Seite - 207 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
Bild der Seite - 207 -
Text der Seite - 207 -
juni 1901 207
70 worden ist. In diesem »griechischen Roman«2 wird nun gezeigt,
wie der Roman eigentlich von gelehrten Arbeiten abstammt, näm-
lich von den Sammlungen erotischer Legenden, in welchen sich die
Historiker gefielen. »Zwar die sogenannten Logographen scheinen,
trotz ihres Interesses an verborgenen Stamm- und Ortssagen, sol-
75 che Liebessagen nicht sonderlich beachtet zu haben, so wenig wie
Herodot bei all seiner Aufmerksamkeit auf seltsame und charak-
tervolle Volksüberlieferungen. Einen merkwürdigen Uebergang zu
deneigentlichgelehrtenHistorikernbildetauchhierKtesias,der in
der wirkungsvoll und mit voller Absicht auf eine ergreifende und
80 rührende Wirkung vorgetragenen romantischen Liebesgeschichte
desMedersStryangäusundderSakerköniginZarinäavielleichtunter
denGriechendasfrühesteBeispieleinerausführlichundmitbewuß-
terKunstprosaisch-poetischerDarstellungerzähltenLiebesnovelle
hinstellte. Ohne Zweifel lenkte dann die glänzende Beihandlung
85 einzelner erotischer Volkssagen auf der athenischen Bühne die leb-
hafte Aufmerksamkeit der Sammler auf den hier noch zu hebenden
SchatzvolksthümlicherPoesie,umsomehr,dadieineigenerProduc-
tionskraft allmälig ermattete Zeit in einem halb ästhetischen, halb
culturhistorischen Interesse sich der Betrachtung alterthümlicher
90 und kindlicher Zustände und Vorstellungen in der Verborgenheit
des eigenen und fremden Volkslebens überall mit Eifer zuwendete.
Bei solchen Nachforschungen entdeckte man nun auch jene heim-
lichblühendenBlumeneinerbisdahinvonderkünstlichausbilden-
den Dichtung wenig berührten Fülle schöner Liebeslegenden, von
95 deren Reichthum uns nun plötzlich von allen Seiten zuströmende
Beiträge überzeugen.« In diese habe man nun hineingegriffen, und
indem man das »Grundthema: die Schicksale eines Liebespaares«
mit der Lust an abenteuerlichen und ungewöhnlichen Schilderun-
genverband, seiebendieneueGattungdesRomanserstentstanden.
100 »Zu irgend einer Zeit floß das erotische Element hinüber in die
ethnographisch-philosophische Idylle: aus der Verschmelzung die-
serdisparatenBestandtheileentstanddergriechischeRoman.Indie-
ser Verschmelzung gab die prosaische, ethnographische Erzählung
gewissermaßen den derberen, materiellen Körper her, in welchen
105 die Erotik, aus ihrer poetischen Höhe herniedersteigend, als bele-
bende Seele eintrat, dem für sich allein Unbeweglichen Bewegung
und Empfindung mittheilend ... Soweit sich überhaupt von einer
inneren Entwicklung und Ausbildung der Kunstform des griechi-
schenRomansredenläßt,zeigtsicheinesolcheindemwechselnden
110 Verhältniß, in welches sich, wetteifernd um die Oberherrschaft,
2 BeiBreitkopfundHärtel inLeipzig.
zurück zum
Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916