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Tagebuch 1924
auf und ließ es sich an einem Genießer- und Kennertum genügen, das zwar etwas begrenzt
und selbstgefällig im Ausdruck, zum mindestens auf musikalischem Gebiete, der Echtheit
und Wärme nicht ermangelte.“ (Schnitzler 2006, 71.)
Gustav Mahler hatte Richard Horn aus Frankfurt vermutlich zum Jahresende 1903 ge-
schrieben. In diesem Brief nahm Mahler Bezug auf ein vorher stattgefundenes Gespräch
mit Horn über die veränderte Einstellung der Menschen zu den Gesetzen der Natur bzw.
die Veränderlichkeit der Naturgesetze selbst : „Es ist eine Denkmöglichkeit, daß sich im
Laufe von Äonen (etwa infolge eines natürlichen Evolutionsgesetzes) selbst die Naturge-
setze ändern können ; daß also beispielsweise die Gravitation nicht mehr statthaben wird.“
(Mahler-Werfel 1924.)
28 1924 erschien in dem kurz zuvor eröffneten Verlagshaus Paul von Zsolnays Franz Werfels
Verdi-Roman. Im selben Jahr hatte die Arbeit an der Edition von Gustav Mahlers Briefen
begonnen. Später sollte Zsolnay auch vorübergehend Alma Mahlers Schwiegersohn wer-
den (Mahler-Werfel 1924).
29 Der Bankier Felix Steinitz gehörte ebenfalls dem Vorstand der GFMK an. Bisher konnte zu
Steinitz, der moderne Kunst sammelte und zeitgenössische Künstler förderte, kaum mehr
in Erfahrung gebracht werden, als dass er 1938 gezwungen war, Österreich zu verlassen
(ÖStA, AdR, 06, BMF, VVSt, VA, Felix Steinitz, Nr. 17937 ; Melichar 2004, 109).
Rainer Maria Rilke kämpfte seit 1923 mit einer Erkrankung, die später als Leukämie dia-
gnostiziert wurde. Möglicherweise war Tietze über das Unterrichtsministerium behilflich,
einen bereits vorzeitig angeschafften Grabstein zu finanzieren. Rilke verstarb im Dezember
1926 und wurde in Raron in der Schweiz begraben.
30 „Doppelwadler“ – zwei Männerwaden in einem Hosenbein – vielleicht auch eine Anspie-
lung auf den k. u. k. „Doppeladler“.
31 Stemmer
– vermutlich handelte es sich um den Sammler moderner Kunst Arthur Stemmer.
Im Rahmen der von der GFMK veranstalteten „Russischen Kulturwoche“ wurde am 16.
Februar in der Neuen Galerie eine Ausstellung russischer Kunst eröffnet. In der Öffent-
lichkeit wurde die russische Woche als eine Art offizielle Anerkennung der Sowjetunion in
künstlerischen Angelegenheiten wahrgenommen (Österreichs De-jure-Anerkennung der
Sowjetunion erfolgte am 25. Februar 1924). Zentrale Persönlichkeiten der Ausstellung wa-
ren Wassily Kandinsky, Marc Chagall und El Lissitzky (1890–1941). Gezeigt wurden aus
Kostengründen wieder ausschließlich grafische Werke („zerlegte Mappenwerke“) (N. N.
28.2.1924 ; Vgl. dazu Caruso 2008, 29–35).
Arthur Schnitzler, der die Ausstellung ebenfalls besuchte, vermerkte in seinem Tagebuch :
„Mit C. P. in der neuen Gallerie Domgasse (Nirenstein, der uns auch ciceronirte). Kan-
dinsky, Lissitzky (mir fast unerträglich) und der sehr interessante Chagall.“ (Schnitzler
1995, 131.)
Jene Tage in Wien hatten auch bei Ringelnatz Eindrücke hinterlassen, die er in einem
Gedicht festhielt :
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien