Seite - 575 - in Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
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juni 1923 575
Jedes Wort möcht ich unterschreiben.« – Und doch habe ich keine
rechte Freude dran; denn gleich drangt es mich den Kritiker zu fra-
gen:HandaufsHerz,meinFreund,hättestdudiesauchgeschrieben,
40 wenndufürdenAutor,dessenWerkdubeurteilst,nichtbesondere
persönlicheSympathieempfändest?Oder,wenndirdasLob,dasdu
gespendet hast, nicht irgendwelchen moralischen oder (wär es auch
aufeinem Umweg) sonstigen Gewinn brächte? Oder wenn du dies-
mal nicht besondere Gelegenheit gehabt hättest, dem eigenes Licht
45 leuchten zu lassen? Ja – frage ich am Ende – hättest du, wenn das
Werk zufällig von einem Andern wäre, überhaupt bemerkt, daß cs
dein Lob verdient? Und, wenn du es bemerkt hättest, wäre es dir
der Mühe wert gewesen, es aufzuzeichnen oder gar in die Zeitung
zusetzen?
50 Was dein Werk in die Zukunft trägt, ist nie das Problem, das du
gewählt,nichtderGeist,mitdemesbehandelt;–essind immernur
die Gestalten, die du gebildet und die Atmosphäre, die du um sie
herumgeschaffenhast.
Die wahre Tragödie steigt zum Himmel auf, wie ein Turm, auf
55 dessen freier Höhe, von Stürmen umbraust, die Leiche des Hel-
den aufgebahrt liegt, – aber auch auf dem Grunde jeder richtigen
Komödie, tief verborgen in vermauerten Räumen, ruht ein tragi-
schesGeheimnis–magauchoftdemMeisterselbst,derduGebäude
aufgerichtet,nichts davonahnen.–
60 Wenn dem Kritiker ein Werk zur Beurteilung vorliegt, stehen ihm
zweiMethodenzurWahl.EntwedermagersichaufdieseineWerk
beschränken und von den übrigen des Autors absehen; – oderi er
beziehe in sein Urteil die Gesamterscheinung des Autors ein. Meist
aberübtereinedritteMethode,dieihminjedemFalleverwehrtsein
65 sollte,– indemernebendemWerke,das ihmzurBeurteilungunter-
breitetist,einzelneanderenachWahloderLaune,indenKreisseiner
Betrachtungen aufnimmt, die Existenz der übrigen, die ihm für sei-
nen Zweck und seine Wirkung im Augenblick eben nicht genehm
sind,willkürlichaußeracht läßtundsichsolchermaßenerlaubt,den
70 Dichteraus eigenerMachtvollkommenheitzu fragmentieren.
Mancher dichterische Einfall, der im Lauf der Zeit in unser Unbe-
wußtes sank, den wir also unserer Meinung und dem Sprachge-
brauchnachvergessenhaben,nimmtweiteranunserenErlebnissen
Teil, zieht in geheimnisvoller Weise Nahrung aus ihnen und entwi-
75 ckelt sich so, ohne unser Dazutun, ohne unser Wissen weiter fort.
Und eines Tages mag es geschehen, daß er, wundersam verändert,
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
- 1891 7
- 1892 18
- 1893 31
- 1894 64
- 1895 91
- 1896 115
- 1897 135
- 1898 160
- 1899 167
- 1900 173
- 1901 192
- 1902 222
- 1903 246
- 1904 288
- 1905 338
- 1906 371
- 1907 386
- 1908 401
- 1909 413
- 1910 433
- 1911 447
- 1912 463
- 1913 480
- 1914 492
- 1915 497
- 1916 502
- 1917 507
- 1918 510
- 1919 526
- 1920 536
- 1921 539
- 1922 547
- 1923 570
- 1924 583
- 1925 584
- 1926 585
- 1927 586
- 1928 588
- 1929 590
- 1930 593
- 1931 598
- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
- Korrespondenzpartner 902
- Register 916