Seite - 331 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
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dezember 1904 331
ser wirkliche, unleugbare, leibhafte Bub, aus einer Illusion geboren.
»Werweiß,wozudieserkleine Jungeeinmalberufen ist.Undwenn
man zugleich bedenkt, daß er nie geboren wäre, wenn ich nicht an
125 jenem Abend den Einfall gehabt hätte ... Ihr müßt es ihm erzählen,
wennereinmalgroßgenugist,umeszuverstehen ...EinKindmei-
nerLaune–wahrhaftig.«Undergeht.Diebeidenaberbindendem
Buben die Serviette um und rücken seinen Stuhl an den Tisch und
es wird gegessen. Und wir merken, oder es kommt uns wenigstens
130 vor,daßderDichtersagenwill:DerschlichteMannhatrecht,nicht
die »Menschen meiner Art«, sondern, die sich vom Leben foppen
lassen.
Womit wir denn wieder bei Grillparzers und Stifters altösterreichi-
scherWeisheitderBeschwichtigungundEntsagungwären:
135 Einesnur istGlückhienieden,
Eins:des Innernstiller Frieden
Unddie schuldbefreiteBrust!
UnddieGröße istgefährlich,
UndderRuhmein leeresSpiel:
140 Waser gibt, sindnicht’ge Schatten,
Waser nimmt, es ist so viel!
Beiseite leben. Still sein. Sich nicht vermessen, um sich nicht zu
verlieren. Umgekehrt wie Brand: nicht »alles oder nichts«, sondern
dazwischen. Nicht hochmütig auf die Wahrheit pochen, die, wenn
145 sie extrem wird, über unsere Kraft geht. Die kleinen Lügen nicht
verachten, aus denen doch manchmal etwas so Wirkliches wie die-
ser kleine Bub hier wird, worin vielleicht das eigentliche Wunder
unddas letzteGeheimnisunseresLebens liegt.EineGesinnung,die
sich seit ein paar Jahren bei Schnitzler immer wieder meldet, sogar
150 im »Einsamen Weg«, seiner reifsten, so wunderbar tiefen und rei-
chen Dichtung. Eine Gesinnung, die auf mich – lieber Arthur, sei
nichtbös,aber:BekenntnisgegenBekenntnis–allmählichunerträg-
lich pensioniert wirkt. Eine Gesinnung, mit der sich auch Hebbel,
durch Oesterreich gebrochen, betrogen hat: Kraft oder Schönheit
155 gehört in unser Leben nicht, nimmt, wenn sie sich darin zeigt, eine
Schuldaufsichundmußsie tragischbüßen. Ichhabesonstmeinem
MarxismusmitderZeitrechtbedingengelernt,aberdamußichdoch
sagen: Dies scheint mir wirklich nichts als der geistige Ausdruck
einersinkendenökonomischenKlassezusein,die,dasiesichdurch
160 dieEntwicklungunaufhaltsamzerriebenfühlt, jetzteinfachausdem
Lebendesertierenwill.DurchunsereGeburtgehörenwirihran,des-
halb wird sie aus unserer Empfindung niemals auszutilgen sein, die
Frage istnur,obwirauchgeistiguns ihrfügenmüssenodersiegeis-
tigvielleichtüberwindendürfen,obnichtunsererGenerationgerade
165 dazu nur die Kunst gegeben wurde, die Kunst und diese namenlose
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
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