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Der vierte
Den 26. Mai 1901
Ich habe gar keine gute Zeit hinter mir und weiß es vielleicht erst seit einem
gewissen kleinen Erlebnis, das ich vor drei Tagen hatte – aber ich will
versuchen, es in der Ordnung zu erzählen: und doch wirst Du mit der
Erzählung nicht viel anfangen können. Kurz, ich mußte zu einer Konferenz
gehen, der entscheidenden, letzten in der Kette von Verhandlungen, die darauf
abzielten, die holländische Gesellschaft, für die ich seit vier Jahren arbeite,
mit einer schon bestehenden englisch-deutschen zu vereinigen, und ich wußte,
daß der Tag entscheidend war – gewissermaßen auch für mein weiteres Leben
– und – ich hatte mich nicht in der Hand, o wie gar nicht hatte ich mich in der
Hand! Krank werden fühlte ich mich von innen heraus, aber es war nicht
mein Körper, ich kenne meinen Körper zu gut. Es war die Krise eines inneren
Übelbefindens; dessen frühere Anwandlungen freilich waren so unscheinbar
gewesen wie nur möglich; und daß sie überhaupt etwas gewesen waren, daß
sie mit diesem jetzigen Wirbel doch zusammenhingen, das verstand ich jetzt
blitzhaft, wie man eben in solchen Krisen mehr versteht als in den normalen
Augenblicken des Lebens. Ganz kleine sinnwidrige Regungen von Unlust
waren diese früheren Anwandlungen gewesen, ganz unbedeutende, fast
dauerlose Verkehrtheiten und Unsicherheiten des Denkens oder Fühlens, aber
freilich etwas ganz Neues in mir; und das glaube ich, so nichtig diese Dinge
sind, daß ich doch nie etwas Ähnliches verspürt habe, außer seit diesen
wenigen Monaten, da ich wieder europäischen Boden trete. Aber aufzählen
diese gelegentlichen Anwandlungen eines Fast-Nichts? Immerhin, ich muß –
oder diesen Brief zerreißen und das Weitere für immer ungesagt lassen.
Zuweilen kam es des Morgens, in diesen deutschen Hotelzimmern, daß mir
ein Krug und das Waschbecken – oder eine Ecke des Zimmers mit dem Tisch
und dem Kleiderständer so nicht-wirklich vorkamen, trotz ihrer
unbeschreiblichen Gewöhnlichkeit so ganz und gar nicht wirklich,
gewissermaßen gespenstisch, und zugleich provisorisch, wartend, sozusagen
vorläufig die Stelle des wirklichen Kruges, des wirklichen mit Wasser
gefüllten Waschbeckens einnehmend. Wüßte ich nicht, daß Du ein Mensch
bist, dem eigentlich nichts groß, nichts klein vorkommt und vor allem nichts
ganz absurd, ich käme nicht weiter. Immerhin kann ich ja vielleicht den Brief
unabgeschickt lassen. Aber es war so. In den anderen Ländern drüben, selbst
in meinen elendesten Zeiten, war der Krug oder der Eimer mit dem mehr oder
minder frischen Wasser des Morgens etwas Selbstverständliches und zugleich
Lebendiges: ein Freund. Hier war er, kann man sagen: ein Gespenst. Es ging
von seinem Anblick ein leichter unangenehmer Schwindel aus, aber kein
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Die Briefe des Zurückgekehrten
- Title
- Die Briefe des Zurückgekehrten
- Author
- Hugo von Hofmannsthal
- Location
- Berlin
- Date
- 1907
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 27
- Keywords
- Briefnovelle
- Categories
- Weiteres Belletristik