Ernst Karl Winter#
Europäische Kultureinflüsse#
Es ist die eigenartige Problematik des österreichischen Staatswesens, dass es aus seiner eigenen geschichtlichen Wurzel lebt und außerdem an einem anderen Kultursystem Anteil hat. Dadurch wird auch die kritische Geschichtsauffassung als die wissenschaftliche Selbstbedeutung dieses Staatswesens kompliziert. Daher der alte Vorwurf gegen die herrschende Geschichtswissenschaft in Österreich, dass 'sie keine österreichische sei, sondern ihren Schwerpunkt außerhalb Österreichs habe. Die Auffassung des Österreichertums als eines deutschen Stammes und als sonst nichts, hat die politische Geschichte und die wissenschaftliche Erkenntnis Österreichs seit fünfzig Jahren aufs Einseitigste bestimmt. Für Österreich und seine Geschichtswissenschaft erhebt sich die Problematik, auf welchen Staat hin sie sich orientieren wollen: auf den nationalen oder auf den europäischen ... Österreich ist nur aus der europäischen Perspektive ganz zu verstehen. Die europäischen Kultureinflüsse auf Österreich sind mindestens ebenso wichtig, wie die deutschen. Man denke an die romanischen Kulturkreise in Spanien, Italien, Frankreich, Burgund und an die byzantinisch-slawischen Staaten des Ostens. Bemerkungen über die spanische Etikette und Sottisen gegen die Slawen können diese Probleme nicht lösen. Eine österreichische Geschichtswissenschaft muSS sich entscheiden und bekennen, zwischen den beiden Möglichkeiten des deutschen Staates und des österreichischen Staates endgültig zu wählen.
(Wiener Politische Blätter. Wien 1934).
Das Preußentum#
Die Bewunderer des Preußentums haben gerne von einer besonderen preußischen Rasse gesprochen (z.B. H.St.Chamberlain). Soweit der Rassenbegriff überhaupt Geltung hat, sind die Preußen eine Rasse für sich, eine aus Geschichte und Erziehung gewordene Gemeinschaft, die Deutschland seit 1866 umerzogen, durchgepreußt haben. Die Kombination von Pastor und Leutnant durch Hinzutritt des Chemikers, Technikers und Schlotbarons, die Vereinigung der technischen Präzisionsleistung mit dem militärischen Organisationsprinzip und dem preußischen Rassengeist wird zur Gefahr für die gesamte Umwelt.
(Siebzig Jahre nach Sadowa. Wien 1936.)
Geopolitische Lage#
An den Mauern Wiens begegnen einander Orient und Okzident in Natur und Kultur, in Flora und Fauna, in Völkern und Staaten. Ohne Verständnis für die österreichische Geschichte und Geographie aber auch kein Verständnis für die Idee Europas.
(Nibelungentreue, wien, 19231)