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Tns Kloster bei Tcndomir. 205
Eingänge beschäftigt war, riß er das Fenster
auf und sprang hinab, Der Fall war nicht tief;
ilginc-l» erreichte nnbrschädi>u den Bodcn^ und
als der Graf von der Türe weg zum Fenster
eilte, verhallten bereits die Fußtritte des Ent-
flohenen in weiter Entfernung,
„?er Graf lucndete sich nun zu seiner Ge-
mahlin, Dein Milscknldiqer ist eiltflohen, sagte
er, aber dn entgebst mir nickt, — Kannst du jene
glanl>>,' den,, ivao ich wc,ß, sprach Starschcusly,
und dem Stempel der Ähnlichkeit in den Zügen
dieses Kindes, Tu mußt sterben, sagte er, und
zwar hier anf der Stelle! — Elga war auf die
«nie gefallen, Erbarme dich meines Lebens! rief
sie, Beginne mit mir, was du willst! Verbanne
mich! verstoße mich! heiße mich in ein Kloster,
in einem Kerker den Nest meiner Tage voll-
bringen, nnr laß mich leben! leben! ^ Der Graf
bedachte sich eine Weile, dann sprach er: Weil
du denn dieses schmachcrfüllte, scheußliche Da»
I^in schätzest über alles, so wisse: cin einziges
Mittel gibt es, dich zn retten. Nenn es, m'nne
es, wimmerte Elga, Der Brandfleck meiner
Eine, sprach der Graf, ist dies Kind, Wenn
seine Äugen der Tod schließt, wer weiß, ob
mein Grimm sich nicht legt. Wir sind allein,
niemand sieht uus, Nacht nnd Dunkel verhüllen
dle ?ai. ! ^ l ! hin und töte das Kind! — H'>'ie,
ich? schrie Elga. 3ötru^ '.uicin Kind? ünniensch-
licher! Verruchter! Was sinnst du mir zn? —
Nuu denn! rief Sta>schcn^t>, und hob den weg»
jchrie Llga, halt! Ich will! Sie stürzte auf ihr
Kind los und preßte es an ihren Bnsen, be
deckte es mit Tränen, — Tu zauderst? schrie
Starschenöt» nnd machte eine Bewegung g'gen
<^tt, n.'aZ iä> tun inuß, was ich nicht lassen
kann. Verzeihe du mir, zum Unglück Gcbornes!
Nannt hatte sie das Kind wiederholt an üire
hielt; das Werlzl-i,^ !.>>mtl, der bewaffnete Arm
^ >>ilt! fchrie plötzlich Starschensth, Dahin
wollt' ich dich haben! fchen, ob noch eine Negung
nnd Nacht, Dein Kind soll nicht sterben, aber,
schändliche, dn! nnd damit stieß er ihr den
^äbel in die Seite, daß das Vlnt in Strömen
cmporsprang nnd fie lnuficl über das uuver-
vind,
,,?i^'elbe Nacht war eine des Schreckens für
die Bewohner der umliegenden Gegend, Von
einer Feuerrote an, Himmel aufgeschreckt, liefen
sie zu und faln'n die aüe Varte an der IvemVile
der ?ie>gar!en!»aiier Uon Ttarfchenslys Schlosse
in hellen Flammen, Alle Versuche, zu löschen,
waren veravl'en^ bald nanden nnr schwarze
Manern unier aui-gebrannleu, ranchenden ?>s,,,!
niern, Vlan ivollte den !^rafen wecken; er felUle,
mit ihm sein Weib, iein >li,,d, Tie Brandstätte
ward durchsucht, nnd zwar allerdings mensch- Reste dreier Menschen fein?
„Beim Scheiden derfelben Nacht aber fühlte
sich cin armes Köhlerwcib im Gebirge die Glück»
Manne lag und schlief, pochte es an der Hütten»
türc. Sie stand auf uud öffnete; da sah sie iin
Scheine des anbrechenden Morgens ein wcinen-
statt aller Kleider in ein weites Tuch gehüllt,
cin Kästchen neben sich. Geöffnet, zeigte diescs
mehr Gold, als sich das arme Paar je bei»
sammen gctränmct hatte, Lin paar beigelegt
Zeilen empfahlen das Kind der Vorsorge dl.>r
beiden und versprachen fernere Geldspende in
der Zukuuft,
„Nach zwei Tagcu erschien der Graf wieder
in der Mitte der Scinigen, aber nnr um sich
zu eiucr Neise nach Warschau zu bereiten. Dort
Gehör beim Könige, nach dessen Beendigung der
Fürst, sichtbar erschüttert, seinen Kanzler holen
ließ nnd ihm offene Briefe auszufertigen befahl,
welche dem Grafen Starfcheuskh, als Letzten
fciues Stammes, die freie Verfügung über seine
Lehcngüter einräumten,
,,Tie Güter selbst wurden teils verkauft und
der Erlös ,nr Tilgung von Schulden verwendet,
teils als Stiftnng einem Kloster zu Eigentume
gegeben, das man nicht fern von der Stelle zu
baueu anfing, wo die alte, abgebrannte Warte
gestanden hatte. Das ist die Geschichte dieses
„Tcr Graf selbst aber?" — fragte einer der
Fremden,
sagte der Mönch, „nicht weiter zu fragen, wenn
ich aufhöre, nun tnt Ihr's aber doch! Zahlreiche
Scclmessen wurden gestiftet für die Nnhe der»
eilung Verbrechen bestraft durch Verbrechen, Der
Graf war Mönch geworden in dem von ihm ge»
stifteten Kloster, Anfangs fand er Trost in der
Stille des Klosterlcbcns, in der Einförmigkeit
der Bußiibnngen, Die Zeit aber, statt den
Stachel abznstumpfen, zeigte ihm stets gräßlicher
seine Tat, llbrr ihn kam seines Stammes taten»
ward ihm zur Folterqual, In Zweisvrach mit
Geistern nnd gen sich selber wütend, hütete mau
ihn als Wahnsinnigen manches Jahr, Endlich
geheilt, irrte er bei Tag umher; jedes Geschäft
war ihm Erquicknng, au den Vänmen des Forstes
übte er feine Kraft, Nnr nachts, um die Slunde,
da die beklagenswerte Tat geschah, die eiste nach
Mitternacht, wenn die Totenfeier begiunt'" —
komnien, da ward diese dnrch die ersten Töne
eines aus derKlosterkirche herülertönendenEhor»
gesangcs unterbrochen; zugleich schlng die Glucke
ein Uhr,
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik