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180 III, Erzählungen.
Hauer, Teutschwalzer, ja wohl gar Melodien
von unartigen Liedern, immer wieder von den-
selben ansaugend, sort und fort herab zn spielen,
lichkeitcn wieder lebendig macht, Daher spieen
sie auch ans dem Gedächtnis uud grünen falsch
nntunter, ja hänsig, Von mir aber sei fern,
zu betrügen. Ich habe deshalb, teils weil mein
Gedächtnis überhaupt nicht das beste ist, teils
weil es siir jeden schwierig sein dürfte, vei>
wickelte ^uianuneusehuugen geachteter Musilve»
fasser Note für Note bei sich zu behalten, diese
.Hefte mir selbst ins Reine geschrieben. Er >',gie
blickte, lind derlei spielte der alte Mann mit
Stiicte spiele, fuhr er fort, bezeige ich mciue Ver
längst nicht mehr lebenden Meister» und Ver
reichte Gabe nicht ohne Entgelt bleibt, durch Ver
leiteten Zuhörerschaft, Ta derlei aber, auf daß
ein selbstgefälliges Lächeln feixe Züge — da
Morgenstunden ausschließlich diesem Ererzitium
bestimmt, Die drei ersten stunden des Tages
der llbung, die Mitte dem Broterwerb uud der
Abeud mir nnd dem lieben Gott, da7> heißt nicbt
unehrlich geteilt, sagte er, nud dabei gläu^i^,,
seine Angen wie feucht; er lächelte aber,
Gnt denn, sagte ich, so werde ich Sie einmal
morgens überraschen. Wo wohnen Sie? Er
nannte mir die Gärtncrgasse, — ^ausiiummer?
— Nummer 34 im ersten Stocke, — In der Tat!
rief ich, im Stockwerke der Vornehmen? — Das
5aus, sagte er, l,at zwar eigentlich nnr ein Erd-
geschoß: es ist aber oben neben der Bodenkammer
»och ein kleines Zimmer, das bewohne ich ge-
meinschaftlich mit zwei Handwerksgesellen, —
Ein Zimmer zu dreien? — Es ist abgeteilt,
sagte er, und ich habe mein eigenes Vette,
Es wird spat, sprach ich, nnd Sie wollen
nach Hanse, Auf Wiedersehen denn! nnd dabei
führ ich in die Tasche, nm das früher gereichte
gar zu kleine Geldgeschenk allenfalls zu vcr»
doppeln. Er aber hatte mit der einen Hand das
Notenpult, mit der andern seine Violine ange-
faßt und rief hastig: Was ich devotest verbitten
muß, Tas Honoraiium für mein Spiel ist mir
bereits in Fülle zuteil geworden, eines andern
Verdienstes aber bin ich mir zurzeit nicht be
wußt, Dabei machte er mir mit einer Abart
vornehmer Leichtigkeit einen ziemlich linkischen Kratzfuß nnd entfernte su!>, so s.^i'll >>!,i feine
Ick hatte, wie gesagt, die Lust verloren, dem
Volksfeste für diesen Tag läuger l>e,i>,wohnen,
Veopvldstadt einschlagend, uuo vou ^tanb nud
,v,ne ericlwpst, trat ich iu eiueu der dortigen
viele,, Wirtsgärteu, die, au gewöhnliche,, !,!gc,i
überfüllt, heute ihre ganze »uudschast der
überlassend, >>u deue» der alte Tpielimiuu u,ch!
den letzten Anteil hatte, war « völ!,g Nacht
geworden, als ich endlich deo Nachliausegelk'us
gedachte, den Betrag ,uci,,er ''icchunng ans den
Tisch legte nnd der Stadt znschritt.
In der Gärtnergasse, hatte der alte Mauu g,
sagt, wohne er. Ist hier in der Nähe eine
Gärtnergassc? fragte ich eiueu Ileinen Iu,,gen,
der über deu Weg lief, Tor!, >xrr! versetzte er,
der Hänserinasse der Vorstadt sich entserueud,
gegen das freie Feld hinaus lief. Ich folgte
mochte? Ich hatte die Hausnummer glmllich
vergessen, auch war in der Tnukelhcit au das
Lrtenncn irgend einer Bezeichnung lamn zu
deute,,, Ta schritt, auf mich zutmuuieud, eiu
mit Küchengewächsen schwer bekid^uer Manu an
mir vorüber. Kratzt der Alte einmal wieder,
brummte er, und stört die ordentliche» ^eule i,,
ilner Nachtruhe, Zugleich, wie ich vorwärts
ging, schlug der leise, lauggehaltene Tou einer
Violine an mein Ohr, der aus dem offenstehe,,
den Bodenfenster eines wcmg euliVluleu ärm
Ii>l,,u Hanfes zu kommen fchien, das, niedrig
nud ol,ne Stockwerk >uie die übrigen, sich dnrch
dieses in der Umgrcnzuug des Taches liegende
^iiebelfenster vor den auderu auszeichnete. Ich
staud stille, Eiu leiser, aber bestimmt gegrifseue<
Ton schwoll bis zur Heftigkeit, senkte sich, r-r
klang, um gleich daraus wieder bis zum laulesieu
Gellen empor zu steigen, und zwar immer der-
selbe Ton mit eiuer 'Art genußreichem Taraus'
beruhe» wiederholt. Endlich lani ein Intervall,
Es war die Quarte, Hatte der Spieler sich vor
her au dem Klänge des einzelnen Te>n
Schmecken dieses harmonischen Verhältnisses noch
ungleich fühlbarer. Sprungweise gegriffen, zn-
gleich gestrichen, auch die dazwischen In'geude
Ttufenrcihc höchst holperig verbunden, die ?e>>,
maNiert, wiederholt, Die Quinte daran gcsiigt,
einmal mit zitterndem Klang, wie ein stilles
Weinen, ausgehalten, verhallend, dauu iu
wirbelnder Schnelligkeit ewig wiederholt, immer
diese selben Verhältnisse, die nämlichen Töne, —
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik