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Tagebuch 1926
nem Bildhauer Millan gemacht sind. Wo der her sein
mag. Wir sind auch der anstrengenden Wanderung
durch die Kirche (da ist ein Hauptbild von Murillo
der hl. Antonius dem das Christkind erscheint – ich
rede mir ein, es ist unter Einfluß der Rembrandtra-
dierung Verkündigung an d. Hirten) – noch lange
im Hof auf der Brüstung des maurischen Brunnens
gesessen u. haben einem ganz zarten Hündchen zu-
geschaut, das aus dem Abfluß Wasser trank. Es hatte
so feine Hinterbeinchen, daß ich den Hans drauf
aufmerksam machte, ist das nicht eine Gnade Got-
tes, wenn’s nicht zerbricht ! ! Als es den Durst gelöscht
hatte und davon lief, sah ich, daß es an einem Bein-
chen lahmte
…33
Nach Tisch Siesta und dann : Alcasar und Garten.
Alcasar die kleine Alhambra, wirkt viel bunter, leben-
diger, bewohnter als die bedeutendere Schwester ; mir
hat es Freude gemacht, vielleicht weil es heiter war,
kein Zug, – Sonnenschein. Dann geht man in den
Garten, hält sich anfangs treu an seinen Führer, sieht noch das maurische Frauenbad,
das Karl V. eindecken ließ und in dem die Geliebte des Königs Piedro badete und die
Hofleute tranken aus Courtoisie von dem Wasser. Das Bad ist groß wie der Fisch-
kalter in Kremsmünster
– was die Romantik weniger unappetitlich macht. Dann aber
läßt man Führer und Weg, läßt Zeit und Tageseinteilung hinter sich u. verliert sich
in dem einzig schönen Jardin, der labyrinthische Attrappen, perspektivische Veduten
und üppigste ungepflegte Einsamkeiten hat. Alles genießt man bis zum Ende. Das
Ende aber war eine Sensation, die nichts an Anregung verlor, wenn sie sich auch auf
mehr als eine Stunde dehnte : eine ganz hohe Palme wurde geputzt ! Es geschieht
alljährlich um diese Zeit, daß sie die trockenen Äste unten mit der Hacke abschlagen.
Ein Gärtner ist hinaufgeklettert, er hängt an einem Gurt, der gleichzeitig um den
Stamm geht, indem er ihn durch sein Gewicht spannt. An den Schuhen hat er Steig-
eisen, die er in den Baum hackelt
…34
Es war der schönste Nachmittag, Abend
–
7.V.
Ich schreib schon in der Bahn, wir warten auf den Abgang des Zuges nach Cadiz.
Der gestrige Tag war wieder blau und warm. Vormittag im Museum, Zurbarán
hat mir den stärksten Eindruck gemacht, es ist viel von Rembrandt’schem Ernst u.
Poussinscher Logik in ihm ; vornehm in der Farbe, manchmal nur zwischen weiß u.
schwarz
…35 Abb. 79 : Palmen im Garten des Alcázar, Sevilla.
Erica Tietze-Conrat
Tagebücher, Volume I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
Entnommena aus FWF-E-Book-Library
- Title
- Erica Tietze-Conrat
- Subtitle
- Tagebücher
- Volume
- I: Der Wiener Vasari (1923–1926)
- Editor
- Alexandra Caruso
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79545-2
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 458
- Category
- Biographien