Seite - 329 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
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dezember 1904 329
Müssen es denn die anderen merken? Wenn du heute deine Oboe
35 verkauftest oder wenn deine Finger und Lippen gelähmt würden,
daß du nicht mehr blasen könntest – wärest du ein geringerer Vir-
tuose als zuvor? Oder nimm an, du hättest keine Lust mehr und
wirfst sie einfach zum Fenster hinaus, deine Oboe, weil ihr Klang
dir nicht genügt – wärst du dann kein Künstler mehr? Oder wärst
40 duesnichtvielmehrerst recht,wenndueszumFensterhinunterge-
worfenhättest,deinInstrument,dassoohnmächtigistimVergleiche
zudergöttlichenMusik indeinemHirn? ...Nun, ichhabesiezum
Fenster hinuntergeworfen, meine Oboe. Die Dummköpfe haben
ausgeschrien:Esfälltihmnichtsein!Ichlassesieschreien.Demwah-
45 renKünstlerkannnieetwaseinfallen,dennerhatallesinsich–erhat
dieinnereFülle.Dasistes,daraufkommtesan.«MandenktanUlrik
Brendel, von dem es wörtlich ebenso heißt, daß »die Welt früher
einmal etwas Großes von ihm erwartete«, und aus dem dann auch
nur ein spöttischer Vagabund geworden ist, aber immer noch stolz
50 auf seine Werke, die kein Mensch kennt, weil sie gar nicht geschrie-
ben sind, sondern nur von ihm allein in Gedanken und Gesichten
genossen,unddenRosmersobeneidet,weiler»wenigstensdenMut
hat, das Leben nach seinem eigenen Kopfe zu leben«. Freilich um
den Preis, verschollen zu sein. Aber was liegt daran? Merklin sagt:
55 »Ich versichere dir, es tut gar nicht weh, verschollen zu sein. Und
ich glaube nicht, daß Menschen meiner Art überhaupt etwas Besse-
reszustoßenkann.«DennMenschenvonseinerArtgelingtesnicht
mehr, sich vom Leben düpieren zu lassen, und hat man dies einmal
verlernt, was bleibt einem noch? »Ruhm? – Zehn Jahre – tausend
60 Jahre–zehntausend?sag’mir, inwelchemJahredieUnsterblichkeit
anfängt und ich will um meinen Ruhm besorgt sein. – Reichtum?
– Zehn Gulden – tausend – eine Million? – Sag’ mir, um wie viel
die Welt zu kaufen ist, und ich will mich um Reichtum bemühen.
Vorläufig ist mir der Unterschied zwischen Armut und Reichtum,
65 zwischenDunkelheitundRuhmzugering,alsdaßessichmirlohnte,
einen Finger darum zu rühren. Laß mich spazieren gehen, Freund,
und mit Menschen spielen. Das ist das einzige, was eines Menschen
meiner Art würdig ist.« Er sagt hier wieder: Menschen meiner Art,
und steckt sich von den anderen ab, um nur nicht im Haufen zu
70 sein, wie es immer jene drängt, die an einem tiefen Stolze leiden,
die sich zu gut sind, um sich mit halben Erfüllungen abzufinden,
die lieber verzichten, als sich zu bescheiden. Alles oder nichts, die
LosungBrands.KannichdasLebennichtzwingen,mirdaszuwer-
den,woraufmeininneresWesensteht,sowill ichauchseineGnaden
75 nicht und danke für ein Glück, das den Hammer einer unerbittli-
chen Forderung und des großen Mißtrauens nicht verträgt. Dann
lieber in der Ecke stehen, spöttisch zuschauen und tändelnd spie-
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
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- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
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