Die Datenschutzgrundverordnung und die Praxis. Neuer Kommentar zur DSGVO erschienen #
Mehr Klarheit für die Anwendung der bisweilen als „Monster“ bezeichneten Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bringt ein neuer Kommentar, den der profilierte Salzburger Datenschutzrechtsexperte Dietmar Jahnel unter Mitwirkung von Christian Bergauer verfasst hat. Es ist dies erst der zweite große Kommentar zur DSGVO in Österreich.#
Während alle Kommentare im deutschsprachigen Raum bisher von einem Autorenkollektiv verfasst wurden und daher sehr uneinheitlich sind, handelt es sich bei der Neuerscheinung erstmals um eine Kommentierung aus einem Guss. Im Fokus standen Praxisorientierung und Verständlichkeit, so Jahnel.
Am 25. Mai 2018 trat die EU-Datenschutzgrundverordnung in Geltung. Die extrem hohen Strafandrohungen von bis zu 20 Millionen Euro bzw. vier Prozent des weltweiten Umsatzes bei Verletzung des Datenschutzes sorgten rund um den DSGVO-Geltungsbeginn für einen unglaublichen Datenschutz-Hype. Die Datenschutzgrundverordnung brachte es in Österreich im Jahr 2018 sogar zum Unwort des Jahres. „Der Hype der Jahre 2017 und 2018 ist inzwischen ebenso vorübergangen wie die übertriebene Angst vor dem „Monster“ DSGVO. Es hat sich gezeigt, dass eines der Hauptanliegen der DSGVO erreicht worden sein dürfte, nämlich ein deutlich verstärktes Bewusstsein für die Bedeutung des Datenschutzes sowohl in der Wirtschaft als auch in der Bevölkerung. Dies unterstreichen die stark gestiegene Anzahl von Beschwerden an die Datenschutzbehörde und die zahlreichen Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts ebenso wie die inzwischen fast schon unüberschaubare Menge an Beiträgen zu datenschutzrechtlichen Fragen in der juristischen Fachliteratur“, resümiert Dietmar Jahnel, Professor für Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Datenschutz an der Paris Lodron Universität Salzburg.
Teilweise machen die Bestimmungen der Datenschutzgrundverordnung wegen begrifflicher Unklarheiten, schwammiger Regelungen oder inhaltlicher Widersprüche bei ihrer Anwendung jedoch große Probleme. Deswegen werden sowohl in der Beratungspraxis als auch bei der Entscheidungsfindung gern Kommentare zu Rate gezogen, erklärt Jahnel. „Es gibt inzwischen - vor allem in deutschen Fachverlagen - enorm viele Kommentare, manche bis zu 2500 Seiten lang, aber leider ist man häufig nach deren Lektüre nicht viel klüger als zuvor. In den verschiedenen Kommentaren werden so gut wie alle denkbaren Meinungen vertreten, aber bei genauerer Betrachtung beruhen diese teilweise auf bloßen Behauptungen. Dies und meine jahrelange Beschäftigung mit dem Datenschutzrecht war für mich der Anstoß - unter Mitarbeit meines Grazer Kollegen Christian Bergauer - einen eigenen Kommentar zu verfassen. Unser Ziel war dabei eine präzise, ausführliche, aber dennoch praxisorientierte, gut lesbare und verständliche Kommentierung der DSGVO samt ihrer Durchführungsbestimmungen im Datenschutzgesetz. Wir wollten konkrete Antworten auf offene Fragen geben und diese soweit wie möglich mit der DSGVO begründen. Wo das wegen der Widersprüchlichkeit der europäischen Gesetzgebung nicht möglich, wird dezidiert festgehalten, dass die betroffene Bestimmung mit juristischen Interpretationsmethoden nicht auslegbar ist.“
Systematisch missglückt und damit unklar geregelt ist in der DSGVO zum Beispiel die Weiterverarbeitung von Kundendaten bei online Bestellungen, sagt Jahnel. Es war immer schon zulässig, dass ein online Shop-Betreiber die für die Vertragserfüllung notwendigen Kundendaten verarbeiten darf, ohne dass dazu eine Einwilligung notwendig wäre. Diese -unproblematische - Regelung zu den sogenannten Zulässigkeitstatbeständen hat die DSGVO aus der alten Datenschutz-Richtlinie übernommen. Es wurden aber Details hinzugefügt, die nun explizit die Weiterverwendung der Kundendaten betreffen. Konkret geht es um die Frage, ob der online Shop-Betreiber die Kundendaten für eigene Werbung verwenden darf. Eigentlich dürfen die Daten für keinen anderen Zweck verwendet werden („strenge Zweckbindung“), die DSGVO wollte aber ermöglichen, dass vorhandene Daten für ähnliche Zwecke verwendet werden können. „Die neue Regelung, die dabei einen sogenannten Kompatibilitätstest vorsieht, ist aber kaum zu verstehen, obwohl diese Bestimmung für jeden Gewerbetreibenden von enormer praktischer Bedeutung ist. Ich komme letztlich zum Ergebnis, ja, für eigene Werbung darf man vorhandene Kundendaten weiterverwenden. Das erfordert aber einen Argumentationsaufwand von sechs Seiten im Kommentar,“ sagt Jahnel.
