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Tagebuch 1923
Ich schlief die ganze Nacht
Und träumte nicht.
Und als ich wiederkam
Da war’s mein Zimmer nicht mehr
Und der Spiegel an der Wand
Zog ein fremdes Gesicht.
Die Sorgen,
Die abends noch, als ich las,
In den Seiten verborgen
–
Klingen
Mit großen Augen und
Zum Weinen verzerrten Mund
–
Die lagen
– Falten
Glatt gestrichen
–
Und Gesichter, ein wenig verblichen,
Ein wenig allgemein gehalten,
Puppen in Schachteln
In Geraden
Leicht zu übersehen
In den Laden.
Und noch etwas, ich suche
Noch etwas
–
Und weiß nicht, was es war,
Und wo ich’s suchen muß.
Nur war es gut.
Und ließ ein kleines Stück
Blauen Himmel zurück
Und einen Kuß
Blut.
War’s eine Hand, die
Über die Stuhllehne fiel ?
Ein Blick
Aus gesenkten Lidern ?
Ein Wort, das traf ?
Ach ein Wort
…
Ich kann’s nicht fassen
Traumlos war mein Schlaf.
Die Nacht
Hat reinen Tisch gemacht.
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien