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Tagebuch 1923
Öffnet den Knopf vorn am Kleid
Und im Nu
Hat sie die Brust frei gemacht
–
Ein Taschentuch deckt sie zu.
Dann Kirschen fürs zweite Kind
Doch beißt sie zuerst die Kerne heraus,
Weil die gefährlich sind.
Und
Mit einer Serviette von Papier
– Ja, das muß sein
–
Reibt sie den Mund,
Den rotschwarzen Kirschenmund,
Wieder rein.
Immer hat sie zu tun,
Sie duftet warm
Und es dunkeln ihr
Halbmonde unterm Arm.
Meine Kinder sie sind schon erwachsen ;
Die Tochter ist Lehrerin
Im dritten Bezirk
Und der Sohn bei der Bahn
In einem Gütermagazin.
Der Posten ist heute nicht leicht
Doch vor zwei Dutzend Jahren
–
– Wie die Zeit verstreicht
–
Da waren
Auch sie noch klein ;
Ich aber konnt niemals
–
So
– so
– so
– selbstverständlich
Mit ihnen sein.
Meine Augen wurden feucht
Und meine Hände bebten,
Legt ich sie in den Wagen,
In den Kinderwagen hinein,
Und ich dankte dem Himmel,
Daß sie lebten ;
Und wenn sie ruhig lagen,
Kniete ich leise in ihre Stille
–
Da durfte ich bisweilen sehen
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien