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10 dezember 1891
ten verdichteten: sie verschmähen die Arbeit der Kunst, sie wollen
lieber Kunstleben. Oder es mag auch das Talent zu gleichmässig
auf alle vertheilt sein, so dass Jeder ein hübsches Stück für den
25 Hausbedarf, aber doch keiner genug zu einer besonderen That hat;
vielleicht braucht es, um den grossen Künstler zu schaffen, gerade
die Vereinsamung in einer gleichgiltigen, stumpfen Menge und die
EntrüstunggegenrohenhöhnischenUnverstand.Oderesmagauch
an dem österreichischen Misstrauen gegen alles Oesterreichische
30 liegen,dasgeduldigzuertragenundzubezwingenschoneineunge-
mein gesunde und kräftige Natur verlangt: die guten Leute, allzu
demüthig und bescheiden, wollen es durchaus nicht glauben, dass
auch aus ihrer Mitte einmal was Gutes kommen könnte, und da
sei einer das wirksamste Talent, wenn es bekannt wird, dass er aus
35 Kremsoder vonHütteldorf ist, ist erbei ihnenschonverloren.
Es ist das Land der vielen kleinen Talente. Grösse und Tiefe fehlen.
Und sonderbar: wenn sie einmal wo erscheinen, dann werden alle
ganzböse,wollendavondurchausnichtswissenundverbündensich,
sie aufalleWeisezuverdrängen.
40 Wie lange hat nicht der ehrwürdige Bruckner, der mächtigste Phi-
losoph der Töne seit Beethoven, in Kummer und Noth gerungen
undgelitten,bissichdiezögerndenWiener,vomAuslandegedrängt,
langsam entschlossen, sein schweres, tiefes und kühnes Genie all-
mälig zu würdigen und neuestens sogar mit der Würde des Ehren-
45 doctors zu beglücken! So haben auch Hugo Wolf und Adalbert
vonGoldschmid,draussen längstbewundertundgerühmt, inWien
immer noch blos erst ihre engen, stillen Gemeinden. Darin ist man
unverbesserlich, heute noch ganz ebenso, wie in den Leidenstagen
Grillparzers, KürnbergersundStifters.
50 Die Musik Hugo Wolfs ist die modernste und sie ist zugleich die
musikalischste, welche ich kenne. Sie ist die Musik der Nerven. Sie
will nicht Malerei, nicht Dichtung, nicht Philosophie; sie will jenes
Unsägliche und Unfassliche, für welches die heimlichste Farbe zu
lautunddas feinsteWortzuschwer ist, jene innereMusikderSeele,
55 welche unter dem Geräusch des Lebens im Grunde aller Leiden-
schaftenundBegierdennimmermehrverstummt.Sie tauchtvonder
Oberfläche der täglichen Gefühle weg in die letzte Tiefe der ver-
schwiegenenRäthsel,bissiedieeinsamstenPunktegreiftundandas
Mystische streift, an das Unbewusste, an jenen verborgenen Kern
60 und Ausbund der Natur, den die Veden Puruscha nennen. Klinger,
Thoma,Böklin,Liliencron,Maeterlinck–vondieserRace ist sie.
Auch an den Liedern Adalbert von Goldschmids ist ein saftiger
Geruch des Lebens. Auch sie blühen aus den reinsten und freiesten
Gründen der Seele. Auch sie haben Leidenschaft, Grösse und Tiefe.
65 AberniemalsempfindeichihrenholdenZaubersounwiderstehlich,
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
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- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
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- 1962 610
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- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
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