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Historische Kompetenzen zu wenig gefördert#

Geschichte auswendig lernen oder hinterfragen? Die Ergebnisse eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekts zur Geschichtsdidaktik zeigen: Geschichtsunterricht zielt in der 6. bis 8. Schulstufe nach wie vor eher auf Inhalts-, statt Kompetenzvermittlung ab. Das Potenzial von Geschichtsschulbüchern bleibt zudem oft ungenützt.#

Christoph Kühberger
Christoph Kühberger
Foto: Kolarik

Beim Stichwort „Ötzi“ oder dem „Mann aus dem Eis“ haben viele Schülerinnen und Schüler ein gewisses Bild vor Augen. Dieses geht oft auf Abbildungen aus Geschichtsschulbüchern zurück. Aber: Ist Geschichte, wie sie darin dargestellt wird, belegbar? Wie und auf welcher Grundlage ist sie konstruiert? „Man könnte anregen, etwa die Darstellung von Ötzi zu hinterfragen. Einiges ist belegbar. Ein bestimmter Gesichtsausdruck wird durch Zeichnerinnen und Zeichner inszeniert“, erklärt Christoph Kühberger, Historiker und Experte für Geschichts- und Politikdidaktik an der Universität Salzburg.

Die Haltung, dass Geschichte nur eine Perspektive von mehreren abbildet und generell ein Konstrukt ist, ist eine erlernbare Kompetenz. Je früher diese angebahnt wird, desto besser. Denn heute sind viele Schülerinnen und Schüler täglich mit Geschichte konfrontiert. Sei es über das Internet, Fernsehen oder Computerspiele. „Sie müssen das mehr oder weniger glauben und sind dieser Geschichtskultur ausgeliefert. Im Geschichtsunterricht könnten sie sich jedoch selbstständiges, kritisches Hinterfragen und damit eine gewisse Mündigkeit aneignen“, sagt der Historiker.

Kaum im Unterricht umgesetzt#

In der Geschichtsdidaktik ist heute von „fachspezifischer Kompetenzorientierung“ die Rede. Diese ist seit 2008 im Lehrplan für Geschichte in der Sekundarstufe I (NMS, Gymnasium) verankert. Wie das im Geschichtsunterricht umgesetzt wird und ob die Geschichtsschulbücher diesen Ansatz unterstützen, hat Kühberger gemeinsam mit Roland Bernhard und Christoph Bramann in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt erforscht. Im Fokus standen einerseits Geschichtsschulbücher, die zwischen 2008 und 2016 veröffentlicht wurden, andererseits deren Nutzung im Unterricht.

Erstmals wurden dabei sowohl die Perspektiven von 277 Lehrkräften als auch von 1.086 Schülerinnen und Schülern aus 25 Schulen in Wien, Graz und Salzburg integriert. Dass die Forschenden eine empirische Strategie für die Geschichtsdidaktik anwendbar machten, stößt auf breites Interesse, da es in punkto Forschung und Datenerhebung in diesem noch jungen universitären Fach viel Nachholbedarf gibt. „Bei den Geschichtsschulbüchern hat sich in Sachen Kompetenzorientierung wenig bewegt. Zwar kommt es ein wenig vor, wird aber nicht durchgängig ernst genommen“, kritisiert der Forscher. So sind etwa mehr als drei Viertel der Arbeitsaufgaben darauf ausgerichtet, die Inhalte zu reproduzieren und haben historisches Denken, also kritisches Hinterfragen, nicht im Blick.

Unzeitgemäße Einstellung bremst Entwicklung#

Die Haltung der Lehrkräfte, also ob sie an der Inhaltsorientierung festhalten oder für die fachspezifische Kompetenzorientierung offen sind, hängt von ihrem Alter und damit ihrer eigenen Ausbildung ab, so lautet ein weiteres Ergebnis der Erhebungen. Bei jungen Lehrkräften ist Geschichtsdidaktik heute Teil des Lehrplans und entsprechend positiv sehen etliche die Kompetenzorientierung. Bei älteren Kolleginnen und Kollegen ist hingegen eine traditionelle Haltung stärker verbreitet, vor allem bei männlichen Geschichtslehrern an Gymnasien. Für sie hat Wissenserwerb und das Auswendiglernen von Fakten oberste Priorität.

Dahinter steckt bei vielen die Einstellung, dass zuerst Faktenwissen gelernt werden muss und erst später – also in der Sekundarstufe II – die kritische Auseinandersetzung folgen kann. „Das ist höchst problematisch. Viele besuchen gar keine Oberstufe und bekommen daher nie den Impuls, wie man kritisch über Geschichte nachdenkt“, erklärt Kühberger. Ein anderes Problem betrifft den in der Gesellschaft weit verbreiteten, allerdings unzeitgemäßen Anspruch an den Geschichtsunterricht, es müsse ein bestimmter Kanon erlernt werden. „Wissen lässt sich im 21. Jahrhundert in einer globalisierten Gesellschaft aber nicht mehr so einfach einfangen“, betont Kühberger.

Außerdem bringen die Schülerinnen und Schüler bereits eine gewisse Haltung gegenüber Geschichte mit. Diese reicht von – was im Schulbuch steht, ist wahr, bis hin zu einer reflektierten Sichtweise. Ein zentraler Einflussfaktor dafür, wie Geschichte gesehen wird, sind sozioökonomische Faktoren, etwa die Zahl der Bücher, die man besitzt. Die Heterogenität innerhalb einer Klasse kann entsprechend ausgeprägt sein, wobei es hier auch zwischen Neuer Mittelschule und Gymnasium Unterschiede gibt.

Chancen besser nutzen#

Was den Unterricht betrifft, so steckt in Geschichtsschulbüchern prinzipiell viel Potenzial. Denn die Studie hat gezeigt, dass alle befragten Lehrkräfte das Geschichtsschulbuch „(sehr) häufig“ einsetzen, was es zu einem Schulbuchfach macht. Die Hälfte unterrichtet nach eigenen Angaben kompetenzorientiert. „Es gibt allerdings viel Potenzial, die Schulbücher so umzugestalten, dass die Lehrkräfte in ihren Bemühungen, ein kritisches historisches Denken anzubahnen, unterstützt werden. Außerdem wäre es wichtig, den förderlichen Umgang damit in deren Ausbildung stärker einzubeziehen“, empfiehlt der Geschichtsdidaktiker. Denn trotz der Vielzahl an Informationsquellen ist für unter 14-Jährige der Geschichtsunterricht nach wie vor eine zentrale Wissensressource. Nur hier haben die Heranwachsenden zudem die Möglichkeit, sich schon früh auch historische Kompetenz anzueignen und Darstellungen zu hinterfragen. Davon profitieren sie ein Leben lang, wenn sie etwa im Museum, im Alltag, in der Politik oder im Internet mit „Geschichten“ über Vergangenheit konfrontiert werden.


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