"Auferstanden aus Ruinen ..."#
von Peter Diem„Es gibt zwei deutsche Nationalhymnen. Die eine wurde 1945 als faschistisch verboten. Die andere wurde 1949 in der Deutschen Demokratischen Republik erlaubt. Die verbotene wurde 1952 in der Bundesrepublik Deutschland wieder erlaubt. Die in der DDR erlaubte wurde 1972 dort wieder verboten. Kein deutsches Parlament hat diese Vorgänge beschlossen." (Ulrich Enzensberger, in: Transatlantik, 10/1981, S. 24)
Sehr bald nach der Staatsgründung, am 10. Oktober 1949, bat der erste Staatspräsident der DDR, Wilhelm Pieck (1876-1960), den Schriftsteller Johannes R. Becher, den Text für eine Nationalhymne auszuarbeiten. Johannes Robert Becher (1891-1958) stammte aus München. Er gehörte dem Spartakusbund und der KPD an und wurde 1954 Kulturminister der DDR. Anlässlich eines Besuches in Warschau zeigte Becher einen seiner Textentwürfe Hanns Eisler (1898-1962). Hanns Eisler, in Leipzig als Sohn des österreichischen Philosophen Rudolf Eisler geboren, war in Wien aufgewachsen, hatte als Autodidakt begonnen, dann aber bei Arnold Schönberg studiert. Er zog 1925 nach Berlin, wo er Filmmusik komponierte. Die NS-Zeit verbrachte er im amerikanischen Exil, von wo er 1948 wieder nach Wien und Ostberlin zurückkehrte. Eisler, von dem auch das „Einheitsfrontlied" stammt, vertonte den Text innerhalb kurzer Zeit. Am 5. November 1949 wurde die Hymne vom Ministerrat der DDR ohne breite Diskussion beschlossen.
Becher war daran gelegen, eine volksliedhafte „Friedenshymne“ zu dichten, die „von allen Schichten unseres Volkes ... mit leidenschaftlicher Anteilnahme gesungen“ werden konnte und die „auch die deutschen Menschen, die im Westen wohnen“ ansprechen sollte. Deswegen wandte er sich gegen Vorschläge und Kritik, die Hymne sei nicht kämpferisch genug. In der Tat ist der Text friedvoll und praktisch ideologiefrei. Und auch die musikalische Einleitung ist romantisch-gefühlvoll und in keiner Weise kämpferisch. Interessant ist, dass der Text der Hymne (bis auf die letzte Zeile) dem Versmaß der österreichischen Kaiserhymne folgt.
Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt,
Lass uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
Und wir zwingen sie vereint,
Denn es muss uns doch gelingen,
Dass die Sonne schön wie nie
: Über Deutschland scheint. :
Glück und Frieden sei beschieden
Deutschland, unserm Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
Reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
Schlagen wir des Volkes Feind!
Lasst das Licht des Friedens scheinen,
Dass nie eine Mutter mehr
: Ihren Sohn beweint. :
Lasst uns pflügen, lasst uns bauen,
Lernt und schafft wie nie zuvor,
Und der eignen Kraft vertrauend,
Steigt ein frei Geschlecht empor.
Deutsche Jugend, bestes Streben
Unsres Volks in dir vereint,
Wirst du Deutschlands neues Leben,
Und die Sonne schön wie nie
: Über Deutschland scheint. :
Ehemalige DDR-Hymne über YouTube abspielen
1972 wurde verfügt, den Text nicht mehr zu verwenden, da sich die Staatsführung an der Phrase „Deutschland, einig Vaterland" stieß. In der Periode des Zusammenbruchs der kommunistischen Strukturen der DDR, der sich seit 1989 immer rascher vollzog, wurde die Zeile „Deutschland, einig Vaterland" zum politischen Slogan. Der Text der Hymne war ab 8. Jänner 1990 wieder zugelassen.
Nach dem am 3. 10. 1990 gemäß Art. 23 GG vollzogenen Beitritt der DDR zur BRD versanken Bechers Verse „sang- und klanglos" in der Mottenkiste der deutschen Geschichte.
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