Dass die DSGVO solche schwammigen Regelungen enthält, liege daran, dass es immer um eine Interessenabwägung geht und ein Kompromiss gefunden werden musste zwischen dem Schutz personenbezogener Daten einerseits und dem freien Datenverkehr andererseits. „Diese zwei Ziele unter einen Hut zu bringen, ist die Herausforderung. Ich möchte zum Beispiel nicht darauf verzichten, über Paypal zahlen zu können.“
Mehr als zwei Jahre lang hat Jahnel - unter Mitarbeit von Christian Bergauer - am neuen Kommentar gearbeitet. Im Jänner 2021 ist der 1000seitige Band im Jan Sramek Verlag erschienen. Ein Drittel Gesetzestext samt Erwägungsgründen, zwei Drittel Kommentierung. „Das alleine anzugehen war eine „Herkulesarbeit“, wie es eine Kollegin in einem E-Mail treffend bezeichnet hat. Corona hat mir insofern geholfen, als viele Vortragsreisen weggefallen sind und mir etwas mehr Zeit geblieben ist, sonst hätte ich es nicht geschafft. Die große Herausforderung besteht ja darin, dass der Kommentar über alle Rechtsgebiete geht, vom normalen Datenschutzrecht, dem Schadensersatzrecht bis hin zum Strafrecht und zum Verfassungsrecht.“
In Österreich bot bislang nur der von Rainer Knyrim bei Manz erschienene „DatKomm“ eine ausführliche Kommentierung der DSGVO inklusive der österreichischen Durchführungsbestimmungen im Datenschutzgesetz. Über 30 Autoren lieferten die Beiträge zu diesem Werk. „Die Besonderheit am neuen Kommentar besteht darin, dass er hinsichtlich der Autorenschaft aus einem Guss verfasst ist. Sämtliche bisherigen Kommentare im deutschsprachigen Raum wurden von einem Autorenkollektiv erstellt. Dabei lassen sich Überschneidungen, Verdoppelungen und Widersprüche kaum vermeiden, von den Unterschieden im Stil, aber auch in der Qualität zwischen den verschiedenen Autorinnen und Autoren ganz zu schweigen,“ sagt Jahnel.
99 Artikel umfasst die DSGVO. Jeder Artikel wird ergänzt mit sogenannten Erwägungsgründen, 173 an der Zahl, in denen ausführlich die Intention des Gesetzgebers erläutert wird. Doch die Artikel (der Gesetzestext) und die Erwägungsgründe stimmen teilweise nicht zusammen, erklärt Jahnel. „Unsere Kommentierung geht in erster Linie vom Gesetzestext aus und versucht dessen Tatbestandselemente und Rechtsfolgen zu analysieren. Die Erwägungsgründe werden zur Interpretation herangezogen, aber bei Widersprüchen geht der Gesetzestext vor,“ so Jahnel zum inhaltlichen Konzept. Der Kommentierung aller Artikel der DSGVO vorangestellt ist sowohl eine Rechtsprechungsübersicht als auch eine Literaturauswahl.
Dietmar Jahnel beschäftigt sich seit über zwei Jahrzehnten mit Datenschutzrecht. Vor dem nun erschienenen Kommentar zur Datenschutzgrundverordnung hat er bereits mit dem „Handbuch Datenschutzrecht“ (Jan Sramek Verlag 2010, update 2016) ein Standardwerk verfasst, das von den Gerichten sowie der Datenschutzbehörde häufig zitiert wird.
Publikation:#
Dietmar Jahnel: Kommentar zur Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Unter Mitarbeit von Christian Bergauer. Jan Sramek Verlag 2021.Kontakt:#
Dietmar Jahnel Professor für Öffentliches Recht, Schwerpunkt DatenschutzrechtFachbereich Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht
Paris Lodron Universität Salzburg (PLUS)
t.: 0662 8044-3635
dietmar.jahnel@sbg.ac.at
http://www.uni-salzburg.at/vvr/jahnel
https://www.linkedin.com/in/dietmar-jahnel-13a70943/