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56 dezember 1893
123.Mepherl [Bahr]: Indiscret, 10.12.1893
Indiscret.
Ich schätze Herrn Robert Nhil. Er spielt verständig, thut mit Eifer
seine Pflicht und lernt jede Woche zehn Bogen. Auch gibt er sich
nett und gemüthlich, ohne die schlimmen Faxen und Posen seines
5 Standes. Aber gewisse Dinge sollte er lassen. Er ist – na, mit Freun-
den istmanhöflich, also sagenwir: er ist indiscret.
Als ich neulich vor der Première des »Märchens« von Arthur
Schnitzler indasCafékam,womandieneuereLiteraturzwischen6
und7Uhrmacht,warderarmeDichterschongeliefert.EinBuddh-
10 ist, der Alles weiß und sogar noch etwas mehr, erklärte, daß diese
ersteVorstellungdesStückesauchsicherlichdieletztesei.Ichwollte
begütigen: »Das wird sich doch erst im Theater zeigen!« Aber er
berief sich auf Herrn Nhil. Herr Nhil hatte gesagt: »Wenn sich die
Wienerinnendasgefallen lassen,darfman ihnenallesbieten.«
15 Ich schätze auch Herrn Secretär Müller. Er ziert das Volksthea-
ter sehr und wirkt mit seinem struppigen Haupte eines Tectosagen
ungemeindecorativ.AufderBühneobendiewinkendeVictoria,die
sie immer auf alle Oefen stellen, in der Loge das mondlich milde
Schmeergesicht der Direction und unten in kriegerisch flatternden
20 Locken dieser Johannes der Täufer der Erfolge – ich möchte ja die
edleHarmonienichtstören.AberersollteseineZungeetwashüten.
Er ist leider – na, mit Tyrannen ist man höflich, also sagen wir: er
ist indiscret.
Als nach dem zweiten Acte neulich Alles klatschte und den blon-
25 den Dichter rief, verkündete der Herr Secretär Müller: »Das nutzt
jadochnichts –der dritteAct fälltdennochdurch.«
Ich schätze auch die Frau Albertine Schwerdtner. Sie hat den lieb-
lichsten Beruf: sie frisirt in der Burg die Damen. Diese lieben,
launischenundsüßenKöpferlninderHandzuhaben,mußeinherr-
30 liches Geschäft sein. Und sie versteht es köstlich. Nur ist sie leider
halt–na,mitDamenistmanhöflich,alsosagenwir:sie ist indiscret.
Wie ich neulich vor dem »Hannele« bei meinem Friseur bin, der
die berühmte Locke dreht, schimpft er gräßlich: »Wie kann man
in so ein Stück gehen? Die Frau Schwerdtner hat gesagt: es ist ein
35 Schmarn.«
Herr Nhil, Herr Müller und Frau Schwerdtner sind nur ein paar
Fälle, die ich gerade aus der Menge greife. Ich könnte die Beispiele
häufen. Auch Herr Tyrolt hat in der ganzen Stadt das »Märchen«
schon vorher verlästert, und Herr Gabillon hat schon vorher das
40 »Hannele« verdammt. Es wird Mode, daß die Schauspieler vor den
PremièrenStimmungmachen.DieseSitte reißt immer weiterein.
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Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
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