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Tagebuch 1925
Und die vielen rotgekleideten Leute
(Weil ich doch heute rot gar nicht mag).
Und dann
– find
–
Dann find ich mich.
Ich sitze
Vielleicht auf einer braungestrichenen Bank
Und neben mir sind zwei andere Frauen
Die mit dem Kopf nicken,
Wie alte Frauen halt sind.
Und ich trage
Einen grauen Shawl gegen den Wind
Und einen Schirm, einen verblichenen
Gegen die Sonnenhitze.
Und ich sage :
(Natürlich weiß ich nicht, was ich mein’)
Ich sage : „Nein
Daran
Gewöhn
Ich mich
Nicht mehr.
Da bin ich eben schon zu alt.“
Und
– denk dir, wie schön das wär’ !
Ich geh vorüber
– die drei
Schauen mir nach, die alten Frauen ;
Eine links, eine rechts
– und ich bin dabei.
Mir ist heute beim Spazierengehen ein Motto eingefallen, nach dem ich jetzt mich
einrichten muß. „Die Liebe darf nicht mehr im Blute ruhn
– Die Zeit ist jetzt vorbei ;
es bleibt das Gute tun.“
22.VIII.
Regen am Morgen
Die Schatten dehnen sich die kahlen Wände
Und an der Schwelle zu den stillen Räumen
Da säumen ihre Augen und verhauchen
Noch einmal über mich die fremde Qual
–
Noch einmal sehnen sich zu mir die Hände
Und verrauchen.
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien