Das Arbeiterlied#
von Peter DiemWeit über ein Jahrhundert lang hat das Arbeiterlied eine wichtige Funktion der politischen Bewusstseinsbildung auch in Österreich erfüllt. Erst in der allerjüngsten Zeit hat sich seine Bedeutung stark abgeschwächt. Dies hängt einerseits mit dem Abtreten der
Gründergeneration, dem Wegfall der „Parteikirchen" und der Verwirklichung der wichtigsten Ziele der Arbeiterbewegung zusammen, liegt aber andererseits in einem allgemeinen Bedeutungsverlust begründet, den gemeinschaftsbildende Symbole in
der individualisierten Wohlstands- und Informationsgesellschaft durchmachen. Weder die politischen Parteien, noch die Kirchen und schon gar nicht der Staat können -und wollen! - heute noch Massen mobilisieren. Am ehesten ist diese Funktion noch
dem Zuschauersport verblieben, und hier praktisch auch nur mehr dem Fußball. Auch das Singen in der Gruppe - beim Wandern oder beim „Heimabend" - beschränkt sich heute auf kleine, oft nur mehr nostalgische Zirkel. Mancher mag diese Entwicklung emotional bedauern, insgesamt ist der faktische Wegfall von politischen Massenveranstaltungen aber ein Zeichen demokratischer Reife, weil damit verhindert wird, daß Emotionen und irrationale Elemente die Politik in eine Richtung drängen, die sich bei näherer Prüfung meist als ein falscher Weg herausstellt.
Das Arbeiterlied besitzt gerade in Österreich eine lange Tradition und große Vielfalt, die hier auch nicht im entferntesten ausgelotet werden kann. Dennoch soll versucht werden, anhand einiger weniger Beispiele auch diese wichtigen Symbole anzusprechen.
Das Lied der Arbeit#
Als der Funktionär des Arbeiterbildungsvereins Wien-Gumpendorf, Andreas Scheu, im Jahre 1868 eines Tages den Briefkasten öffnete, fand er darin ein anonym verfasstes Gedicht. Er brachte es seinem Bruder Josef Scheu, Musiker im Burgtheater und Leiter der Gesangssektion des ABV, der das Gedicht bereitwillig vertonte.
Das Lied wurde am 29. August 1868 in Zobels Odeongarten im 15. Bezirk von neunzig Sängern vor fast 4.000 Zuhörern vierstimmig uraufgeführt und war von Beginn an ein Erfolg.
Wie sich herausstellte, stammte der Text aus der Feder des 21jährigen Graveurs und Amateurdichters Josef Zapf, der das zehnstrophige Gedicht, begeistert von einem Kurs über die Geschichte der menschlichen Arbeit, geschrieben hatte, dem er im Bildungsverein gefolgt war.
Das Lied, von dem heute nur mehr die erste und die letzte Strophe gesungen werden und das Karl Kautsky einmal eine „gesungene Kulturgeschichte" genannt hat, gilt als eine der traditionellen Hymnen der österreichischen Arbeiterbewegung. Der breiten Öffentlichkeit wurde es bei der ersten Maifeier der Wiener Arbeiterschaft im Jahre 1890 bekannt.
"Stimmt an das Lied der hohen Braut" (Lied der Arbeit) über YouTube abspielen
"Brüder zur Sonne, zur Freiheit ..."#
Leonid P. Radin, ein junger Revolutionär, schrieb 1887 im Moskauer Tagansker Gefängnis einen neuen Text auf die Melodie des aus den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts stammenden russischen Studentenliedes „Langsam bewegt sich die Zeit". Das Lied wurde erstmals beim Abtransport politischer Gefangener nach Sibirien gesungen.
Der deutsche Dirigent Hermann Scherchen lernte das Lied während der Oktoberrevolution 1917 kennen, fertigte eine freie Übersetzung an und brachte es nach dem Ersten Weltkrieg nach Berlin mit, wo er es mit seinen beiden Arbeiterchören zur Aufführung brachte.
Die Weise verbreitete sich rasch auch in Österreich. Wie viele andere Arbeiterlieder wurde es in der NS-Zeit verändert(„Brüder, in Zechen und Gruben") und mit diversen Zusatzstrophen versehen. Die ursprünglich getragene Weise überlebte jedoch diese Periode und ist bis heute als zügiges Marsch- und Demonstrationslied populär geblieben.
