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Tagebuch 1924
geschichten. Es wird nach gerade Zeit, die Sache zum Klappen zu bringen. So oder
so. Endlich haben auch sachliche Interessen ihre Grenzen. Dann bei G. E., der sich
fast entschloß, (auf meine Aufforderung hin), mit mir nach Italien zu reisen. Wenn
es nur 8 Tage später wäre, damit er die Bergner nicht wieder versäumt. Ich soll voraus
fahren.
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13. Mai 1924
Wieder paar Tage u. viele Aufregungen dazwischen ! Am Samstag früh hab ich d.
Vroni Schuhe gekauft, sie dann ins Hôtel Bristol gebracht, wo G. E. mit ihr bei der
Bergner einen Besuch machte. Dann beim Erny, dem ich die schwarze Litho von mir
verkaufte. Endlich Hagenbund und Firnistag. Flochs Bilder sahen sehr gut aus. Mit
Hans weggegangen, immerzu die Gespräche d. Künstler, die so viel wichtig sich füh-
len, daß sie hindert einmal zu Hans Farbe bekennen können. Dieselben Leute, die in
d. Delegation damals beim Rennerkontrakt gegen ihn waren
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Am Sonntag „Biblioth[ek]“ in Gang gebracht. Abends bei Bondis ; mein Tisch-
herr Schwarz-Waldegg (auf d. andern Seite der mir zuwidere Harta) ; ein komischer
Kauz dieser Schwarz, sympathisch aber abstrus, pedantisch skurril im Reden. Da-
zwischen immer mit dem Unmöglichsten hineinplatzend die gewisse Schwägerin.
Nach d. Carltheater kamen Tischlers mit einer Schwester d. Frau, die dort aufgetre-
ten war – u. noch später G. E., der vom Raimundtheater kam, wo ihn in „Fräulein
Julie“ d. Bergner hingerissen hatte. Er fährt nicht mit mir, will nicht von Wien fort,
solang die Bergner da ist ! Um drei Uhr Nacht kamen wir erst nachhause. Gestern
den ganzen Tag gelegen. Sehr verstimmt. Hans hat zu seinem am Sonntag geschrie-
benen Artikel „Wer ist Nolde ?“ noch einen zweiten über die Rubensbilder geschrie-
ben. Beide sollen im Tagblatt erscheinen. Auch heute meistens gelegen. Auch heute
noch sehr verstimmt. Appetitlos. Furchtbare Angst vor der Melancholie – in Vene-
dig einsam
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14.V.1924
Gestern abends war Gaby da. Saß bei mir im Garten und das Herz lag ihr fast auf der
Zunge. Sie hat ein trauriges Jahr hinter sich u. das Prüfungsdebakel ist lang nicht das
Wesentliche. Aber ich hab sie nicht gefragt, was es war. Hans hat eine Sitzung (im Gar-
ten des Belvedere) mit seinen Direktoren gehabt (alle inkl[usive] Schubert) ; soll er ge-
hen oder soll er nicht gehen. Alle natürlich für bleiben. Bleiben, passive Resistenz, gar
nichts tun, nur bleiben. Die Zeiten können sich ändern. Sie wollen sich mit den Künst-
lern versöhnen, Hans soll nicht die Artikel bringen oder soll sie später bringen. Hans
läßt sich’s nicht nehmen, bis zu Ende abzureagieren. Zwischen Glück u. den Künstlern
mag es ja eine Versöhnung geben, nie zwischen Hans u. jenen. Das hat keinen Sinn.
Der Artikel : Wer ist Emil Nolde ? erscheint morgen. Heute war ich den ganzen Tag
im Streckstuhl. Burgerl hat eine leichte Mandelentzündung mit erhöhter Tempera-
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien