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628 1962
undmeistenssindesFrauen,diedasWortderSelbstbegrenzungaus-
sprechen.
780 Der weise sternenkundige Erasmus aus Schnitzlers »Hirtenflöte«
heißtseineFrauDionysiawillkommen,alssieaustausendAbenteu-
ernheimkehrt.»DuhastdeinLebengelebt,Dionysia.Reinerstehst
du vor mir als alle jene andern, die im trüben Dunst ihrer Wünsche
atmen. Du weißt, wer du bist...« Doch sie entgegnet: »Ich weiß,
785 wer ich bin? So wenig weiß ich’s, als da du mich entließest. In der
Beschränkung,diedumirzuerstbereitet,undwoallesPflichtwurde,
war mir versagt, mich zu finden. Im Grenzenlosen, wohin du mich
sandtest, und wo alles Lockung war, mußte ich mich verlieren. Ich
weißnicht,werichbin.EinWeiserdu?Undhastnichterkannt,daß
790 jedemmenschlichenDaseinnureinschmalerStrichgegönntist,sein
Dasein zu erfüllen?«
Das also war’s? Ist es nur darum gegangen? Auf der Spur des
eigenen Ich ist der Mensch rund um die Welt gelaufen. »Wo ist
Wahrheit?« fragt Bahr, als er, erschüttert die Unsicherheit des Ich
795 entdeckend,vomunrettbarenIchspricht.»AnStelledesConstanten
undAbsolutentrittdasfließendewechselndeSpiegelbilddereigenen
Einbildungskraft...Dawerdenwirerkennen,daßdasElementunse-
resLebensnichtdieWahrheit ist,sonderndieIllusion...«–undsich
zusammenfassend,wievoreinemMeervonUngewißheit,dasihnzu
800 überifluten droht: »Für mich gilt nicht, was wahr ist, sondern was
ichbrauche!«
Und doch kommt für ihn auch ein Tag, an dem ein Schauder ihn
ergreift vor so viel Freiheit. Zu oft hat er sich seines Selbst entäu-
ßert, und endlich steigt ein Sehnen auf – vielleicht ist’s heimliche
805 Erinnerung aus früher dumpfer Kindheit, da eine sanfte Hand die
seinen zum Gebet faltete – ein dunkles Ahnen, das Schutz sucht,
Maßwill,SicherheitundunumstößlicheInstanz.Endlicherkennter,
daß Bei-sich-angelangt-sein auch schon Auf-sich-verzichten heißt,
zugunsteneinesHöheren.
810 »Das Erhabene«, sagt er, »dem man sich nur dienend naht.« – Der
Unband, der ruhelos sich Wandelnde, steht schließlich doch vor
Endergebnissen; und ein Nietzsche-Wort hat ihm den Star gesto-
chen:»Denn›autonom‹und›sittlich‹schließtsichaus.«–Nunheißt
es wählen; und da Befreiung nur im Erkennen des Absoluten und
815 Konstanten, nur im Bereich des Sittlichen zu finden ist, kann er auf
»autonom«verzichten.
WirsehenihninSalzburg, imSommer1920.DraußenvorderStadt
wohnter jetzt, imSchlößchenArenberg.Er lebt inmittenseinervie-
lenBücher–einmächtigerLeser,schreibtseinTagebuch,ruhigund
820 voll heiterem Wissen, unangefochten von der Welt, die ihn so lang
gefangenhielt.
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Buch Arthur Schnitzler & Hermann Bahr - Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931"
Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Titel
- Arthur Schnitzler & Hermann Bahr
- Untertitel
- Briefwechsel, Aufzeichnungen, Dokumente 1891–1931
- Herausgeber
- Kurt Ifkovits
- Martin Anton Müller
- Verlag
- Wallstein Verlag
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2018
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-8353-3228-7
- Abmessungen
- 14.6 x 23.4 cm
- Seiten
- 1010
- Kategorien
- Weiteres Belletristik
Inhaltsverzeichnis
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