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I. Zur deutschen Literatur, 22?
dichter, nnd endlich die Dichter des wirtlich
Wahren, die nämlich ihre eigenen lumpigen
Zustände für so bedeutend hielten, daß fie die-
selben von Mund auf in den Himmel der Poesie
einzubürgern hofften.
Ich habe früher von der Talentlosigkeit
unserer Zeit gejvrochen Tamit incinte ich leinen
gänzlichen Abgang des Talentes, Eine solche
Z^tt war nie nud wird nie seiu. Es gibt aber
anch eine Talcntlosigkeit, die dadnrch entsteht,
das; man sich Aufgaben stellt, zn deren Äus
siihrnng der Kräfte bei weitem nicht zureichen
Grnndjäne, oder mit anderen Worten: die
wahre Äslhetit, >i>enn es je eine solche gibt, ist
ziemlich gleichgültig, Die richtigen Grnndiäke
sind mehr oder weniger nnbewnßt im Talente
selbst enthalten, wie im gesunden Menschcnver,
stände die Logik nnd in der Rechtschaffenben dir
oft iviederholt hat, das; die großen Dichter da
wa'.vn, ehe es eine Ästhetik gab, Wenn anf diese
Art die wahre Ästhet,! ,'nlbeln'lich nnd für jeden
7vall dnrch das Studium der großen Vorbilder
zn ersetzen wäre, so ist dafür eine falsche Äüheti!
gerade-,!! verco-rblich, inden, sie in ihrer aus
we,t überlegen ist und, indem sie Worte nnd
begriffe gebraucht, die anf einem anderen "veioe
selber irre macht nnd einen, falschen Standpunkte
zutreibt. Ans einem falschen Standpunkte aber
erlahmt' jedes Wirlen.
^n d,e,'es ü,,nl,ge Geschäft, das in früherer
Zeit die «nns!>.'!!!>0>op!n'n betrieben, trlten nun,
nifolge der gestiegenen Wertfchätznng der ^>e-
scl,niüe, die «uusthistoriter ein. ^,'nnnter ganz
Italien sie nnr einen fehler, den nämlich, daß
j,e gar nicht wnßten, ,vas Poe'ie allenfalls sein
anfcinnnder folgenden Erscheiunngeu der Ltte^
ratnr mtt '.>lotn>endigtcit aufeinander abzuleiten,
war es ihnen hauptsächlich um die Fällnng
eigener Kunstiirteile zn tun, wobei sie den tünst-
lerischen Standpunkt in einem fort m,l den,
kulturhistorischen Ucrmischten nnd der Poesie
Zwecke andichteten, die allerdings die höchsten
Aufgaben der Prosa sind, Ein gnter Bürger
und tüchtiger Landmann muß man sein, und
nicht mit der Phantasie sich auf den Standpunkt
eines wlchen versenen. Tie uolilische nnd bürger-
liche Frei!,eii ist ein schönes Ting, aber die
Vege dazn müiien niit dem Verstände erwogen
und angebahnt werden, nnd nicht mit dem poe-
tischen ,v>allo, LxemplH zunt, oäio»,,
^>ber soll denn die Literargcschichte bloß
Keineswegs, sie soll sie geben; aber als Ge»
schichle, lnsiorisch. Es ist interessant, zn wissen,
w,e die '"littebe,wen über einen Dichter genrteilt haben, in welcher Geltung er bei der darauf
folgenden Zeit gestanden, nnd wie die berufenen
Geister heutzutage über ihn urteile,! -^? ist
interessant, zn wissen, daß die ^«läkmig äelli»
Ozea Tassos befreitem ^ernsalem uerivarf, was
den Verfafser veranlaßte, es uniznaibeiten,
d, h, zu verschlechtern, so daß man später die
worfcne bewundert, Es ist interessant, zu wissen,
daß Shakespeare unmittelbar nach seinem Tode
und vergessen blieb, bis anderthalb Jahrhunderte
später ein Schauspieler ihu wieder zn Ehren
brachte, Sclbsturteilen sollen nnr ^achtnndige,
oder wohl auch lebhaft fühlt, daß Schiller nut>
Goethe große Dichter siud uud Lessiug ciu vor-
iresflicher itopf war,
Weun auf diese Art die Nachhilfe zum bessern
Verständnis der Literatur wegfällt, so ist der
zweite Vorteil der 5/iterargeschichte, daß da-
durch die Sommitäten der Literatur aller feiten
waren die Dichter früherer Zeiten nur darum
um so viel besser alo die heutigen, weil sie, mit
von den Wissenschaften, sondern uon der Poesie,
Ein Dichter mnß feine eigene Empsindung aus°
man in eine vorgeschrittene nnd gewissermaßen
!>i!,ge ^ileratnr die 'Nationalität Hinlerher ^n«
Literaturen Krast und eigentliche Gcistesfrische
geigen, die vom nalionellen Standpunkte ange-
fangen haben, Mit Abstraktion, d, h, Uon
traurig, weil fie an ihrer wahren Empfindung
als Menfchen häufig ebeufoviel ciubüßen, als
säliigteit als Literatorcn gewinnen. Es ist schon
ihre formen sehr künstlich sind und man sie
möglichst genau übersehen will, ein halbes Un-
glück, Die in einer solchen Übersetzung kaum zn
vermeidenden, oerientteu Redensarten nnd da5
dnrans entstehende Wortgepoltcr erzeugen bei
oeu der Originalsprache unkundigen die Mei-
nung, die Dichter selbst hätten sich auf eine so
nugeschiäte »nd verworrene Art ausgedrückt,
wao ,n der Nachahmung dieser Vorbilder die
ist nnfere Poetische Sprache hauptsächlich duich
solche wortgetrene Übersetzungen verdorben
worden, Nuu erst die Darstellungen, Inhalts-
angaben uud Lobpreisungen der Literarhisto-
riker, die Uon dem, was für den Geschmack bc»
Die tranrigsle Ävirtnng ist aber die anf das
Pnblikum, für das man die Größen der Literatur
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Volume II
- Title
- Grillparzers sämtliche Werke
- Subtitle
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Volume
- II
- Editor
- Rudolf von Gottschall
- Publisher
- Hansa-Verlag
- Location
- Hamburg
- Date
- 1906
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 11.2 x 15.9 cm
- Pages
- 552
- Keywords
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Categories
- Weiteres Belletristik