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Drei Meister - Balzac - Dickens - Dostojewski
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hinein setzt sich diese beispiellose moralische Verurteilung seines Selbst zugunsten des zukünftigen Wesens fort, die Vernichtung des Ichmenschen um des Allmenschen willen. Man nehme sein Bild, seine Photographie, seine Totenmaske und lege sie neben die Bilder jener Menschen, in denen er sein Ideal geformt: neben Aljoscha Karamasoff, neben den Staretz Sossima, den Fürsten Myschkin, diese drei Skizzen zum russischen Christus, zum Heiland, die er entworfen. Und bis ins Kleinste wird hier jede Linie Gegensatz sagen und Kontrast zu ihm selbst. Dostojewskis Gesicht ist düster, erfüllt von Geheimnissen und Dunkelheit, jener Antlitz ist heiter und von friedlicher Offenheit, seine Stimme heiser und abrupt, die jener Menschen sanft und leise. Sein Haar ist wirr und dunkel, seine Augen tief und unruhig – jener Antlitz ist hell und umrahmt von sanften Strähnen, ihr Auge glänzt ohne Unruhe und Angst. Ausdrücklich sagt er von ihnen, daß sie geradeaus schauen und ihr Blick das süße Lächeln von Kindern hat. Seine Lippen sind schmal umkräuselt von den raschen Falten des Hohnes und der Leidenschaft, sie verstehen nicht zu lachen – Aljoscha, Sossima haben das freie Lächeln des selbstsichern Menschen über den weißen Zähnen blinken. Zug um Zug setzt er so sein eigenes Bild als Negativ gegen die neue Form. Sein Antlitz ist das eines gebundenen Menschen, des Knechtes aller Leidenschaften, bebürdet von Gedanken – das ihre drückt die innere Freiheit aus, die Hemmungslosigkeit, die Schwebe. Er ist Zerrissenheit, Dualismus, sie die Harmonie, die Einheit. Er der Ichmensch, der in sich Eingekerkerte, sie der Allmensch, der von allen Enden seines Wesens in Gott überströmt. Diese Schaffung eines moralischen Ideals aus Selbstvernichtung – nie war sie vollkommener in allen Sphären des Geistigen und des Sittlichen. Aus Selbstverurteilung, gleichsam, indem er sich die Adern seines Wesens aufschneidet, mit dem eigenen Blute malt er das Bild des zukünftigen Menschen. Er war noch der Leidenschaftliche, der Krampfige, der Mensch der kurzen tigerhaften Ansprünge, seine Begeisterung eine aus der Explosion der Sinne oder der Nerven aufschießende Stichflamme – jene sind die sanft, aber stetig bewegte, keusche Glut. Sie haben die stille Beharrlichkeit, die weiter reicht als die wilden Sprünge der Ekstase, sie haben die echte Demut, die nicht die Lächerlichkeit fürchtet, sie sind nicht wie er die ewig Erniedrigten und Beleidigten, die Gehemmten und Verkrümmten. Mit jedem können sie sprechen, und jeder fühlt Beruhigung an ihrer Gegenwart – sie haben nicht die ewige Hysterie der Angst, zu kränken oder gekränkt zu werden, sie blicken nicht bei jedem Schritt fragend um sich. Gott quält sie nicht mehr, er befriedet sie. Sie wissen um alles, aber eben weil sie alles wissen, verstehen sie auch alles, sie richten nicht und sie verurteilen nicht, sie grübeln nicht nach den Dingen, sondern glauben sie dankbar. Seltsam: er, der ewig Beunruhigte, sieht in dem gelassenen, geklärten Menschen die höchste 129
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Drei Meister Balzac - Dickens - Dostojewski
Title
Drei Meister
Subtitle
Balzac - Dickens - Dostojewski
Author
Stefan Zweig
Date
1920
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
134
Keywords
Literatur, Schriftsteller
Categories
Weiteres Belletristik

Table of contents

  1. Romain Rolland als Dank fĂĽr seine unerschĂĽtterliche Freundschaft in lichten und dunklen Jahren 5
  2. Balzac 7
  3. Dickens 29
  4. Dostojewski 50
  5. Einklang 51
  6. Das Antlitz 54
  7. Die Tragödie seines Lebens 56
  8. Sinn seines Schicksals 66
  9. Die Menschen Dostojewskis 77
  10. Realismus und Phantastik 90
  11. Architektur und Leidenschaft 103
  12. Der Ăśberschreiter der Grenzen 113
  13. Die Gottesqual 121
  14. Vita Triumphatrix 131
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