Helmut Brenner, Stimmt an das Lied. Graz 1986
Richard Fränkel, 80 Jahre Lied der Arbeit. Wien 1948
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Kinderfreundelied#
Der Arbeiterverein „Kinderfreunde" wurde 1908 in Graz gegründet; 1917 wurden die einzelnen Landesorganisationen in einem „Reichsverein der Kinderfreunde" zusammengefasst.
1914, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, entstand ein Lied, dessen Klänge zur Gitarre uns bis heute vertraut sind: „Aufwärts blicken, vorwärts drängen! Wir sind jung, und das ist schön!"
Ursprünglich in Anlehnung an die bürgerliche Wandervogelbewegung als Wanderlied geschrieben, wurde der Text von Jürgen Brand zur Melodie von Heinrich Schoof bald zur offiziellen Hymne der Kinderfreunde.
Kinderfreundelied über "Das Rote Wien" abspielen
Die Arbeiter von Wien ("Wir sind das Bauvolk ...")#
Dieses Lied entstand nach dem Fehlurteil im Schattendorf-Prozess und den Demonstrationen vor dem Justizpalast am 15. Juli 1927. Es wurde bei den internationalen Jugendtagen 1929 in Wien und bei Demonstrationen während des Februaraufstands 1934 gesungen. Der Text stammt von Fritz Brügel, die Melodie kommt von einem russischen Revolutionslied.
"Die Arbeiter von Wien" über YouTube abspielen
Die Internationale#
Das Lied Die Internationale gilt weltweit als Hymne des Sozialismus und Kommunismus und wurde in die meisten Sprachen der Welt übersetzt. In einigen kommunistisch regierten Staaten nahm sie neben der Nationalhymne einen nahezu gleichrangigen Platz ein. Ihr Text stammt von Eugène Pottier, der ihn unmittelbar nach der gewaltsamen Niederschlagung der Pariser Kommune um 1871 schrieb. Die Melodie des Liedes komponierte der Belgier Pierre Degeyter, Dirigent des Arbeitergesangsvereins von Lille, im Jahr 1888.In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Tradition der Internationale von der KPD und der DKP weiter gepflegt. Zu neuem Leben erwachte sie im Oktober 1989 in der DDR, wo Tausende demonstrierender Bürger mit dem Absingen des alten Liedtextes auf das Missverhältnis zur sozialistischen Wirklichkeithinwiesen. Der ursprüngliche französische Text hat sechs Strophen. Die bekannteste und bis heute verbreitete deutschsprachige Nachdichtung schuf Emil Luckhardt im Jahr 1910. Seine Version ist an den französischen Originaltext lediglich angelehnt und beschränkt sich auf die sinngemäße, dabei in der Radikalität etwas abgeschwächte und romantisierte Übersetzung der ersten drei Strophen des französischen Liedes.
1. Wacht auf, Verdammte dieser Erde,
die stets man noch zum Hungern zwingt!
Das Recht wie Glut im Kraterherde
nun mit Macht zum Durchbruch dringt.
Reinen Tisch macht mit dem Bedränger!
Heer der Sklaven, wache auf!
Ein Nichts zu sein, tragt es nicht länger
Alles zu werden, strömt zuhauf!
/: Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
Erkämpft das Menschenrecht. :/
2. Es rettet uns kein höh'res Wesen,
kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
können wir nur selber tun!
Leeres Wort: des Armen Rechte,
Leeres Wort: des Reichen Pflicht!
Unmündig nennt man uns und Knechte
duldet die Schmach nun länger nicht.
/: Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
Erkämpft das Menschenrecht. /:
3. In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute,
wir sind die stärkste der Partei'n
Die Müßiggänger schiebt beiseite!
Diese Welt muss unser sein;
Unser Blut sei nicht mehr der Raben,
Nicht der mächt'gen Geier Fraß!
Erst wenn wir sie vertrieben haben
dann scheint die Sonn' ohn' Unterlass!
/: Völker, hört die Signale!
Auf zum letzten Gefecht!
Die Internationale
Erkämpft das Menschenrecht. /:
Die "Internationale" über YouTube (Video mit Text) abspielen
Quellen der Noten-Abbildungen: "Unser Lied", Liederbuch der sozialistischen Bewegung, herausgegeben von den Österreichischen Kinderfreunden sowie andere alte Liederbücher