Die ungebrochene Macht der Ursymbole#
von Peter DiemDer Begriff „Symbol" leitet sich vom griechischen symballein ab, das soviel wie „zusammenwerfen", „zusammenfügen" bedeutet. „Symbolon" ist daher das „Zusammengefügte": unter Gast- und Geschäftsfreunden war es üblich, ein Erkennungszeichen zu vereinbaren, das man durch das Auseinanderbrechen eines Gegenstandes z. B. eines Ringes - gewann. Jeder der beiden Partner behielt eine Hälfte, deren Bruchlinien genau in jene des anderen passten. So konnte sich etwa ein Bote authentisch ausweisen oder die Echtheit eines Vertrages nachgewiesen werden. Übertragen bedeutet das Wort also ein wahrnehmbares Zeichen, das stellvertretend für etwas Geistiges, Gedachtes, Geglaubtes steht.
Schon in vorgeschichtlicher Zeit verstand es der Mensch, bestimmte Botschaften durch Symbole auszudrücken. Ob für kriegerische oder kultische, für praktische oder ästhetische Zwecke - der Mensch hat von Beginn seines Menschseins an ein Instrumentarium der Kommunikation entwickelt, das möglicherweise schon vor der ausgeprägten Sprache, jedenfalls aber vor der Entwicklung der Schrift zum Einsatz kam: die Sprache der Zeichen und Symbole. Der deutsche Philosoph Ernst Cassirer (1874-1945) hat den Menschen überhaupt als „animal symbolicum" bezeichnet, weil er die Fähigkeit zur unbeschränkten Zeichenverwendung besitzt.
Auch das Christentum bedient sich ihrer in reichem Maße, seit das erste Fischzeichen in den Katakomben auftrat. Bei diesem Symbol wird das griechische Wort für Fisch als Acronym ICHTHYS wie folgt interpretiert:
I = Iesous (Jesus), CH = Christos (Christus), TH = Theou (Gottes), Y = hYios (Sohn), S = Soter (Retter).
In der Politik sind Symbole spätestens seit den alten Ägyptern (z. B. die Sonnensymbole Echnatons) und den Römern (z. B. der Legionsadler) nachweisbar. Besondere Bedeutung erlangten die politischen Symbole seit dem 12. Jahrhundert, als die Heraldik aufkam, ein komplexes System von Regeln, das die Grundlage für die Verwendung von Flaggen, Fahnen und Wappen bis in unsere Tage bildet.
In der modernen Zeit wird das Wort „Symbol" in verschiedenster Bedeutung gebraucht, vom mathematischen oder chemischen Symbol über international verständliche Abkürzungen bis in die Bereiche der Literatur und Tiefenpsychologie. Auch die Werbung wäre ohne Symbole nicht denkbar, da es in einer stark auf bildliche Reize ausgerichteten Zeit sehr darauf ankommt, optisch präsent zu sein. So wird die „corporate identity", d. h. der Ausdruck des generellen Wollens eines Unternehmens, in ein „Logo" - eine konzise Bild- und/oder Schriftkombination mit genau festgelegter Farbgebung - gepresst und so oft wie möglich werblich kommuniziert. Den Erfolg einer solchen Vorgangsweise kann man an der spontanen Wirksamkeit etwa des Mercedes-Sterns oder des ORF-Auges ablesen. Von großer Wichtigkeit für die Wirkung eines Symbols ist die sekundenschnelle „Dechiffrierbarkeit" durch den Betrachter.
Unter dem Begriff „Symbol", wie er hier verwendet wird, ist ein Sonderfall des „Zeichens" schlechthin zu verstehen. Leider erlaubt es der Umfang unserer Betrachtung nicht, näher auf die Erkenntnisse der Semiotik, der Wissenschaft von den Zeichen, einzugehen. Der an näheren Informationen über Semiotik Interessierte sei auf die grundlegenden Werke von Ernst Cassirer, Charles Morris und Umberto Eco verwiesen.
Für den 1961 verstorbenen Tiefenpsychologen Carl Gustav Jung ist ein Wort oder Bild „symbolisch", wenn es mehr enthält, als man auf den ersten Blick erkennen kann.
Ein Symbol ist ein Zeichen, „das uns im täglichen Leben vertraut sein kann, das aber zusätzlich zu seinem konventionellen Sinn noch besondere Nebenbedeutungen hat. Es enthält etwas Unbestimmtes, Unbekanntes oder für uns Unsichtbares ... einen .
'unbewussten' Aspekt, den man wohl nie ganz genau definieren kann."
In seinem Buch „Der Mensch und seine Symbole" hat C.G. Jung die Theorie aufgestellt, dass das menschliche Bewusstsein über einen Schatz an vorbewussten, kollektiv ererbten und nicht individuell erworbenen Ursymbolen verfüge, die er „Archetypen" nennt. Diese „archaischen Überreste" oder „Urbilder" bedeuten die angeborene Tendenz, bestimmte Motive zu formen, ohne diesbezügliche „empirische" Erfahrungen zu haben. Es handelt sich dabei also um eine Art „inneren Instinkt", der sich in Phantasien, Träumen und symbolischen Bildern manifestieren kann. Diese „inneren Erscheinungen" tauchen jederzeit auf, überall in der Welt, ohne dass man ihren Ursprung kennt (C. G. Jung, Der Mensch und seine Symbole. Olten - Freiburg 1984 ).
Ohne näher auf diese Theorie eingehen zu wollen, sollte doch die Möglichkeit festgehalten werden, dass gewisse Symbole - Farben, Formen, Gestalten, Pflanzen, Tiere und Personen, ja ganze Bilder und Bildfolgen -, wenn sie vom Menschen wahrgenommen werden, nicht nur emotionelle und kognitive Prozesse auslösen können, die auf erworbene Bewusstseinsinhalte zurückgehen, sondern auch Saiten zum Klingen bringen können, die in einer „kollektiven Seele" der Menschheit, also weit im Vorbewussten der „Einzelseele" gespannt wurden. Freilich haben sich auch wohlbegründete Gegentheorien zu den Jungschen Thesen vom „kollektiven Unbewussten" und von den „Archetypen" gebildet.
Starkes Interesse für Symbole findet sich auch in der Theologie, da gerade die Religion auf die Verwendung von Zeichen mit tieferer Bedeutung sehr viel Wert legt (vgl. Stephan Wisse, Das religiöse Symbol. Essen 1963 - mit ausführlichem Literaturverzeichnis).
Nach Paul Tillich, der sich sehr viel mit der Theologie der Zeichen befasste, ist zwischen „diskursiven" und „repräsentativen" Symbolen zu unterscheiden.
Paul Tillich, Symbol und Wirklichkeit. Göttingen 1966
Während die ersteren gängige Kürzel für verschiedene praktische und wissenschaftliche Zwecke meinen, stammen die „repräsentativen Symbole" aus dem kulturellen und öffentlichen Bereich. Sie stehen für religiöse, politische oder künstlerische Ideen, stellen den Sinn gesellschaftlicher Bewegungen bildlich dar und bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Anerkennung durch die Gemeinschaft. Immer versuchen sie mehr zu vermitteln, als bloße kognitive Wahrnehmung vermitteln kann. Sie haben also in der Regel die Intention, das Gefühl mindestens ebenso anzuprechen wie den Verstand. Darin liegt das Geheimnis ihrer Wirksamkeit, darin liegt ihre Chance, Ordnung und Identität zu stiften, darin liegt aber gleichzeitig auch die Gefahr des Missbrauchs, die Gefahr, dass ein Symbol Träger zerstörerischer, inhumaner Kräfte wird. In diesem Sinn wird das Wort „Symbol" in den Beiträgen des Austria-Forums verwendet.