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Gottes Antlitz umfingen. Dostojewskis Zustand nach jedem Anfall ist ein fast
idiotisches DĂ€mmern, dessen ganzes Grauen er sich selbst im FĂŒrsten
Myschkin mit flagellantischer Deutlichkeit ausgemalt hat. Er liegt im Bett mit
zerschlagenen, oft zerstoĂenen Gliedern, die Zunge gehorcht nicht dem Laut,
die Hand nicht der Feder, mĂŒrrisch und niedergeschlagen wehrt er sich gegen
alle Gemeinschaft. Die Helligkeit des Gehirns, das tausend Einzelheiten eben
in harmonischer VerkĂŒrzung umfaĂte, ist zerschellt, er weiĂ sich der nĂ€chsten
Dinge nicht mehr zu erinnern, der Lebensfaden, der ihn der Umwelt, der ihn
seinem Werk verbindet, ist zerrissen. Einmal, nach einem Anfall wÀhrend der
Niederschrift der âDĂ€monenâ, fĂŒhlt er mit Grauen, daĂ ihm nichts mehr
bewuĂt ist von all den Geschehnissen der eigenen Erfindung, selbst den
Namen des Helden hat er vergessen. Erst mĂŒhsam lebt er sich wieder in die
Gestaltung hinein, treibt die erschlaffenden Visionen mit drÀngendem Willen
wieder zu voller Glut auf, bis â bis ihn eben ein neuer Anfall hinschmettert.
So, das Grauen der Fallsucht im RĂŒcken, den bitteren Nachgeschmack des
Todes auf den Lippen, gehetzt von Not und Entbehrung, sind seine letzten, die
gewaltigsten Romane entstanden. Auf der Kippe zwischen Tod und
Wahnsinn, nachtwandlerisch sicher, steigt sein Schaffen noch gewaltig empor,
und aus diesem stÀndigen Sterben erwÀchst dem ewig Auferstandenen jene
dÀmonische Kraft, das Leben gierig zu umklammern, um ihm sein Höchstes
an Gewalt und Leidenschaft zu entpressen.
Dieser Krankheit, diesem dÀmonischen VerhÀngnis dankt Dostojewskis
Genie so viel (Mereschkowski hat die Antithese blendend durchgefĂŒhrt) als
Tolstoi seiner Gesundheit. Sie hat ihn emporgeschwungen zu konzentrierten
GefĂŒhlszustĂ€nden, wie sie dem normalen Empfinden nicht gegeben sind, hat
ihm geheimnisvollen Blick verliehen in die Unterwelt des GefĂŒhles und die
Zwischenreiche der Seele. Das grandios DoppelgÀngerische seines Wesens,
dies Wachsein im hitzigsten Traum, das Nachschleichen des Intellekts in die
letzten Labyrinthe des GefĂŒhls, hat ihn befĂ€higt, zum ersten Male den
pathologischen Geschehnissen ihre Metaphysik zu geben, und voll zu
schildern, was sonst das analytische Skalpell der Wissenschaft nur
unvollkommen am abgestorbenen klinischen Fall ertastet. Wie Odysseus, der
Vielgewanderte, Botschaft vom Hades, so bringt er, der einzig wach
Wiederkehrende, peinlichste Beschreibung aus dem Land der Schatten und
Flammen und bezeugt mit seinem Blut und dem kalten Schauer seiner Lippen
die Existenz ungeahnter ZustÀnde zwischen Leben und Tod. Dank seiner
Krankheit gelingt ihm das Höchste der Kunst, das Stendhal einmal
formulierte, âdâinventer des sensations inĂ©ditesâ, GefĂŒhle, die bei uns alle im
Keim vorhanden sind und nur infolge der kĂŒhlen Klimatik unseres Blutes
nicht zu voller Reife kommen, in voller tropischer Entfaltung darzustellen.
Die Feinhörigkeit des Kranken lĂ€Ăt ihn die letzten Worte der Seele
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Drei Meister
Balzac - Dickens - Dostojewski
- Title
- Drei Meister
- Subtitle
- Balzac - Dickens - Dostojewski
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1920
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 134
- Keywords
- Literatur, Schriftsteller
- Categories
- Weiteres Belletristik
Table of contents
- Romain Rolland als Dank fĂŒr seine unerschĂŒtterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
- Balzac 7
- Dickens 29
- Dostojewski 50
- Einklang 51
- Das Antlitz 54
- Die Tragödie seines Lebens 56
- Sinn seines Schicksals 66
- Die Menschen Dostojewskis 77
- Realismus und Phantastik 90
- Architektur und Leidenschaft 103
- Der Ăberschreiter der Grenzen 113
- Die Gottesqual 121
- Vita Triumphatrix 131