Seite - 357 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
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oktober 1905 357
die geheime Kraft in uns gar keine sind, die vielleicht unbelauscht
schaffend bleibt, während wir zu spielen glauben. Ich verstehe das
25 undnochmehr:esscheintmirfürunserTheaterganzgut,wenndie-
ser oder jener manchmal in seiner eigentlichen Produktion anhält,
um daneben, dazwischen in einer leichteren, ihm selber unwichti-
gen,etwasogarnichtganzechten, losen, lustigenArtwiedereinmal
bloß zu spielen, einfach Theater zu spielen. Es ist nämlich sonst
30 Gefahr, daß wir uns, nur unserer Eigenheit zugewendet, indem wir
uns erfüllen und vollenden, zu sehr vom Publikum entfernen, wel-
ches, unfähig, uns nachzukommen, ratlos an die gemeinen Macher
ausgeliefert würde. Weshalb es ihm zu gönnen ist, wenn manchmal
ein Künstler sich zwischen seinen ernsten Dingen herabläßt, den
35 strengen Ton etwas zu mildern, um in einer Pause mit ihm ein biß-
chenzuspielen.
Der Kapellmeister Amadeus Adams und seine Frau, die Sängerin
Ortenburg. Die zwei haben sich einst sehr geliebt. Jetzt haben sie
sich nur noch sehr gern. Vielleicht sollte man gar nicht sagen: nur
40 noch. Vielleicht ist das jetzt eigentlich viel schöner, als das damals
war.VielleichtverbindensichzweiMenschengeradedannerstganz,
wenn sie sich nicht mehr begehren. Vielleicht gibt es eine zweite
Liebe, die zwar nur unter Menschen möglich ist, welche früher
durch jene sinnliche verbunden waren, aber erst beginnt, wenn die
45 erste aus ist. Wenigstens Amadeus fühlt es fast so; es scheint auch
mehr ein männliches Gefühl zu sein, in das sich eine Frau selten
findet. Er ist sehr froh, auch weil es ihm ein bißchen schmeichelt,
sichsagenzudürfen,daßesseinVerstandist,demerdieseguteEhe
verdankt. Er hat sie auf vollkommene Aufrichtigkeit gegründet, sie
50 habeneinandernieetwasverschwiegenunddeshalbkennensie sich
jetzt so gut, daß ihnen vorkommt, es könne noch nie zwei Men-
schen gegeben haben, die sich besser verstanden hätten. Vor allem
künstlerisch. Wenn sie singt, hat sie ihn gern bei sich, weil sie sich
in seiner Nähe viel sicherer weiß. Und er erlebt es oft, daß sie an
55 seinen eigenen Einfällen mehr entdeckt, als er selbst darin merkt.
Aber nicht bloß künstlerisch, sondern auch menschlich. Sie läßt es
zu,daßermiteinerKollegintändelt,derSängerinGräfinFriederike
Moosheim,welcheeinensehreifersüchtigenMann,eineVilla, leuch-
tend und weiß am Wasser, mit einer berühmten Platane im Park,
60 unter der sie in heißen Nächten manchmal schläft, und Liebhaber
hat. Und er wieder läßt es zu, daß ihr ein junger Fürst Lohsenstein
gefällt,dereigentlich insKlostergehenwollte, jetztaberhauptsäch-
lich Tanzmusik treibt. Zuerst ist es wirklich nicht mehr, als daß ihr
der ganz artige junge Mensch eben gefällt. Es wird mehr, als Ama-
65 deuszufragenbeginnt,nichtausEifersucht, sonderngewohnt,von
allemmit ihrzusprechen.Hierzögertsie,mitderEmpfindung,daß
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
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- 1916 502
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- 1920 536
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- 1923 570
- 1924 583
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- 1927 586
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- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916