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Alpenwanderung mit Folgen#

ForscherInnen verifizieren fast 70 Jahre alte genetische Hypothese#

Schwarzes Kohlröschen (Gymnadenia bzw. Nigritella rhellicani), schwarzer Wildtyp
Schwarzes Kohlröschen (Gymnadenia bzw. Nigritella rhellicani), schwarzer Wildtyp
Foto: © Universität Zürich/Roman Kellenberger
Schwarzes Kohlröschen (Gymnadenia bzw. Nigritella rhellicani), rote Farbvariante
Schwarzes Kohlröschen (Gymnadenia bzw. Nigritella rhellicani), rote Farbvariante
Foto: © Universität Zürich/Roman Kellenberger
Schwarzes Kohlröschen (Gymnadenia bzw. Nigritella rhellicani), weiße Farbvariante
Schwarzes Kohlröschen
Foto: Gymnadenia bzw. Nigritella rhellicani), weiße Farbvariante (© Universität Zürich/Roman Kellenberger

Mischerbige Pflanzen sind fitter als reinerbige – und ihnen daher überlegen. Mit dieser Hypothese der sogenannten Überdominanz wird seit 1951 das Vorkommen verschiedener Erscheinungsformen in einer Population erklärt. Doch einen klaren Beleg für diesen Mechanismus konnte bisher noch niemand erbringen. An einer Orchideen-Population ist es WissenschafterInnen unter Beteiligung der Arbeitsgruppe um Jürg Schönenberger von der Universität Wien gelungen, die These zu bestätigen. Ihre Erkenntnisse haben sie aktuell in der Fachzeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Polymorphismus ("Vielgestaltigkeit") durch Überdominanz ist eine Hypothese, die im Jahr 1951 erstmals von Theodosius Dobzhansky aufgestellt wurde und die ein grundlegendes Konzept in der Evolutionsbiologie darstellt. Doch einen überzeugenden Beleg für eine echte Überdominanz zum Erhalt von Polymorphismus in einer natürlichen Population gab es bisher noch nicht. Auf der Südtiroler Seiser Alm sind Botaniker auf das außergewöhnliche Vorkommen einer Orchideenart gestoßen. Das Schwarze Kohlröschen (Gymnadenia bzw. Nigritella rhellicani) ist hier weit verbreitet – doch die eigentlich dunkle, duftende Alpenorchidee zeigt sich auf der Seiser Alm in drei verschiedenen Farbausprägungen. Nur 62 Prozent der Pflanzen weisen den fast schwarzen Wildtyp auf, 28 Prozent sind rot und 10 Prozent weiß.

"Diese Zahlen sind zu hoch, um einfach nur spontane Mutationen zu sein. Es gibt zwar immer wieder vereinzelt Exemplare in anderen Farben, aber Sie verschwinden wieder, wenn sie keinen Selektionsvorteil haben", erklärt der Botaniker Roman Kellenberger von der Universität Cambridge.

Bestäuber bevorzugen rote Blüten#

Der Farbpolymorphismus beim Schwarzen Kohlröschen existiert seit mindestens 100 Jahren. Aufzeichnungen zufolge ist von 1997 bis 2016 der Anteil der roten und weißen Exemplare von zusammen unter 5 Prozent auf rund 40 Prozent gestiegen – ein Hinweis darauf, dass die neuen Varianten, bzw. vor allem die rote Variante, der schwarzen überlegen sind.

Grund dafür sehen die ForscherInnen in den Bestäubern der Pflanze: "Auf der Seiser Alm sind Bienen und Fliegen die wichtigsten Bestäuber des Schwarzen Kohlröschens", erklärt Studienleiter Philipp Schlüter von der Universität Hohenheim. "Die beiden werden jedoch von unterschiedlichen Farben angezogen: Bienen bevorzugen die dunklen Blüten, Fliegen die weißen, und die roten werden von beiden Bestäubern aufgesucht.“ Mit der Folge, dass die rote Farbvariante die höchste Anzahl an Samen trägt und sich dadurch am stärksten vermehrt.

Rote Blüten sind mischerbig#

Nähere Untersuchungen in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Jürg Schönenberger am Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien ergaben schließlich, dass die Pflanzen tatsächlich nur in einem Merkmal variieren – lediglich eine Klasse von Farbpigmenten unterscheidet sich. Die ForscherInnen führten genetische Untersuchungen durch, korrelierten die Ergebnisse mit dem Erscheinungsbild der Pflanzen – und konnten tatsächlich ein Gen als Verursacher ermitteln.

"Es ist aber keine Mutation im Gen, das direkt für die Produktion der Farbpigmente verantwortlich ist", erklärt Schönenberger: "Dieses Gen wird gewissermaßen nur ein- oder ausgeschaltet." Das regelt ein sogenannter Transskriptionsfaktor, der nun die kausale Mutation aufweist. "Bei der Vererbung erhalten die Nachkommen je eine Kopie des mütterlichen und des väterlichen Erbguts. Funktioniert der Transskriptionsfaktor bei beiden Kopien, entsteht der schwarze Wildtyp. Ganz ohne ihn wird die Blüte weiß, bei mischerbigen Pflanzen mit einem funktionierenden und einem nicht funktionierenden Transskriptionsfaktor gibt es die rote Blüte."

Überdominanz erklärt Farbvarianten in der Population#

Die beiden reinerbigen Varianten haben also keinen Fitness-Nachteil, die mischerbige jedoch weist mit ihrer größeren Samenanzahl eine höhere Fitness auf. "Das alles zeigt uns, dass Überdominanz tatsächlich in der Natur auftritt und eine Erklärung für Polymorphismus in einer Population darstellt", fasst Schlüter zusammen.

Die "Alpenvanille", wie das Schwarze Kohlröschen wegen seines Duftes auch genannt wird, stellt daher auch aus Forschungssicht eine außergewöhnliche Pflanze dar. "Die Population auf der Seiser Alm ist einzigartig", hebt Schönenberger hervor. Die Orchideen überleben besonders gut auf mageren Wiesen. Der Experte mahnt daher: "Auch künftig sollten ihre Lebensräume erhalten bleiben – und nicht zuletzt auch die Bestäuber geschützt werden."

Publikation in Nature Communications#

Roman T. Kellenberger, Kelsey J.R.P. Byers, Rita M. De Brito Francisco, Yannick M. Staedler, Amy M. LaFountain, Jürg Schönenberger, Florian P. Schiestl, Philipp M. Schlüter (2019): Emergence of a floral colour polymorphism by pollinator-mediated overdominance. Nature Communications https://doi.org/10.1038/s41467-018-07936-x

Wissenschaftlicher Kontakt#

Univ.-Prof. Dr. Jürg Schönenberger
Department für Botanik und Biodiversitätsforschung
Universität Wien
1030 - Wien, Rennweg 14
+43-1-4277-540 80
juerg.schoenenberger@univie.ac.at

Rückfragehinweis#

Stephan Brodicky
Pressebüro der Universität Wien
Forschung und Lehre
Universität Wien
1010 - Wien, Universitätsring 1
+43-1-4277-175 41
+43-664-60277-175 41
stephan.brodicky@univie.ac.at


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