Page - 187 - in Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
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Ter arme Spiclmann. 18?
Mädchen hin und sah, daß sie ganz spöttisch
Sollten sich des Mädels annehmen, heißt das
in Mnsit, fuhr er fort. Singt eine gute Stimme,
hat auch sonst ihre Qualitäten, aber das Feine,
lieber Gott, wo soll's herkommen? wobei er
Tauincn nnd Zeigefinger der rechten Hand
wn'derholt übereinander schob. Ich war ganz
beschämt, daß man mir nnverdienterwcise so bc-
cinander setzen, als ein außen Vorübergehender
in den Laden hineinlief: Guten Abend alle
niitrinnnder! Ich erschrak, denn es war die
Auch der Grieslcr hatte sie erkannt, Tie Spitze
d>'i ^üngc vorschiebend nnd die Schulter empor»
gehoben, flüsterte er: Waren einer der Be-
dienten dcs gnädigen Papa. konnten Sie aber
die Türe, Letzteres verhielt fich wirklich so.
Aber das Gefühl des Heimlichen, Unrechten er-
griff mich qualvoll. Ich stammelte nnr ein
paar Worte zum Abschied und ging, Ja selbst
mir ^ in die Hand steckte,
Zimmer, nnd wartete der Tingc, die da kommen
sollten, lind sie blieben nicht aus. Ter Bediente
hatte mich dennoch erkannt. Ein paar Tage
auf die Stube und kündigte mir an, daß ich das
elterliche .Haus zu verlafseu hätte. Alle meine
Gegenreden waren fruchtlos. Man hatte miv
ni ^,,>l'l rntfernten Vorstadt ein Kämmerchen
^,'äln- d^r Angehörigen verbannt, Anch nicine
Sängerin bekam ich nicht mehr zu sehen. Man
!>all>,' ihr den Kuchenhandcl auf der Kanzlei
eingestellt, und ihres Vaters Laden zu betrete»,
konnte ich mich nicht entschließen, da ich wimt,',
daß es dem meinigcn mißfiel, Ja, als ich dem
alten Griesler zufällig auf der Straße begegnete,
mir ab, und ich war wie niedergedonnert, Ta
lioli^ ich denn, halbe Tage lang allein, meinc
>>? solltt' aber noch schlimmer toniincn. Tas
Glück unseres Hanfes ging abivärtc». Meu,
jüngster Bruder, ein eigenwilliger, ungestümer
^l^nsch, Offizier bei den Dragonern, mußte eine
lüidrsoiiin-ne Welle, uisolge der er, vom Ritt
erhitzt, mit Pferd und Rüstung durch die ?oi>an
schwamm ^ es war tief in Ungarn — nnt den,
Leben bezahlen. Tcr ältere, geliebteste, war in
ciner Provinz am Natstisch angestellt. In
innm'rwäln'endcr Widersetzlichkeit gegen seinen
d^n von !i!,s«em Vater aufgemuntert^ erlaubte
er iich sogar unrichtige Angaben, um seinem
l^qm-r ; i , schaden. C.^ tani -,nr Untersuchung,
und mein Bruder ging heimlich aus dem Landr. Die Feinde unseres Vaters, deren viele waren,
benutzten den Anlaß, ihn zu stürzen. Von allen
die Abnahme seines Einflusses, hielt er täglich
die angrcifendsten Neden in der Ratssitzung,
Mitten in einer derselben traf ihn ein Schlag-
fluß, Er wurde sprachlos nach Hanse gebracht.
Ich selbst erfuhr nichts davou, NeZ andern
Tages auf der Kanzlei bemerttc ich wohl, daß
sie heimlich flüsterten und mit Fingern nach
mir wiesen, Ich aber war derlei schon gewohnt
und hatte kein Arges, Freitags darauf — eZ
eiu schwarzer Anzug mit Flor in die Stube ge-
bracht. Ich erstaunte uud fragte und erfuhr.
Mein Körper ist sonst stark und widerhältig,
aber da fiel's mich mit Macht an. Ich sank be-
sinnungslos zu Boden, Sie trugen mich ins
Bette, wo ich fieberte nnd irre sprach den Tag
hindurch und die ganze Nacht, Tcs andern
Morgens hatte die Natur die Oberhand ge-
wonnen, aber mein Vater war tut und begraben,
Ich hatte ihn nicht mehr sprechen köumn,
ihn nicht um Verzeihung bitte,i wegen all des
Kummers, den ich ihm gemacht; nicht mehr
dantcn für die unverdienten Gnaden — ja
Gnaden! denn seine Meinung war gut, und
ich hoffe ihn einst wiederzufinden, wo wir nach
unfere Absichten gerichtet werden und nicht nach
unsern Werken,
Ich blieb mehrere Tage auf meinem Zimmer,
kaum daß ich Nahrung zu mir nahm. Endlich
ging ich doch hervor, aber gleich nach Tische
wieder nach Hanse, uud nnr des Abends irrte ich
in den dunkeln Straßen umher, wie Kain, der
Brudermörder, Nie väterliche Wohnung war
nnr dabei ein Schreckbild, dein ich sorgfältigst
los vor mich hinstarrend, fand ich mich plötzlich
in der Nähe des gefürcliteten »iuseo, Mein.'
Knie zitterten, daß ich mich anhalten mußte.
! Hinter mir an die Wand greifend, erkenne ich
! die Türe des Gricslcrladens und darin sitzend
Barbara, einen Brief in der .Hand, neben ihr
das Licht auf dem Ladentische und hart dabei in
aufrechter Stelluug ihr Pater, der ihr zuzu-
splvchcn schien, lind wenn es mein Leben ge<
gölten hätte, ich mußte eintreten. Niemanden
zu haben, dem man sein ^eid klagen kann, nie-
manden, der Mitleid fühlt! Ter Alte, wußte ich
wohl, war auf mich erzürnt, aber das Mädchen
sollte mir ein gute« Wort gebeu, Tuch kam es
ganz entgegengesetzt. Barbara stand auf, als
ich eintrat, warf mir einen hochmütigen Blick
zu nud ging in die Ncbenlaminer, deren Türe
sie abschloß, Tcr Alte aber faßte mich bei der
Hand, hieß mich niedersetzen, tröstete mich, meinte
aber auch, ich sei nun ein reicher Mann und
hätte mich um niemanden mehr zu kümmern,
Er fragte, wie viel ich geerbt hätte. Ich wnßte
das nicht. Er forderte mich auf, zu den Ge-
richten zu gehen, was ich versprach. In den
Kanzleien, meinte er, sei nichts zu machen.
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik