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mai 1922 555
die fehlt, fingieren zu wollen, was fehlt, das scheint ein seltsamer
Einfall, zu dem viel Selbstvertrauen gehört. Er ist übrigens nicht
vonDir.DubistnuriderVollenderundhastDichDeinerAnfänger
nicht zu schämen. Laube war der erste. Wissend, daß zum Theater,
120 wenn man es hohen Sinnes nimmt, Dichter und Schauspieler nicht
ausreichen, so lange sich ihnen nicht ein Publikum gesellt, das, ihre
Wirkungen auffangend nicht blos, sondern auch erwiedernd, mit
zum Spiel gehört, da sich an ihm erst das Wunder der Allverwand-
lung beglaubigt, war er unangenehm überrascht, sich eingestehen
125 zu müssen, daß in Wien zurzeit, als er das Burgtheater übernahm,
die Voraussetzung eines wirklichen Publikums fehlte: eine Gesell-
schaft.EsgabeigentlichdiealteWienerGesellschaftnichtmehrund
es gab noch kaum Spuren einer neuen. Es gehört zu den stärksten
Leistungen Laubes, daß er sich eine schuf, oder doch jedenfalls so
130 vielvonihr,alsnuneinmalzumrichtigenTheaterspielenunentbehr-
lich ist. Wien hatte kein wirkliches Bürgertum, stark genug, als die
höfischezerging,eineGesellschaftnachdenwestlichenMusternzu
bilden. Laube holte sich nun aus der fließenden Schicht von Dok-
toren, Beamten und was sonst noch etwa sich zu den »Gebildeten«
135 hielt,einenErsatzdafür.lnseinemBurgtheaterdrehtesichdasnatür-
licheVerhältnisdesSchauspielszurGesellschaftum:hierwardnicht
mehrvonderBühnedieGesellschaftabgespiegelt,sondernDuwirst
Dicherinnern,daßnochweitüberLaubehinaus,nochbis inunsere
Jugendhinein,alleswasjenerZeitsichWienerGesellschafthieß,sel-
140 ber blos ein Spiegelbild des Burgtheaters war; Du selbst hast noch
von Sonnenthal und Hartmann gelernt, wie der Mann von Welt in
einenSalontritt,denSchmerz,sichseinertiefeninnerenEinsamkeit
auf einen Augenblick entreißen zu müssen, in ein lässiges Lächeln
hüllend. Aber wenn Dein erster Ahn das Burgtheater Laubes war,
145 derzweitewardieRingstraße,diesesUnicuminderBaugeschichte:
denn hier wurde der äußere Schauplatz für eine Gesellschaft errich-
tet,dienochgarnichtdawar,diedann,umihnzufüllen, sozusagen
überNachtgeschwinderst improvisiertwerdenmußte.DuhastDir
sicherlichalsGymnasiastdenMakartfestzugangesehen:daswardie
150 große öffentliche Generalprobe des neuen Wien, da ritt es nun in
FleischundBluteinher,wohermagesnureigentlichdasfrischerote
Blutgesogenhaben?
UndgenauzwölfJahrespäterabergingennunwirzweizuweilenin
Mondnächten über diesen in unserer Kindheit auf Befehl von oben
155 aus Nichts improvisierten Ring und unsere Herzen schlugen vor
seligerEmpfindungseinerSchönheit!ErinnerstDichnoch,wiewir
damals, immerunserenheimlichenErnstinSelbstironieverkleidend,
einst den Ring kindisch unter uns verteilten, das eine Stückl sollte
demRichardBeer-Hofmann,dasanderedemHugo,derdamals,bis
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
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- 1910 433
- 1911 447
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- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
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- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
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