Seite - 195 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
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februar 1901 195
Der Freund fragt nun, was sie denn eigentlich war, die er in seinem
95 Ampellicht wie eine Märchengestalt schildert, und es stellt sich her-
aus,dassesebenjeneBianca,eineDamevomCircusgewesenist,die
Max nun gerade erwartet. Max wird nun skeptisch; er glaubt nicht
andie»heilige,unvergänglicheLiebe,«derkleinenPerson–für ihn
ist sie nicht die Märchengestalt; für ihn ist sie eine von den tausend
100 Gefallenen,i denen die Phantasie des Träumers neue Jungfräulich-
keitborgt.Für ihnist sienichtsBesseres, als [»]hundertAndere,die
durch Reifen springen oder kurzgeschürzt in der letzten Quadrille
stehen.«ErnimmtdieMenschenruhighin,wiesiesind,währendsie
Anatol immernurdurchdasbunteGlasseinerStimmungsieht.Wer
105 hat nun Recht? Anatol pocht auf sein Gefühl, das ihn nicht betrü-
gen kann: er hat es damals gefühlt, dass sie ihn wahrhaft geliebt hat.
Undnunkommtsie.AnatoltrittzurSeite,dieBeidenbegrüßensich
und wir sind nun sehr neugierig was sie sagen wird, wenn der ein-
zig Geliebte plötzlich vor ihr steht. Er tritt vor und verbeugt sich,
110 Bianca nimmt das Lorgnon, Max erklärt: Ein alter Bekannter! Mit
der sicheren Anmuth, in welcher Frauen ihre Vergeßlichkeiten zu
verstecken wissen, streckt sie ihn, indem sie in ihren Erinnerungen
sucht, freundlichdieHandhin:»Ah,wahrhaftig,wirkennenuns ja
... Natürlich,i wir kennen uns sehr gut!« Anatol ruft erregt, indem
115 er ihre Hände fasst: »Bianca![«] tuUund sie beeilt sich, immer mit
derselbenleerenLiebenswürdigkeit: [»]Wowaresnur,dasswiruns
trafen? Nicht wahr ... es war in St. Petersburg?« Da lässt Anatol
ihreHandlos:»Eswar ...nicht inPetersburg,meinFräulein.«Und
er geht. »Was hat er denn? fragt die Dame, hab ich ihn beleidigt?«
120 Und sie erfährt jetzt erst Alles von Max: »Anatol, Kla – Klavier –
Ampel ... so eine rothgrüne – hier in der Stadt – vor drei Jahren.«
Ah, jetzt erinnert sie sich. Aber er ist schon fort. »Wie schade ...
Sie müssen mich bei ihm entschuldigen. Ich habe ihn verletzt, den
guten, lieben Menschen.« Sie erinnert sich jetzt seiner ganz genau
125 – »Gewisst,.uAber ... er sieht irgend Jemanden in Petersburg zum
Verwechseln ähnlich ... Und dann: wenn man drei Jahre lang an
Jemanden nichti denkt, und er steht plötzlich da – man kann sich
doch nicht an Alles erinnern.« Max lacht und zieht sie zu sich auf
den Fauteuil neben dem Kamin, um mit ihr zu plaudern, von ihren
130 Reisen, von allerhand Abenteuer, von dem »Ähnlichen« in Peters-
burg.
DerAct isteinkleinesJuwelan leichterAnmuth,Launeundgleich-
samunabsichtlichemGeiste.Dasperlt soherabalsobesallesselbst-
verständlich wäre und man ist eigentlich verwundert, wenn man es
135 jetzt, sieben Jahre später, kritisch prüft, zu sehen, wie viel schwere
Litteratureigentlichdarinsteckt.DemInhaltenach,derFormnach
und auch wenn man es auf die späteren Werke des Autors bezieht.
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
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- 1916 502
- 1917 507
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- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
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