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Tagebuch 1923
und ganz gleichgültig. Ich drang in den Hans, daß wir vor Schluß nachhause gingen.
Eidlitz war auch mit u. ich konnte ihm für sein Drama danken, das er mir mit Wid-
mung zugeschickt hatte. – (Mosesgeschichte – nicht zwingend). Hans redete mir zu,
daß ich auf eine Weile fortreisen soll und ich will es so gerne tun. Ganz inkognito.
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Heut früh mit Frapparts in d. Akademie. Vor d. Aert de Gelder, er : „Das ist eine
Beleuchtung, wie sie in d. Natur nicht existiert
– sie stört mich aber nicht
– aber wenn
einer ein Bild malt, und er malt den Säbel an die rechte Seite oder die Orden an die
rechte Brust
– das irritiert mich furchtbar
–.“
Gestern abends mit der Kunsthandlung Flechtheim-Bondi bei Steiners – uner-
hört langweilig und andauernd – um 1h erst mittels Auto von jenen sehr verärgert
zuhause. Gestern vormittag Bibel gelesen – die Geschichte des Saul – Nachmittag
Leben Rembrandt bei Halles. Dr. Benesch hat einen Brief „der Zuhörer“ bekommen
(d. h. die Uranialeitung, die es dummerweise ihm gegeben hat), daß er zu schwer vor-
trage
– jetzt ist er beleidigt u. gibt die weiteren Vorträge ab (an Buschbeck, glaub ich.)
Lili Fröhlich-Bum fragte Frau Steiner : „Ist es wirklich wahr, daß die Erica Tietze
die Kunstgeschichte an d. Nagel gehängt hat und nur mehr dichtet ?“ Ehrlich hat
das Bild von der Vroni in die Staatsgalerie gebracht – alle finden, daß es ein großer
Fortschritt ist. Es wird dort gerahmt (weil ich doch den Legler inkl[usive] Rahmen
gespendet habe, und mir dafür einen Rahmen ausgebeten habe).
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Heute herrliches Frühlingswetter, Vroni u. ich haben die Kinder abgeholt u. sind
mit ihnen (ohne Mäntel) lange spazieren gegangen. Babbitt von Sinclair Lewis aus-
gelesen. Ein ausgezeichnetes Buch.
2. Dezember 1923
Gestern vormittag hab ich mir die Novelle Saul in d. wichtigsten äußeren Momenten
skizziert. Gegen Abend bei Ehrlich im Atelier, (genachtmahlt), die Zeichnungen der
Felixschen Kinder angeschaut u. ausgewählt u. viele Dinge besprochen. Wir kommen
einander sehr nah. Dann bei Lampls, erst im Hausflur […] getroffen, dessen Braut
sich beim Hausmeister ein Schuhbandel richtete. Er hatte nicht d. Absicht hinaufzu-
kommen, Hemmungen, die Dame redete ohne Erfolg zu, wir auch
– gingen dann. Es
hatte sicher eine Viertelstunde gedauert. Nach einer weiteren Viertelstunde kam die
Dame allein hinauf. Oben waren fast nur Damen (7), ein Knabe Sonnenschein, der
nach mehreren tschechischen Dichtern seine Vornamen bekommen hatte, Mandari-
nen, Kastanien, Tee und Eierkognak. Gegen 10 zogen alle ab bis auf eine Schwägerin
u. wenige Minuten später traten wie in einem Verschwörungsstück drei Architekten
auf. Damit wurde die Situation nicht amüsanter und ich ging unter wiederholtem
Hinweis auf die letzte Elektrische ab. Es war ehrlich langweilig gewesen u. ich hab
beschlossen, daß es das letztemal war. Hans kam erst um 2h zufuß nachhaus, er hatte
sich bei Bondis ganz gut unterhalten, vor allem an dem traditionellen Gansbraten u.
Gurkensalat vergnügt
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Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien