern zerreiben kann.
Härte und Spaltbarkeit sind nur zwei der vielen Eigenschaften, die man auf das Kristallgitter zurückführen kann. Es gibt noch verschiedene andere, wie Wärmeleitung, Elastizität und vor allem die Lichtgeschwindigkeit, die bei Kristallen immer abhängig ist von der Richtung, in der der Kristall durchstrahlt wird.
Für jedes Mineral ist nun ein bestimmtes, genau definiertes Raumgitter charakteristisch, in der Mineralklasse der Silikate erfolgt sogar die systematische Einteilung nach typischen Merkmalen des Gitters, aber im Rahmen dieses Büchleins kann natürlich nicht auf derartige Einzelheiten eingegangen werden. Es ist dagegen wichtig, eine Vorstellung vom prinzipiellen Aufbau der kristallinen Materie zu bekommen.
Wenn man die Oberfläche eines Kristalles, die ja dem Auge als eine einheitlich von Materie erfüllte Fläche erscheint, mit millionenfacher Vergrößerung betrachten könnte, würde man sehen, dass die Masse der Materie in vielen relativ kleinen Punkten konzentriert ist, während der Raum dazwischen praktisch leer ist.
Die Teilchen werden durch verschiedene Kräfte in ihrer räumlichen Lage fixiert. Der Abstand zwischen den Teilchen ist unvorstellbar klein, er beträgt nur wenige Angströmeinheiten.
© "Das kleine Mineralienbuch" von J. Ladurner/F. Purtscheller, Innsbruck, 1972