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622 1962
imi Heute und nur voll Sehnsucht nach dem Morgen. Das ist die
Gebärde seines Landes nicht, jenes Österreich, das dämmernd ruht,
in sich geschlossen, rund in sich zurückgebogen, willenlos seine
stummen Kräfte treibend, gelassen wie die Natur selbst und grau-
525 samachtlosauchwiesie,wennedleFruchtzugrundegeht.
Der heilige Zorn, die aufgereckte Faust, die dieser rebellierende
Patriot herausfordern will, sind seiner Heimat Geste nicht. Weltli-
cheMacht istnicht ihr letztesZiel,dennallenGlanzundReichtum
hat sie längst besessen, schon ausgekostet seine fragwürdige Ver-
530 gänglichkeit; in ein Reich, das nicht von dieser Welt ist, ist Öster-
reichhineingeraten.
In diesem Gleichmaß des Beruhens und Beharrens meint freilich
jederzu ersticken,derausdemWillenundBewußtsein lebt.
Und wo denn sonst als in dem immer gärend bewegten, stürmisch
535 jungen, zukunftsträchtigen Deutschland, kann Bahr zu finden hof-
fen, wonach es ihn verlangt?! Aus früher Jugend schon berichtet er
von dieser Sehnsucht nach Deutschland. Im Jahre 1883, als Richard
Wagner starb, hatte er im Trauerkommers der Wiener Studenten-
schaft eine Rede zu halten; und die wirkte in ihrem Bekenntnis zu
540 Deutschland so stark, daß er schon vierzehn Tage später relegiert
wurde.SogingerdamalsnacheinemUmwegwüsterRauf-undSauf-
zeit inCzernowitznachBerlin.
Es kam der siebzigste Geburtstag Bismarcks, und Bahr sollte im
Namen der deutschen Studentenschaft Österreichs dem vergötter-
545 tenKanzlereineRedeüberreichen.
»Sie war kräftig abgefaßt, unsere Hoffnungen, Wünsche und Welt-
verbesserungen keineswegs verhehlend. Ich freute mich sehr und
malte mir schon den großen Augenblick aus, wo der Fürst von mir
dieDeutschenÖsterreichs inEmpfangnehmensollte.«
550 Erwirdzunächstgarnichtvorgelassen,mannimmtihmdieAdresse
nurhöflichdankendab,esbleibt ihmalsovorläufignichtsübrigals
seinerWegezugehen;abererdringtdarauf,vomKanzlerselbstemp-
fangen zu werden. Einige Tage später wird er ins Palais beschieden,
und der Fürst läßt ihm durch seinen Rat von Rottenburg danken.
555 WelcheEnttäuschung!Undwasmußerhören?Bismarckfreuesich,
die Wiener Studenten so gut deutschgesinnt zu wissen, sie könnten
es aber nicht besser beweisen, als wenn sie ihre ganze Kraft einsetz-
ten, um Österreich stark zu machen. Deutschland rechne auf diese
Jugend, es brauche sie – aber in Österreich. Ein mächtiges Öster-
560 reich sei Deutschland unentbehrlich. Das alles war in kühlem Ton
sogleichsam nebenhingesagt.i
Schweigsamundbetretensaßnunder jungeMenschda;diekühnen
Worte, mit denen er erfüllt war, in sich verschließend. Und als er
nur noch stammeln kann, ob seinen Kameraden damit nicht doch
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
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- 1902 222
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- 1932 604
- 1934 606
- 1936 607
- 1962 610
- Quellennachweis und Erläuterungen 632
- Buchausgaben im gegenseitigen Besitz 787
- Theaterbesuche 792
- Auszüge aus Schnitzlers Tagebuch 793
- Editorische Richtlinien 796
- Die Korrespondenz Bahr –Schnitzler 813
- Nachwort 820
- Dank 864
- Verzeichnis der Dokumente 866
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